Schön, dass das Wetter
 schlecht war!
Das "Corsewall Lighthouse Hotel". Schottland 2008
 
Camping in Schottland, das ist: großzügig angelegte Plätze in herrlicher Lage, vielleicht an einem Loch oder am Meer mit einem einsamen Strand, an dem man entlangspazieren kann, ohne einen Menschen zu treffen, wo man auf Felsen sitzen und den Seevögeln beim Fliegen zusehen kann, das ist der Blick auf Berge, die nahezu unberührt unter einem tiefblauen Himmel liegen, das ist ein uriger Pub in der Nähe, in dem man am Abend Bier und Whisky trinken kann. So schön kann Camping sein. Camping in Schottland!
 
Aber es kann auch ganz anders sein. Als wir in Newcastle die Fähre verlassen, die uns von Ijmuiden in Holland (siehe Bericht 62) über die Nordsee auf die Insel gebracht hat, regnet es in Strömen. Dunkelgraue Wolken wabern um die Kämme der Hügel, und die einzige Sonne, die uns scheint, ist die auf einem Plakat an der Ausfahrt vom Hafengelände mit der Aufschrift "Welcome in Great Britain!". Eine Stunde später wechseln wir von England nach Schottland, und es regnet noch immer. Doch nicht genug damit - das Thermometer zeigt 12°C, eine Temperatur, die man nur als ausgesprochen camping-unfreundlich bezeichnen kann, soweit man nicht mit einem Wohnmobil oder einem Wohnwagen unterwegs ist, sondern mit einem Zelt wie wir. Nur noch 11°C sind es zwei Stunden später, als wir in einem Dörfchen eine Teepause machen. An einer Blumenampel über dem Eingang zaust der Wind so heftig, dass zu befürchten steht, er könnte sie jeden Augenblick aus der Verankerung reißen. Schnell sind wir uns einig: Zelt aufbauen ist nicht. Was wir brauchen, ist eine feste Unterkunft. Eine mit Heizung.
 
 
Es gibt Urlauber, die planen ihre Reisen im Detail, die wissen schon lange vor der Abfahrt, wann sie wo sein und an welchem Abend sie wo etwas essen werden. Wir gehören nicht zu denen. Unsere Planung ist zumeist grob, und die tatsächliche Fahrtroute ergibt sich von einem Tag auf den anderen. Für diesmal haben wir lediglich die schottischen Highlands als Ziel festgelegt, und da diese sich westlich von unserem gegenwärtigen Standpunkt befinden, lenken wir unser Auto in die entsprechende Richtung. In mehreren Orten halten wir an und sehen uns nach einer Unterkunft um, doch kein Funke springt über. Frustriert werfen wir einen Blick in unseren HB-Reiseführer, den mit den vielen anregenden Bildern. Und siehe da: Kaum haben wir ein wenig geblättert, da finden wir auch schon einen Ort, der uns gefällt. Zwei Stunden später haben wir ihn erreicht: Portpatrick, ein 600-Seelen-Dorf am Meer, ein kleiner Hafen, in dem Fischerboote dümpeln, ein paar herausgeputzte Häuser am Ufer und ein kleiner Leuchtturm. Ein Hotel und einige Restaurants künden davon, dass es neben dem Fischfang auch Tourismus gibt. Zwar ist der Blick auf den Ort nicht so schön wie in unserem Reiseführer, denn dort scheint die Sonne, während es bei uns immer noch anhaltend regnet. Aber das wird sich ändern, da sind wir uns sicher. Oder wir hoffen es zumindest. Nach einer kurzen Rundfahrt durch den Ort quartieren wir uns in einer lauschigen Unterkunft ein. Kurz darauf betreten wir das "Crown Hotel", dessen Restaurant, wie wir bald feststellen, nicht umsonst brechend voll ist. Nach einem ausgezeichneten Essen und einigen wohltemperierten Bieren sind wir mit dem Leben wieder einigermaßen versöhnt.
 
Und weiter? Zurück in unserer Unterkunft machen wir uns über ein paar Prospekte her, die in dem Restaurant auslagen und die die "Points of Interest" dieser Region präsentieren, und stoßen nach einigem Blättern auf das "Corsewall Lighthouse Hotel" - ein Hotel in einem Leuchtturm, der sich eine knappe Autostunde entfernt an der Spitze der Halbinsel Rhins of Galloway befindet. Ein Leuchtturmhotel - das hört sich originell an, allerdings lassen die Fotos in dem Prospekt erahnen, dass auch die Preise für die Übernachtungen originell sein dürften. Was soll's, sagen wir uns, ansehen kostet nichts, und deshalb machen wir uns nach zwei Tagen in Portpatrick auf den Weg. Und das bei welch einem Wetter! Die Regenwolken haben sich verzogen, der Himmel ist blau, und die Sonne lächelt uns zu als wollte sie sagen: Sorry für die letzten Tage - das war ein Versehen! Schon von weitem erblicken wir den Leuchtturm hinter grünen Wiesen und vor dem tiefblauen Meer, erst die Spitze mit dem Hütchen, dann den schlanken schneeweißen Körper, und als wir näher heran sind, auch die Nebengebäude. Wie, um die Wirkung dieses Bildes noch zu steigern, gleitet gerade in diesem Augenblick eine Fähre vorbei und hält auf Loch Ryan zu, die östlich von uns gelegene Bucht mit Stranraer, dem Hafen nach Nordirland.
Wenn ich im Jahre 2008 geahnt hätte, dass ich eines Tages einen Bericht über das "Corsewall Lighthouse Hotel" schreiben würde, hätte ich Innenaufnahmen gemacht. Nun fehlen sie mir. Ein Ersatz können die Fotos auf der Website des Hotels sein.
Ob wir unseren Opel Agila schon einmal neben einem Jaguar geparkt haben, daran kann ich mich nicht erinnern, aber gleich neben dreien ganz gewiss nicht. Doch wir haben genügend Selbstbewusstsein, um nicht gleich wieder zu verschwinden. Wie wir von der liebenswürdigen Dame an der Rezeption erfahren, sind alle Zimmer des kleinen Hotels belegt bis auf eins, und das könnten wir für zwei Nächte haben. Ich setze eine coole Miene auf und erkundige mich nach dem Preis, ganz so, als wäre ein Hotel dieser Kategorie unsere übliche Wahl. 208 Pfund für eine Nacht, sagt die liebenswürdige Dame, und da sie uns längst als Deutsche erkannt hat, fügt sie hinzu: "Das sind 260 Euro." Wir schlucken. Camping ist anders, aber ein Zimmer in einem Leuchtturm, das hat schon was, also schlagen wir zu. Dass das Zimmer nicht in dem eigentlichen Turm liegt, wie wir vielleicht ein wenig naiv angenommen hatten, sondern in den dazugehörigen Anbauten, hängt damit zusammen, dass der Leuchtturm noch immer in Betrieb ist. Im Jahr 1815 wurde er errichtet, erfahren wir von der Empfangsdame, während sie uns über kuschelweiche Teppiche zu unserem Zimmer geleitet. 1994 wurde die Anlage automatisiert, der Leuchtturmwärter war damit überflüssig, und seine Wohnung sowie die Gebäude für die damalige Technik wurden zu einem Hotel umgebaut. Sie öffnet die Tür zu unserem Zimmer. Es ist nicht das Zimmer 1 oder 2 und auch keines mit der üblichen Zahlenkombination aus Stockwerk und Zimmernummer - nein, es ist der "Firth of Cromarty Room". Vier Wände mit einer persönlichen Identität gewissermaßen. Ein großzügiger, geschmackvoll eingerichteter Raum. Und was am schönsten ist - einer mit einer unmittelbar anschließenden Terrasse. Ein Aussichtspunkt nur für uns.
 
Was folgt, sind ein Tag und zwei Nächte in einem Ambiente, das keinen Wunsch offen lässt. Alles stimmt, alles ist so, wie es sein muss und unterstreicht die Berechtigung der Auszeichnungen und Ehrungen dieses Hotels. Unser Highlight ist besagte Terrasse, eigentlich nur das Dach eines Gebäudes mit einem Gitter darum, aber mit einem Ausblick, der großartig ist. Über uns der Leuchtturm - unser Leuchtturm! -, vor uns das Meer mit den Fähren und die Küste von Irland, Möwen und andere Seevögel auf den Klippen und in der Luft, dazu der salzige Geruch des Meeres, der sich perfekt mit dem torfigen Geschmack unseres Whiskys mischt, den wir auf der Fähre eingekauft haben. Noch schöner ist es am Abend, nach einem Essen, das die verbreiteten Urteile über die schlechte schottische Küche als Vorurteile entlarvt - wenn die letzte Fähre im Hafen festgemacht hat, wenn der Leuchtturm seinen Dienst antritt, wenn die Grenzen zwischen Himmel und Meer zerfließen und die Schreie der Möwen verstummen, bis nur noch das Rauschen des Meeres und der Wind zu hören sind und sich schließlich die Nacht über uns legt. Es gibt Augenblicke, die man am liebsten für immer festhalten würde. Dieser ist einer davon.
 
 
Ein Ausflug am nächsten Tag sei kurz erwähnt. Es ist kein weiter, gerade mal ein Kilometer ins Hinterland unseres Hotels, in das Reich eines Farmers, der seine Tiere noch als Lebewesen betrachtet. Pferde und Rinder ziehen unsere Aufmerksamkeit auf sich, vor allem aber ein paar Dutzend Schweine, die in einer größeren Anlage untergebracht sind. Offenbar hat der Farmer unser Interesse beobachtet, er kommt von seinem Haus zu uns herüber und zieht uns in ein Gespräch. Die Schweinezucht sei sein Hobby, erklärt er. Zwar brächten ihm die Tiere beim Verkauf durchaus einen Gewinn, aber das sei nicht das Wichtigste für ihn - sie sollten sich wohlfühlen, sollten auf eine natürliche Art durch ihre Schweineleben gehen, so wie das in den auf maximalen Profit ausgerichteten Betrieben längst nicht mehr der Fall sei. Wohlfühlen scheinen sich die Tiere in der Tat - viel Platz, viel Dreck zum Wühlen und viele Ferkel, die so eifrig bei ihrer Mutter trinken, dass es für meine Fotoambitionen die reinste Freude ist. Ob wir ihm eines dieser niedlichen Ferkel abkaufen wollten, fragt der Farmer. Wir schauen ihn überrascht an. Er grinst. Nein, nein, die Frage war nur ein Scherz, sagt er. It was just a joke.
 
Am nächsten Morgen fahren wir abermals an den Schweinen vorbei, es ist das letzte Mal. Unsere Zeit im "Corsewall Lighthouse Hotel" ist abgelaufen, eine kurze Zeit nur, zugleich eine teure, aber es war ein Aufenthalt, der jeden einzelnen Euro gelohnt hat. Welch ein Glück, dass das Wetter am Beginn unserer Reise so schlecht war! Inzwischen ist es besser geworden, und so soll es, wenn es nach uns geht, auch bleiben. Schließlich sind wir mit unserem Zelt unterwegs - wegen der großzügig angelegten Plätze in herrlicher Landschaft, vielleicht an einem Loch oder am Meer, mit einem einsamen Strand und und und ... In der Tat: So schön kann Camping sein. Camping in Schottland!