"Perle der Adria"
Dubrovnik war und ist eine der schönsten Städte der Welt. 1983
Dubrovnik war und ist eine der schönsten Städte der Welt. 1983
Am 6. Dezember 1991 war es am schlimmsten. Bereits im Oktober hatten die serbischen Belagerer die Strom- und Wasserversorgung gekappt und die Telefonverbindungen unterbrochen, von der Seeseite her verhinderten ihre Kriegsschiffe jeglichen Zugang zu der umkämpften Stadt. Doch Dubrovnik hielt stand, auch wenn die kroatischen Verteidiger dem Feind sowohl zahlenmäßig als auch waffentechnisch unterlegen waren. An jenem 6. Dezember nun versuchten die Serben, eine Entscheidung herbeizuführen. Rund 600 Granaten wurden an diesem Tag auf die Stadt abgefeuert. Das Heulen der Geschosse und die nachfolgenden Detonationen erfüllten die Luft, Flammen loderten in den Himmel, Sirenen heulten und Menschen rannten um ihr Leben. Doch hatten die Serben auf eine Massenflucht der mehrheitlich kroatischen Einwohner gesetzt, so sahen sie sich in ihrer Erwartung enttäuscht. Dubrovnik hielt stand, und das nicht nur an diesem Tag, sondern so lange, bis im darauffolgenden Jahr die kroatische Brigade "Tigrovi" (Tiger) den Belagerungsring der Serben durchbrach, eine Gegenoffensive einleitete und die feindlichen Truppen hinter die anerkannten Grenzlinien zurückdrängte. 114 Zivilisten und 200 Soldaten waren bei den Kämpfen ums Leben gekommen, während die internationale Öffentlichkeit abseits gestanden hatte. Tatenlos hatte sie nicht nur zugesehen, wie die Stadt mit Krieg überzogen worden war, sondern wie die Serben sich überdies angeschickt hatten, das von der UNESCO 1979 zum Weltkulturerbe erklärte Dubrovnik zu zerstören.
Als ich im Jahre 1983 die Stadt besuche, ist alles noch ganz anders. Gorbatschows Schlagworte Glasnost und Perestroika haben noch keinen Eingang in das europäische Vokabular gefunden, in Berlin steht nach wie vor die Mauer, und Jugoslawien, wenngleich dem Ostblock nur locker verbunden, wird wie seit Jahrzehnten mit strenger Hand regiert. Gewaltsam wird zusammengehalten, was nicht zusammen gehört - Kroaten und Serben, Mazedonier und Bosniaken, Montenegriner, Kosovo-Albaner und die Slowenen an der österreichischen Grenze. Auf den Straßen Dubrovniks trifft man sie alle, die meisten ebenso Touristen wie wir und wie die vielen anderen Menschen aus aller Welt, denn die Großartigkeit dieser Stadt zieht alle an. "Diejenigen, die das Paradies auf Erden suchen, sollten nach Dubrovnik kommen", hatte sich der irische Dichter George Bernhard Shaw einst begeistert. Und mögen dem kühlen Nordländer angesichts des mediterranen Flairs mit dieser Formulierung auch ein wenig die Pferde durchgegangen sein, so ist sein überschwängliches Lob doch nicht ganz falsch. Dubrovnik ist nicht nur eine Stadt mit einer großen Vergangenheit, sie ist auch ein städtebauliches Juwel ersten Ranges und überdies so gut erhalten wie nur wenige andere Städte am Mittelmeer. Als freie "Stadtrepublik Ragusa" hatte Dubrovnik einst selbst dem mächtigen Venedig Paroli geboten, als Schiffe aus vieler Herren Länder in seinem Hafen vor Anker lagen und ihre Ladungen Reichtümer in die Kassen der Kaufleute und in die Stadtkasse spülten. Wiederholt von Feinden bedrängt, hatte die Stadt dank ihrer mächtigen Mauer über Jahrhunderte widerstanden, während ihr Wohlstand gewachsen war und mit ihm die Zahl ihrer Paläste und der Prunk ihrer Kirchen und Klöster.
Selbst 1983 ahnt man noch die Bedeutung, die Dubrovnik einst hatte. Wie die zahlreichen anderen Besucher bummeln wir den Stradun entlang, die Hauptstraße, die vom westlichen Stadttor zum östlichen führt. Die dort nach dem großen Erdbeben von 1667 neu errichteten Häuser gleichen einander weitgehend, alle besitzen Läden im Erdgeschoss, in denen es sich wunderbar shoppen lässt. Die beste Aussicht auf Dubrovnik, erklärt uns ein Einheimischer, habe man von der Stadtmauer aus, und so steigen wir gleich am nächsten Aufgang die Stufen empor. Der Blick von dort oben ist in der Tat großartig! Auf drei Seiten vom Meer umspült, liegt die Stadt in voller Größe zu unseren Füßen, schnurgerade zieht sich der Stradun hindurch, zu beiden Seiten gehen Gassen ab, die wegen der eng stehenden Häuser indes meist mehr zu erahnen als einzusehen sind. Rot- und Brauntöne dominieren die Farbpalette, ergänzt von dem satten Blau des Meeres und von gelegentlichem Grün zwischen den Gebäuden, in den Innenhöfen der Klöster und auf den Hügeln hinter der Altstadt, wo das moderne Dubrovnik sich erstreckt. Zwei Kilometer ist die Mauer lang, das sind zwei Kilometer ständig wechselnde Ansichten, immer neue Entdeckungen und faszinierende Eindrücke. Es braucht nicht viel Fantasie, um zu verstehen, warum die Stadt als die "Perle der Adria" bezeichnet wird und weshalb sie seit dem Aufkommen des modernen Tourismus Jahr für Jahr Heerscharen von Besuchern anzieht.
Eine Erfolgsstory, die in jenem Schicksalsjahr 1991 eine Unterbrechung erfuhr, als der Niedergang des osteuropäischen Sozalismus auch das moderat sozialistische jugoslawische Kartenhaus zusammenfallen ließ. Mit der Folge, dass über Nacht die alten Animositäten zwischen den Völkern wieder aufbrachen, die bis dahin gewaltsam unter der Decke gehalten worden waren. Letzteres ein gravierender Fehler der alten Machthaber, fühlten sich doch auch nach Jahrzehnten in einem gemeinsamen Staat die Kroaten noch immer als Kroaten, die Serben als Serben, und auch die Angehörigen der übrigen Völker waren alles andere als "Jugoslawen". Kriege waren damals die Folge, jahrelange Kämpfe, die außerhalb des alten Jugoslawien kaum jemand noch verstand, die aber unzählige Menschen aus ihren angestammten Lebensräumen vertrieben und mehr als hunderttausend das Leben kosteten. Und die beschädigten oder zerstörten, was Generationen in Dubrovnik geschaffen hatten: den Sponzapalast und den Rektorenpalast etwa, die Klöster der Dominikaner und der Franziskaner, eine der ältesten Synagogen Europas, eine Moschee, Kirchen und die Stadtmauer, von den vielen Gebäuden der Einwohner ganz abgesehen.
Und heute, im Jahr 2012? Die serbischen Angriffe liegen 21 Jahre zurück, mehrere unabhängige Staaten haben die Nachfolge des einstigen Jugoslawien angetreten, und Dubrovnik ist heute eine Stadt in einem selbständigen Staat Kroatien. Eine Stadt und gleichzeitig eine Exklave, ist die Verbindung zum Mutterland doch durch einen bis ans Meer reichenden Streifen des Nachbarstaates Bosnien und Herzegowina unterbrochen. Aber liegt Dubrovnik damit auch einige Kilometer vom großen Kroatien entfernt, so ist es dennoch einer der bedeutendsten Tourismusmagnete des Landes. Längst sind die materiellen Zerstörungen beseitigt. Besucher aus aller Welt bummeln wieder durch die Gassen, erfreuen sich an den Aussichten von der Stadtmauer, bewundern die Kunstschätze in den Kirchen, Klöstern und Museen und genießen kulinarische Spezialitäten in den gemütlichen Restaurants. Dubrovnik ist wieder das, was es immer war: eine Stadt mit einer glorreichen Vergangenheit, die Perle der Adria und eines der bedeutendsten Reiseziele im Mittelmeerraum. Ja mehr noch - nähert man sich der Stadt aus den Bergen und sieht sie vor sich auftauchen - die roten Dächer, die zyklopische Mauer, die unvergleichliche Lage am Meer -, so kann man wohl mit Fug und Recht behaupten, Dubrovnik sei eine der schönsten Städte der Welt.