Flaues Gefühl.

 

Mit der Bahn von Rangun nach Mandalay.

 

 Burma 1985

 

 

Mittwoch, 24. Juli 1985, kurz nach 21 Uhr. Auf der Bahnstrecke von Rangun nach Mandalay, der wichtigsten Strecke des Landes, ist der Zug No. 5 unterwegs. Über den endlosen Reisfeldern liegt Dunkelheit, die Bauern sind in ihren Hütten verschwunden, die Wasserbüffel in ihren Ställen, nur hier und da flackern Lichter, sticht die vom Mond matt beschienene Spitze eines Tempels in den spätabendlichen Himmel. Das Innere des voll besetzten Zuges ist wie gewöhnlich nur spärlich erhellt. Einige der Reisenden sind in Gespräche vertieft, andere schlafen oder dösen vor sich hin, umgeben von Kisten, Taschen und sonstigem Gepäck aller Art. Auch ein paar Hühner in Körben sowie mehrere Ziegen sind dabei. Auf einmal bricht die Hölle los. Nahe der Pyigyitin-Brücke, unweit der Ortschaft Kywebwe, zerreißt die Explosion einer Mine die Nacht, ihr folgen weitere, sie schleudern die Lokomotive mitsamt sechs Waggons von den Gleisen. Die Folgen für die Fahrgäste sind verheerend. Etliche sind sofort tot, andere werden verletzt und verstümmelt, werden eingeklemmt in einen Haufen aus verformtem Stahl und gesplittertem Holz, in das die Minen den Zug verwandelt haben. Wie alles Weitere ablief, darüber gibt es keine Berichte. Aber es braucht nicht viel Fantasie, um sich vorzustellen, wie die Rettungsarbeiten nach einer solchen Katastrophe in einem Dritte-Welt-Land wie Burma ausgesehen haben werden - auf freier Strecke, in einer dünn besiedelten Gegend, noch dazu bei Dunkelheit. Erste Meldungen über die Zahl der Opfer werden bald nach oben korrigiert, am Ende liegt die Zahl der Toten bei 76, die Zahl der Verletzten bei 122, viele von ihnen schwer. Als Urheber des Anschlags werden die Karen genannt, eine ethnische Minderheit, die sich seit Jahren in einem verlustreichen Kampf gegen die Zentalregierung in Rangun befindet.

 

Sieben Tage später sind wir auf dieser Strecke unterwegs - mit einem flauen Gefühl im Bauch, denn wir haben von dem Anschlag gehört. Doch wir wollen nach Mandalay, und die beste Verbindung dorthin ist nun einmal die Bahn. Für die Fahrt haben wir 110 Kyat bezahlt, das sind etwa 40 DM, wofür wir genau 622 Kilometer unterwegs sein werden, allerdings nicht allzu schnell, benötigt der Zug für diese Strecke doch stolze 14 Stunden. Oder mehr, denn die Fahrpläne hängen zwar auf den Bahnhöfen aus, aber sie haben eher Schmuckcharakter als wirklichen Informationswert. Ein Umstand, der uns allerdings nicht allzu sehr berührt, denn wir haben Urlaub. Und einigermaßen bequem sitzen wir auch: Upper Class nennt man das in Burma, gepolsterte Sitzbänke mit Plastikbezügen, auf denen wir zwar permanent schwitzen, die aber allemal weicher sind als die Bänke der Holzklasse, auf denen die meisten Reisen durch das Land ruckeln. Die Klimatisierung indes erfolgt klassenlos: sämtliche Fenster sind geöffnet, Zug im Zug gewissermaßen, was angesichts der eher geringen Geschwindigkeit allerdings auch über längere Zeit zu ertragen ist.

Hält der Zug an - und das tut er häufig -, so ist er augenblicklich von einer Schar von Imbissverkäufern umlagert. Frauen, Männer und Kinder, alle rufen und rennen, strecken uns Erfrischungen aller Art durch die Fenster entgegen, feilschen um Preise, und dazwischen gibt es immer mal wieder ein Lachen für uns, ein paar freundliche Worte, die wir nicht verstehen, die uns aber deutlich machen, dass wir für die Bevölkerung - anders als für die Regierung - gern gesehene Gäste im Land sind. In einem Land, das sich im Jahr 1985 noch weitgehend von der Außenwelt abschottet und das uns als Touristen gerade mal eine Einreise für sieben Tage erlaubt. Deutlich zurückhaltender als die Stimmung draußen ist die Stimmung im Zug, die gar noch in ein fast vollständiges Schweigen übergeht, als wir den Ort des Anschlags passieren. Zwar sind die meisten Spuren der schrecklichen Tat beseitigt, aber ein paar zerrissene Waggons stehen noch neben der Strecke und erinnern an das Geschehene. Was die Menschen um uns herum darüber denken, erfahren wir nicht. Wir stellen auch keine Fragen, denn wer von ihnen würde sich uns gegenüber schon äußern angesichts einer Militärdiktatur, für die das Leben des einzelnen nicht mehr als ein Fingerschnippen ist, wenn es um den Erhalt der eigenen Macht geht.

 Mit dem Verstreichen der Zeit verändert sich die Landschaft. Je weiter wir in den Norden kommen, um so trockener wird es. In diese Regionen verirrt sich der Monsun nur selten, der das Land im Süden in den letzten Monaten in ein feuchtwarmes, üppig grünes und teils triefend nasses Treibhaus verwandelt hat. Kurz nach 20 Uhr erreichen wir Mandalay. Über eine Unterkunft haben wir uns keine Gedanken gemacht, aber das war auch nicht nötig, denn kaum sind wir ausgestiegen, als uns auch schon etliche junge Männer umringen und stimmgewaltig auf uns einreden. Ehe wir es uns versehen, sitzen wir in den Seitenwagen zweier Fahrradrikschas und tauchen ein in die Stadt mit dem wohlklingenden Namen. Gewiss, mit einem Anschlag hatten wir nicht gerechnet. Zwei Anschläge so kurz nacheinander sind eher unwahrscheinlich. Aber froh sind wir doch, dass wir die Fahrt heil überstanden haben. Nun liegen ein paar bahnfreie Tage vor uns und wir können uns einiges ansehen, bevor wir erneut auf derselben Strecke unterwegs sein werden. Dass auch die Rückfahrt noch einen Nervenkitzel für uns bereit halten sollte, konnten wir zu diesem Zeitpunkt nicht ahnen.

 

(Wird fortgesetzt)