Schön bunt.
Burano, eine Insel in der Lagune von Venedig.2009
Schon mal von Murano gehört? Klar, kennt jeder. Murano ist Glas. Ein ganz besonderes Glas, nach einem besonderen Verfahren hergestellt, und es stammt von der gleichnamigen Insel in der Lagune von Venedig. Viele Venedig-Besucher machen einen Abstecher auf diese Insel, weil jeder Murano kennt. Aber kennen sie Burano? Nein? Wenn Sie die Frage auf diese Weise beantworten, befinden Sie sich in guter Gesellschaft, denn Burano kennen sehr viel weniger. Was schade ist. Einesteils wegen der wunderbaren Spitzen, die hier in traditioneller Klöppelarbeit hergestellt wurden und mit denen die Insel früher einmal international großes Ansehen genoss. Das Glas von Burano, wenn Sie so wollen. Auch heute noch kann man diese Spitze kaufen. Sie ist teuer, weil sehr viel aufwändiger in der Herstellung als die Made-in-China-Spitze, die es ebenfalls in den Souvenirläden gibt. Aber das, was ich meine, wenn ich über Burano schreibe, ist etwas anderes. Ist etwas, wofür man nicht erst in einen Laden gehen muss. Was man sofort sieht, wenn man sich der Insel nähert. Burano ist ... ja eben: schön bunt.
Wir verlassen Venedig mit einem Vaporetto von der Anlegestelle Fondamenta Nuove aus. Ein Vaporetto ist ein Linienschiff, ein venezianischer Bus gewissermaßen, da es in der Lagunenstadt bekanntlich keine Straßen, sondern nur Kanäle gibt. Mit an Bord sind neben einigen Einheimischen jede Menge Touristen. Unser Schiff fährt an der Friedhofsinsel San Michele vorbei, legt wenig später an der Glasinsel Murano an, wo die meisten Touristen von Bord gehen, und steuert weiter in nordöstlicher Richtung, bis wir eine halbe Stunde später das Ziel unseres Ausflugs erreichen: Burano.
Noch während unser Vaporetto auf die Insel zuhält, sehen wir bereits, weswegen wir hier sind: schön bunt. Womit die Häuser gemeint sind. Burano ist ein Farbkasten. Ein Ort wie ein Regenbogen. Ist eine Komposition aus einer Vielzahl von Farben, die mal mehr und mal weniger miteinander harmonieren, die aber alle unzweideutig sind, kräftig und klar. Hier gibt es keine Übergänge und kein Changieren, jede Farbe bekennt sich ohne den geringsten Kompromiss. Da gibt es ein Haus in himmelblauer Farbe, daneben ein anderes in einem giftigen Grün, da steht ein blutrotes neben einem grell-pinkfarbenen, dort eines in knalligem Gelb, in hellem Grün oder in klassischem Marineblau, ein kürbisgelbes neben einem in Kardinalslila und und und. Ein Malkasten eben, einer mit Dutzenden von Farben. Alle zusammen so malerisch, dass die kleine Insel - gerade mal 675 auf 475 Meter groß - in der Vergangenheit Generationen von Malern angezogen hat. Und seit dem Aufkommen des Tourismus auch jede Menge Touristen. Kritiker schütteln den Kopf über diese Spielzeugstadt und nennen sie kitschig. Andere bezeichnen sie als schrill. Und wieder andere sehen sie als eine Gute-Laune-Insel, als einen Ort stiller Fröhlichkeit verbunden mit einer beinahe dörflichen Beschaulichkeit und aufgrund dieser Eigenschaften als einen Kontrapunkt zu dem oft stressigen und quirligen Venedig.
Warum die Häuser bunt sind? Ich weiß es nicht. Sie sollen heimkehrenden Fischern den Heimweg weisen, heißt es in einer Erklärung. Oder: Im Nebel soll man sein eigenes Haus besser wiederfinden können. Oder: Für die Fischer, die ihre Tage zwischen dem Blau des Himmels und dem Blau des Meeres verbringen, sollen die Farben eine optische Abwechslung sein. Oder: Während einer Pestepidemie in früheren Zeiten sollten die Farben signalisieren, welche Häuser von der Krankheit verschont worden waren. Allesamt fragwürdige Erklärungsversuche, die einer Nachprüfung nicht standhalten. Aber müssen wir unbedingt nach Gründen suchen? Nehmen wir es doch so, wie es ist - so ist es fröhlich, und so ist es schön. Und was die Bewohner dieser farbenfrohen Häuser anbelangt, für sie ist es in jedem Fall ein florierendes Geschäft. Denn wären die Häuser grau wie das Meer an einem Regentag, wer würde sich dann schon auf diese Insel verirren? Die Freunde geklöppelter Spitzen, gewiss, aber wie groß ist deren Zahl? Die Verehrer des Komponisten Galuppi, des berühmten Sohns dieser Insel, dessen Standbild die zentrale Piazza ziert - aber wer kennt schon Galuppi? Oder die von dem Maler Tiepolo Entzückten, die eines seiner frühesten Bilder in der Chiesa San Martino betrachten wollen, in der Kirche mit dem windschiefen Campanile. Aber aus diesen Gründen den meist viel zu kurzen Venedig-Aufenthalt für einen Burano-Trip nutzen? Nein, wohl die wenigsten würden das tun. Und deswegen kommt den Inselbewohnern die in jedem Reiseführer erwähnte Farbigkeit ihrer Häuser gerade recht. Oder anders gesagt: Wenn es diese Farbigkeit nicht bereits gäbe, die Buranesen müssten sie geradezu erfinden. Schließlich sorgt sie für ein Auskommen in einer Zeit, da die traditionellen Einnahmequellen - das Klöppeln und der Fischfang - nicht mal annähernd mehr die Rolle spielen wie in früheren Zeiten. Was einstmals die Fische, das sind heute die Touristen. An schönen Tagen schlendern sie in Garnisonsstärke die Hauptstraße hinauf und hinunter, kaufen Souvenirs in den Shops, laben sich in Restaurants an den Meeresfrüchten aus der Lagune und den süffigen Festlandsweinen aus der Umgebung und bummeln anschließend sanft besäuselt durch die stillen - und bunten! - Gassen. Farben als Arbeitgeber, so könnte man das nennen. Buntheit als Basis für die eigene Existenz, krisensicher und immer en vogue. Auf eine solche Idee muss man erst einmal kommen!