Land unter.

 

Mit der Bahn zurück nach Rangun. Burma 1985

 

(Fortsetzung von Bericht 11)

 

 

Es ist stockfinster und laut. Außerdem zieht es heftig, ein kalter Fahrtwind, der alles Gefühl aus den Gesichtern bläst, dazu setzt sich Staub in unsere Augen und Ohren und bedeckt unsere Kleidung. Wir sitzen eng gedrängt auf der Ladefläche des Datsun, die für sechs, allenfalls für acht Personen ausreichend wäre, aber wir sind zu zwölft, einige davon schlanke Burmesen, aber ebenfalls ein paar gut beleibte Europäer darunter. Um 2.30 Uhr sind wir aufgestanden, eine Stunde später hatte der Datsun abfahren sollen, um uns zum Zug nach Rangun zu bringen, aber erst nach 4 Uhr war es so weit. Die Bänke, auf denen wir zusammengekauert hocken, sind schmal und unbequem. Jedes Schlagloch - und davon gibt es unzählige auf dieser Strecke - spüren wir bis in die Knochen, jede Bodenwelle lässt uns mit dem Kopf gegen den Aufbau über der Ladefläche stoßen. Aber was hilft's - wir müssen zum Zug, denn die wenigen Tage, die uns die Regierung in ihrem Land duldet, sind beinahe vorbei.

 

Vier Stunden brauchen wir bis Thazi, die für uns nächstgelegene Bahnstation an der Strecke in den Süden. Die Fahrt hat länger gedauert als von dem Fahrer veranschlagt. Wir hatten schon auf Kohlen gesessen wegen des Zuges, der eigentlich längst hätte weg sein sollen, als wir um 8 Uhr endlich die Station erreichen. Aber wir sind in Burma, und hier fahren die Züge halt, wann sie fahren, und wann das ist, das weiß die Bahngesellschaft allein. Oder Buddha, oder irgendwelche Lokalgötter, die für das Reisen zuständig sind. Aber wer auch immer - wir nehmen mit Erleichterung zur Kenntnis, dass unser Zug eine kräftige Verspätung hat. Was würden wir tun, wenn wir nicht rechtzeitig nach Rangun kämen? Unsere Visa liefen ab, unser Flugzeug wäre weg, und was dann? Aber der Zug hat ja Verspätung, glücklicherweise. Und so begrüßen wir ihn denn mit strahlenden Gesichtern, als er um 9 Uhr in den von zahlreichenden Wartenden bevölkerten Bahnhof einrollt.

 

 

Dass wir diesmal in der Ordinary Class fahren und nicht in der Upper Class wie auf der Hinfahrt, stört uns wenig. Wir sind froh, dass wir bei dem Andrang überhaupt Tickets bekommen haben. Und im übrigen - nachdem wir die nächtliche Fahrt auf dem Datsun überstanden haben, kann uns die Holzklasse der burmesischen Staatsbahn auch nicht mehr erschüttern. Immerhin haben wir diesmal genügend Platz, eine ganz normale Beckenbreite weit, auch wenn es hart ist und sich die Federung des Waggons in einem Zustand fortgeschrittener Abnutzung befindet. Auch der Umstand, dass wir von unseren Sitzen aus die Schienen sehen können, lässt uns kalt. Allem Anschein nach gehörte das Oberteil des Waggons einst zu einem anderen Unterteil, dennoch hat man beide zusammengefügt, was hier indes niemanden zu beunruhigen scheint, und so machen wir uns ebenfalls keine Gedanken. Außerdem nehmen wir schon bald ohnehin nichts mehr wahr, weder die Männer mit den dicken heimischen Zigarren noch die Frauen mit den sandfarbenen Mustern im Gesicht oder das ausdauernd vor sich hinschmatzende Ferkel in der Reihe gegenüber, denn schon bald nach der Abfahrt des Zuges sind wir eingenickt.

Nachdem wir einige Stunden gefahren sind, setzt Regen ein. Wir sind wieder im Süden, wo der Monsun noch in den Nachwehen liegt. Wenig später sehen wir die ersten Überschwemmungen, und kurz darauf sind wir auch schon mittendrin. Dass der Monsun Unheil anrichten kann, haben wir oft gehört. Hier sehen wir es. Land unter zu beiden Seiten der Gleise. Überschwemmte Felder, Tempel im Wasser, ebenso Häuser und Hütten, von denen in vielen Fällen nur noch der obere Teil aus den Fluten ragt. Ein Mann sitzt auf dem Dach einer Hütte. Wir fragen uns nach dem Grund - hat er zu lange gewartet, braucht er Hilfe, will er seine Hütte nicht aufgeben? Andere halten zusammengeschnürte Bündel über den Köpfen und kämpfen sich durch das Wasser voran, offensichtlich haben sie ein paar Habseligkeiten gerettet, die ihnen wichtig sind. Ist das burmesische Normalität, so fragen wir uns? Ein alljährlich wiederkehrendes Ereignis in einem Land, das mit dem Monsun zu leben gelernt hat wie wir mit unseren Jahreszeiten? Nein, so ganz normal scheint es nicht zu sein, folgt man den Mienen der Mitreisenden. Etliche lehnen aus den Fenstern und starren auf die Gleise, die stellenweise kaum noch zu sehen sind. Unter einer Brücke - glücklicherweise ist sie kurz - schießt das Wasser mit ungezügelter Heftigkeit hindurch und prallt dabei gegen das Mauerwerk, dass uns Angst und Bange wird. Auch der Lokführer scheint beunruhigt. Nur zentimeterweise bewegt er den Zug vorwärts, hält auch kurz inne, um gleich darauf ein paar weitere Zentimeter zu wagen. Unsere Müdigkeit ist längst verflogen, auch wir hängen aus den Fenstern und versuchen die Situation einzuschätzen, als müssten wir selbst den Zug über diese Gefahrenstelle bringen. Und wenn das Gleis unter der tonnenschweren Last nun plötzlich durchbrechen würde? Wenn der Zug kippen und wir alle in die Fluten stürzen würden? Aber es geht gut. Ein paar schweißtreibende Minuten noch, dann ist auch der letzte Waggon über die Brücke, und der Zug nimmt wieder Geschwindigkeit auf.

 

Der Regen wird stärker, schließlich schüttet es, als hätte der Himmel sämtliche Schleusen geöffnet. Mit Holzblenden werden die Fenster verschlossen. Trübe Glühbirnen flackern auf, wir sind jetzt abgeschnitten von dem Geschehen draußen, dafür nehmen wir um so mehr jede Bewegung des Zuges wahr, jeden Ruck, jedes Zögern, jede Änderung des Tempos. Erst als der Regen nachlässt und die Holzblenden vor den Fenstern entfernt werden, atmen wir wieder entspannter. An Schlafen oder Dösen ist längst nicht mehr zu denken, statt dessen beobachten wir die Landschaft, über der es zunehmend dunkler wird. Vorerst zumindest, denn irgendwann wird es wieder heller, Lichter tauchen auf, reihen sich mit anderen Lichtern, und wir wissen, dass wir am Ziel sind. Es ist 21 Uhr, als wir in denselben Bahnhof einrollen, von dem wir wenige Tage zuvor nach Mandalay abgefahren sind. Das Quietschen der Bremsen klingt wie Musik in unseren Ohren. Was stört uns nun noch das schmuddelige Hotel oder der Chinese in dem Restaurant, der uns - kaum dass wir den letzten Bissen in den Mund gesteckt haben - mit der Begründung die Stühle wegzieht, Rangun gehe jetzt schlafen. Soll es, denken wir, für uns ist der Tag ebenfalls zuende. Und froh darüber, sowohl die Fahrt mit dem Auto als auch die mit der Bahn heil hinter uns gebracht zu haben, sinken wir in unsere Betten.