Drei Tage Romantik.
Eine Floßfahrt auf dem Maekok im Norden Thailands. 1990
 
An einem Balken baumeln malerisch zwei Ananas und eine Handvoll Bananen, daneben hängt eine Plastiktüte mit Eiern. Den Kopf habe ich an meinen Rucksack gelehnt, die Beine sind auf einem Säckchen mit Vorräten platziert, nichts Zerbrechliches offenbar, sonst hätte ich mir längst einen Rüffel eingehandelt. Nicht weit entfernt stehen ein Korb mit Kochgeschirr, ein Wasserkanister und ein kleiner Herd in Gestalt eines Eimers, alles Gegenstände, die ich nicht sehe, von deren Anwesenheit ich aber weiß, denn mein Blick ist an den beiden Ananas und den Bananen vorbei in den tiefblauen Himmel gerichtet. Um mich herum ist es still, niemand spricht. Nur vom Ufer dringt der Gesang von Vögeln herüber und mischt sich mit dem leisen Plätschern des Wassers, eine Melodie, die uns seit unserer Abfahrt begleitet. Alles stimmt, alles ist perfekt. Alles ist so, wie wir es uns vorgestellt haben. Völlig entspannt liegen wir auf einem Floß.
 
Der Fluss, der unter uns plätschert, ist der Maekok. Er entspringt im nahegelegenen Burma, tritt bei einem Ort namens Thaton nach Thailand über und mündet in den weitaus bekannteren Maekong, einen der längsten Flüsse der Erde. In Thaton haben wir unser Floß bestiegen. Der Ort ist klein, ein paar Häuser, ein Kloster mit einer großen Buddhastatue, eine Brücke über den Fluss. Wäre das alles, so würde der Tourismus um diesen Ort im äußersten Norden Thailands gewiss einen Bogen machen. Aber da ist noch etwas anderes, und dieses Andere bewirkt, dass es in Thaton alljährlich einen - wenn auch moderaten - Ansturm von Touristen gibt: Thaton ist der Ausgangspunkt einer Bootsfahrt auf dem Maekok, eine Strecke von rund 80 Kilometern bis in die Provinzhauptstadt Chiang Rai. Etwa vier Stunden dauert die Fahrt mit einem Speedboat, und es ist dieses Angebot, von dem die meisten Touristen Gebrauch machen. Ankunft in einem klimatisierten Bus, auf die Schnelle ein paar Fotos, Essen in einem Restaurant am Fluss, danach rein in die Boote, die Motoren heulen auf, und los geht die wilde Fahrt. Doch es gibt noch eine andere Möglichkeit, nach Chiang Rai zu gelangen, wesentlich langsamer natürlich: mit einem Floß. Kaum haben wir uns in einem der wenigen Guest Houses einquartiert, als unsere Wirtin sich auch schon erkundigt, ob wir eine Fahrt mit einem Floß unternehmen wollen. Drei Tage, zwei Flößer, Verpflegung inklusive, die Nächte auf dem Fluß, das Ganze für 3.000 Baht, etwa 240 DM. Das wollen wir, sagen wir unserer Wirtin, denn genau aus diesem Grund sind wir hier. Danach noch ein wenig am Preis gedreht, und der Deal ist perfekt.
 
 
Wohnzimmer, Schlafzimmer, Küche und Toilette - alles auf zwei mal vier Metern, das ist eng, aber was will man auf einem Floß anderes erwarten. Sein Unterteil besteht aus drei Lagen Bambus, die - wie das Floß insgesamt - ohne einen einzigen Nagel, nur mit Bast miteinander verbunden sind. Der vordere Teil und der hintere sind nach oben hin offen, hier befinden sich die Ruder für die beiden Flößer, und hier wird auch gekocht, ebenfalls von den beiden, die also gleichzeitig unsere Köche sind. Zwischen Vorder- und Hinterteil liegt unser Bereich - unser Wohnzimmer tagsüber und unser Schlafzimmer während der Nacht. Zum Schutz gegen die Sonne ist dieser Teil mit einem Schilfdach versehen, der Boden ist mit Matten bedeckt, zu den Seiten verhindern Geländer aus Bambus, dass wir ins Wasser fallen. Bemerkenswert ist die Toilette: ein winziger viereckiger Raum neben der hinteren Plattform, außen geflochtete Matten, die Bambusstäbe in der Mitte ausgesägt und somit zum Wasser hin offen. Aus naheliegenden Gründen ragt die Konstruktion ein Stück weit über das Floß hinaus, mit der Folge, dass der eine von uns - um das Floß im Gleichgewicht zu halten - auf die gegenüberliegende Seite rutschen muss, wenn der andere die Toilette benutzt.
Gemächlich treiben wir flussabwärts. Die Flößer hocken auf ihren Plattformen und greifen nur gelegentlich mit den Rudern oder den langen Flößerstangen ein, wenn die Strömung das Floß in ein falsches Fahrwasser zu ziehen droht. Vom Ufer dringt das Knattern einer Pumpe herüber, die Wasser in die Bewässerungskanäle eines Bauern pumpt. Zu beiden Seiten begleiten uns Felder, gelegentlich sind Häuser zu sehen und dann und wann auch ein Dorf, dazu Bananenstauden und Kokospalmen, Papayabäume und riesiger Bambus. Manchmal sticht das Weiß eines Chedis, eines buddhistischen Heiligtums zwischen den Bäumen hervor. Gegen Mittag legen wir in einer Bucht an. Bereits während der Fahrt haben die Flößer in dem Herdeimer Feuer gemacht, nun gibt es die erste Mahlzeit: Nudelsuppe mit Ei, später Kaffee und Tee, dazu eine der beiden Ananas über unseren Köpfen. Plötzlich Motorengeräusch, schnell wird es lauter, und dann schießt auch schon mit einer hoch schäumenden Bugwelle ein voll besetztes Speedboat heran. Vorn im Boot hockt ein Soldat mit einem Gewehr, eine Anordnung der Regierung, wie uns unsere Flößer erklären. Wir befänden uns hier im Goldenen Dreieck, sagen sie, jenem Grenzgebiet zwischen Thailand, Burma und Laos, in dem Opium angebaut und gehandelt werde, und in dem es immer wieder zu Konflikten zwischen Banden komme und auch zu Angriffen auf Touristen. Deshalb der Soldat mit dem Gewehr. Ob das stimmt, fragen wir uns? Oder ist der Bewaffnete vielleicht nur ein Statist, der den Touristen ein wenig Abenteuer vorgaukeln soll? Vom Speedboat richten sich mehrere Kameras auf uns, offensichtlich sind wir ein lohnendes Motiv. Gleich darauf ist das Boot vorbei, und nur das Schaukeln unseres Floßes erinnert noch an die Begegnung.
 
Die Nacht verbringen wir unterhalb eines Dorfes in unserem "Schlafzimmer". Nachdem die Flößer uns eine Mahlzeit zubereitet haben, machen sie sich davon, und wir bleiben allein zurück. Als es kühler wird, rollen wir uns in unsere Schlafsäcke ein. Im Dorf bellen Hunde, wir hören Grillen zirpen, während die Holzkohle in unserem Herdeimer langsam verglüht. Zugegeben - es ist gewöhnungsbedürftig, so allein und letztlich schutzlos auf einem offenen Floß auf einem Fluss zu liegen, aber zugleich ist es ein eindrucksvolles Erlebnis. Und als der Mond hinter den Hügeln empor steigt und die Silhouetten der Bäume sich gegen den Nachthimmel abzeichnen, ist das Erlebnis noch eindrucksvoller. Erst spät überfällt uns an diesem Abend die Müdigkeit, und wir sinken in den Schlaf.
 
 
Der zweite Tag ähnelt dem ersten. Je mehr nach unserer mittäglichen Rast die Hitze nachlässt, um so mehr Menschen zeigen sich an den Ufern: ein paar Frauen, die im Fluss ihre Wäsche waschen, Mönche mit kahlgeschorenen Köpfen und safranfarbenen Gewändern, nackte Kinder, die ausgelassen miteinander spielen und Bauern mit Wasserbüffeln auf ihren Feldern. Irgendwann tauchen Stromschnellen auf, eine kleine Aufregung für uns, reine Routine für die Flößer, die uns sicher durch das Hindernis lenken. Danach zeigt sich die Landschaft immer beeindruckender. Der Fluß wird schmaler, und die Hügel rücken näher an die Ufer heran. Urwald zieht sich die Hänge hinauf, in mehreren Stockwerken geschichtet, ganz oben mächtige Teakbäume, deren lange Stämme bis in den Himmel zu wachsen scheinen. Andere Bäume beugen sich tief über den Fluss, wir sehen Wurzeln wie Korkenzieher und gewaltige Bambusbüsche mit verwirrendem Blattwerk. Aber wir sehen auch, dass wir all dieser grandiosen Natur zum Trotz nicht in einem Paradies sind. Immer wieder fallen unsere Blicke auf abgeholzte Hänge, die aussehen, als wäre ein Sturm über sie hinweggefegt. Ein Raubbau, der nicht nur für die Menschen im Norden Thailands schlimme Folgen hat, sondern wegen der dadurch auftretenden Überschwemmungen auch für ihre Landsleute im Süden.
 
Nach einer weiteren Nacht in der Nähe eines Dorfes und direkt neben einem blühenden Tabakfeld bringt der dritte Tag das Ende unserer Reise. Gegen Mittag erreichen wir den Stadtrand von Chiang Rai. Wir nehmen Abschied von unseren Flößern. Sie werden mit einem Speedboat nach Thaton zurückkehren und vielleicht schon bald zu einer neuen Fahrt aufbrechen. Dann allerdings mit einem neuen Floß, denn das unsere wird man entweder an Ort und Stelle ausschlachten, da der Rücktransport flussaufwärts zu aufwändig wäre, oder es findet sich ein Interessent, der noch ein Stück weiter flussab treiben will bis zum Maekong, der die Grenze zu Laos bildet. Uns kann das gleichgültig sein. Unsere Tour ist beendet, und ein neues Ziel steht auf unserem Plan. Ein Tuk-Tuk hält neben uns. Wir steigen ein, der Fahrer gibt Gas, und unser Floß bleibt zurück. Die Erinnerung aber nehmen wir mit. Die Erinnerung an eine ungewöhnliche Fahrt - interessant und abwechslungsreich, auch mal ein wenig aufregend, vor allem aber unglaublich schön und romantisch.