"Come to Marlboro Country".
Das Monument Valley im Südwesten der USA. 2011
 
Marlboro Country kannte jeder: ein paar Cowboys auf rassigen Pferden, harte Gesichter, die keine Fragen stellten sondern wussten, wo's lang ging, zupackende Hände neben Lassos, deren Gebrauch den Männern ebenso vertraut war wie anderen das Binden einer Krawatte, und dazu eine Zigarette zwischen den Lippen, eine Marlboro natürlich, denn um die ging es. Die Botschaft war klar: Kraft, Männlichkeit und ein unabhängiger Lebensstil, Freiheit und Abenteuer, und um all das zu unterstreichen eine Landschaft, die dazu passte, als wäre sie speziell dafür erschaffen. Eine Werbung, die beim Publikum ankam und die die Marlboro jahrzehntelang zur meistverkauften Zigarette der Welt machte. Und die mit den knallharten Jungs Vorbilder schuf, mit denen sich sowohl Großväter und Väter als auch deren Söhne identifizieren konnten - mit den meisten zumindest, sieht man einmal von dem Marlboro Man Wayne McLaren ab, der nach reichlichem Genuss der von ihm beworbenen Glimmstengel 1992 im Alter von 51 Jahren an Lungenkrebs starb.
 
 
Im April 2011 stehen wir in Marlboro Country, und obwohl wir noch nie hier waren, ist uns die Landschaft bestens vertraut. Eine Postkartenansicht, tatsächlich so eindrucksvoll wie auf den Werbeplakaten. Mehrere Tafelberge und bizarre Felsformationen ragen aus der Ebene auf, sie sind von rötlicher Färbung und tragen Namen wie West Mitten Butte, Raingod Mesa und Camel. Wind, Niederschläge und das Auf und Ab der Temperaturen haben sie über Jahrmillionen aus dem Gebirge herausgefräst, das sich hier einst befand, und sie haben das so perfekt gemacht - die richtigen Formen, die richtigen Größen und auch die richtigen Abstände zwischen den einzelnen Erhebungen -, dass die öffentliche Begeisterung für die Szenerie nur allzu verständlich ist. Was sich zu den Hauptreisezeiten hier abspielt, lassen die zahlreichen Souvenirshops erahnen (die erfreulicherweise in einigem Abstand zum Valley errichtet wurden), aber auch der riesige Parkplatz, der am Tag unseres Besuchs allerdings nur halb besetzt ist. Nahebei befindet sich ein Hotel, das vor einigen Jahren mit viel Gespür für die Landschaft zwischen die Felsen gesetzt wurde, außerdem gibt es eine Aussichtsterrasse, von der aus man jenen Blick hat, den man wohl als den klassischen bezeichnen kann. Nur allzu verständlich, dass sich die Filmwelt dieser malerischen Kulisse bedient hat, von John Fords "Stagecoach" (1939, deutscher Titel: Ringo) über "Easy Rider" bis zu Sergio Leones Meisterwerk "Spiel mir das Lied vom Tod", in dem Claudia Cardinale auf einem Kutschwagen an den Tafelbergen vorbei nach Sweetwater fährt. Und natürlich gab es auch jede Menge Indianer an diesem Ort, in den Filmen ebenso wie in der Wirklichkeit, darunter Angehörige des Stammes der Navajo. Deren Nachfahren leben noch heute hier als die Bewohner des größten Indianerreservats der Vereinigten Staaten, zu dem auch das Monument Valley gehört.
Wir lösen uns aus unseren Gedanken an Bleichgesichter und Rothäute und wenden uns wieder der Landschaft zu, konkret: dem Scenic Drive. Rund 25 km misst dieser Rundweg durch das Valley, eine steinige, staubige Piste, die man entweder im Rahmen einer organisierten Tour oder mit dem eigenen Auto abfahren kann. Wir entscheiden uns für die zweite Variante, was zwar kein Wagnis ist, aber unserem Asphaltstraßen gewohnten Nissan Versa doch einiges abverlangt. Erinnerungen an unsere Sahara-Reisen kommen auf, als wir ins Tal hinabfahren, es rüttelt und schüttelt und wir werden unsanft in unseren Sitzen hin- und hergeworfen, allerdings bemerken wir das kaum, da unsere Augen begierig die Szenerie aufsaugen. Aus den Autolautsprechern dringt aufgepeppte Indianermusik, "Sacred Spirit II", eine CD, die uns einige Tage zuvor zufällig in die Hände gefallen war und die sich seither zur heiß geliebten Begleitmusik auf unserer Reise entwickelt hat. Wiederholt halten wir an und steigen aus und stehen jedesmal mit derselben Begeisterung vor der großartigen Kulisse, die die Natur sich an diesem Ort ausgedacht hat.
 
Eine Weile fahren wir so auf der Piste, dann führt der Weg von den Highlights des Tales fort und tiefer hinein in eine Landschaft, die wir bis dahin unter dem Stichwort Monument Valley weder auf Bildern noch in Filmen je gesehen haben - zumindest können wir uns nicht daran erinnern -, die aber nicht weniger faszinierend ist als der "Marlboro-Teil". Das Wort "Autowandern" beschreibt recht gut, wie wir uns von einem spektakulären Blick zum nächsten bewegen, rötlicher Sand und rotbraune Felsen, Gräser und Büsche, gelegentlich ein paar verkrüppelte Bäume und darüber ein strahlender Himmel von einem durchsichtigen Blau. Eine Aneinanderreihung von Postkartenmotiven, Bilder für Hochglanzkalender. Ein Navajo bietet Pferde zum Ausreiten an, ein Stück weiter präsentieren andere selbstgefertigten Schmuck aus Silber und Türkisen. Dann stehen wir auf einem Hügel und blicken erneut - aber nun aus einer anderen Perspektive - auf den vorderen Teil des Valleys. "Isn't it great?", wendet sich ein Amerikaner an uns, nicht mit lauter Stimme sondern auffällig verhalten, als befürchte er, den Zauber zu zerstören, der über der Landschaft liegt. "Yeah, it's really great!", stimmen wir ihm ebenso verhalten zu. Und das ist es in der Tat - really great!
 
 
Zurück in unserem Hotel im 40 km entfernten Kayenta, spülen wir den Staub der Fahrt auf zünftige Art mit einem Whisky herunter. Was an diesem Ort keine Selbstverständlickeit ist, herrscht doch im Navajo-Reservat ein Verkaufsverbot für Alkohol. Kein Bier an der Bar, kein Sixpack an der Tankstelle, und auch der Supermarkt hat keine Promille in seinen Regalen. Vermutlich ist es die Erinnerung an die fatale Wirkung des "Feuerwassers" der Weißen auf die Indianer, die diese als die Verwalter des Reservats dazu gebracht hat, es zu verbieten. Inwieweit dieses Verbot wirkt, wissen wir nicht. Aber wie wir die menschliche Seele kennen - und die der Navajo dürfte in dieser Hinsicht keine Ausnahme sein -, hat sie tausend Auswege erdacht, um doch an die verfemten Getränke zu gelangen. Wir jedenfalls haben unseren Whisky bei uns, und den genießen wir wie einst der Outlaw Cheyenne in der Postkutschenstation in "Spiel mir das Lied vom Tod", nachdem seine Kumpanen ihn aus dem Gefängnis befreit hatten. Noch immer beeindruckt von dem Gesehenen erheben wir unsere Gläser. Auf das Monument Valley! Auf eine Landschaft, die beinahe schon Kult ist! Cheers!