Ort dieses Geschehens war der Abzweig, an dem die Piste aus Djanet auf die von Tamanrasset nach Norden führende Asphaltstraße trifft. Unser Übernachtungplatz lag ein gutes Stück davon entfernt, aber immer noch nahe genug, um die Motorengeräusche zu hören, die einige Zeit nach Anbruch der Dunkelheit zu uns herüberdrangen. Als sie nicht aufhörten und wir uns zunehmend unwohler fühlten, beschlossen wir nachzusehen. Die schmale Mondsichel beleuchtete unseren Weg nur spärlich, aber wir kamen voran. Von einem flachen Hügel aus spähten wir nach unten. Nahe dem Abzweig standen einige Männer neben drei Peugeots und warteten. Alle drei rauchten, die Motoren hatten sie inzwischen abgestellt. Kurze Zeit später erschien ein LKW, gleich darauf mehrere Polizisten, die sich an dem LKW zu schaffen machten, während gleichzeitig die Männer mit den Peugeots davonfuhren. Schmuggler? war unser erster Gedanke. Immer mal wieder hatten wir von ihnen gehört, aber die Grenze nach Mali und Niger war noch rund 300 Kilometer entfernt, und auch was wir sahen, passte nicht in dieses Bild. Aber was sonst? Eine Weile beobachteten wir noch das Geschehen, dann schlichten wir zurück zu unserem Auto. Wenig später tauchten Scheinwerfer auf und ein Wagen hielt auf uns zu. Drei Männer in einem Jeep, die sich nach dem Verbleib der Peugeots erkundigten. Ich kann mich noch gut erinnern, dass wir schwitzten, obwohl es eiskalt war. Welche Peugeots? fragten wir die Männer und machten verständnislose Gesichter. Die drei beratschlagten kurz und fuhren dann so schnell wie sie gekommen waren davon. Wir warteten, bis es um uns herum wieder still geworden war und machen uns dann - immer noch über den Hintergrund des Geschehens rätselnd - auf die Suche nach einem neuen Platz für die Nacht.
Als bedrohlich empfand ich es auch, als Karin laut nach mir rief, obwohl es eigentlich keinen Grund dafür gab. Oder richtiger: keinen Grund hätte geben sollen, denn der Platz, den wir für die Nacht ausgesucht hatten - ein paar hundert Meter von der Straße entfernt in hügeligem Gelände - war völlig einsam. Zumindest hatten wir das angenommen, weshalb ich mich, während sie das Auto für die Nacht herrichtete, auf die Suche nach ein paar Fotomotiven gemacht hatte. Plötzlich die Rufe. Adrenalin schoss mir durch die Adern, und ich rannte los. Als ich nahe genug war, sah ich sie vor unserem Auto stehen, neben ihr ein Einheimischer, der sie um Haupteslänge überragte. Ein Beduine, ein ganz friedlicher, wie sich schnell herausstellte, als wir uns begrüßten. Er war schüchtern und höflich, nur leider sprach er kein Französisch, so dass eine Verständigung mit Worten nicht möglich war. Eine Verständigung mit mir, wohlgemerkt, denn bei Karin hatte er es gar nicht erst versucht, sie war nur eine Frau. Wir probierten es mit Gesten, und nachdem es zunächst einige Missverständnisse gegeben hatte, sahen wir schließlich klarer. Er war mit seiner Familie mit Kamelen unterwegs, sie hatten einen Rastplatz in der Nähe gefunden, und da er unser Auto gehört hatte, war es losgegangen um nachzusehen. Nachdem ich ihm bedeutete, dass ich alles begriffen hätte, äußerte er ein paar Wünsche, von denen ich Seife und eine Decke noch gut in Erinnerung habe. Die Seife und einige andere Dinge gaben wir ihm, die Decke konnten wir wegen der kalten Nächte nicht entbehren. Schließlich dankte er, nahm die Sachen unter den Arm und machte sich auf den Rückweg zu seiner Familie.
Und dann war da noch der Abend mit Puccini. Es war auf dem Fadnoun-Plateau, einer Mondlandschaft, einem der lebensfeindlichsten Gebiete, die es inmitten der lebensfeindli-chen Sahara gibt. Den ganzen Tag über waren wir unterwegs gewesen, oft im Schritttempo, da sich ein tiefliegender VW-Bus und große Steine nicht gut miteinander vertragen. Unseren Platz für die Nacht wählten wir unmittelbar neben der Piste, denn es gab keine Alternative. Aber wer, so sagten wir uns, würde nachts hier entlangkommen, wo wir doch selbst am Tag nur fünf Fahrzeuge getroffen hatten. Wieder gab es die üblichen Handgriffe, dann die Frage, ob wir gleich kochen oder zuerst ein Glas Wein trinken sollten - einen einfachen Wein aus der Pappe wegen des Transports, aber angesichts der Umstände köstlich wie ein alter Bordeaux. Wir gossen ein und tranken, und mit jedem Schluck fiel ein wenig von dem Stress des Tages ab, 70 Kilometer in reichlich neun Stunden. Schnell legte sich die Dunkelheit über das Land, mondlos zunächst, wir streckten die Beine aus und entspannten. Dazu Manon Lescaut von Puccini, die passende Musik, da die Handlung der Oper zum Teil in der Wüste spielt - al-lerdings nicht allzu passend, wie wir hofften, da Manon zum Schluss in der Wüste verdurstet. Kein schönes Ende natürlich, dennoch die Musik so voller Gefühle, so ergreifend, das uns Gänsehaut über die Rücken lief. Und das nicht in einem Opernhaus oder in einer Philharmonie, sondern in einer stillen, weiten, völlig einsamen Landschaft, unter einem Himmel, an dem tausend Sterne funkelten und an dem schließlich - keine Erfindung, ich schwöre es! - der volle Mond über die Hügel stieg. Gegessen haben wir an diesem Abend nichts mehr, nur Wein getrunken, in den Mond geschaut und Puccini gelauscht. Ein paar Stunden von der Art, wie es im Leben nicht viele gibt.
Manfred Lentz