"Sooooo süß!"
Bei den Elefanten von Pinnawela. Sri Lanka 2013
 
Die Szene erinnert an die Elefantenkompanie unter ihrem Anführer Colonel Hathi, die Walt Disney in seinem auf Rudyard Kiplings Buch zurückgehenden Film "Das Dschungelbuch" so großartig in Szene gesetzt hat. Nur sind wir nicht im Dschungel, sondern in Pinnawela auf Sri Lanka, der Anführer der "Elefantenkompanie", die auf uns zukommt, heißt nicht Colonel Hathi, und außerdem ist die hiesige "Kompanie" sehr viel größer. Rund dreißig Dickhäuter dürften es sein, von groß bis "noch ziemlich klein", die an diesem Tag im Oktober 2013 auf dem Rückweg vom Fluss zu ihrem Camp sind. Ihr Anblick erinnert an eine Herde Kühe, die durch ein bayerisches Dorf getrieben wird. Nur ist diese Herde mächtiger - ungestüme Kraft in riesigen Körpern und auf säulenartigen Beinen, die einen Menschen mühelos in den Boden stampfen könnten. Tiere, bei denen man nur hoffen kann, dass sie friedlich bleiben. Und das bleiben sie auch. Nur ist friedlich nicht das Gleiche wie sanftmütig, weshalb die Betreiber sämtlicher Souvenirläden in der Straße ihre Auslagen gewissermaßen elefantensicher machen, als sie das Herannahen der Power-Truppe bemerken. Ohne Hektik allerdings, eine eingespielte Routine, zwei Mal an jedem Tag und das jahrein und jahraus. Schließlich kann niemand garantieren, dass die animalischen Kraftpakete nicht im Vorbeigehen versehentlich ein paar Ständer mit Ansichtskarten oder Andenken platt treten würden. Also alles rein in die Geschäfte und erst wieder raus, wenn die Herde verschwunden ist.
 
 
Pinnawela liegt zwischen Colombo und Kandy, und der Name ist vermutlich jedem Besucher der Insel bekannt. Pinnawela - das ist das Elephant Orphanage, das Waisenhaus für Elefanten. Der Ort, an dem mildtätige Seelen aufopferungsvoll niedliche Elefantenbabys durchbringen, deren Mütter von einem grausamen Schicksal dahingerafft wurden und die ohne die Hilfe des Menschen dem sicheren Tod ausgeliefert wären ... Doch halt - das ist das Image, die Fantasie, die der Name Elefantenwaisenhaus auslöst, und um gerecht zu sein, ist es auch ein Teil der Geschichte dieser Einrichtung. Aber es ist nicht die heutige Wirklichkeit. 1975 auf einer ehemaligen Kokosplantage mit ein paar tatsächlich verlassenen kleinen Elefanten ins Leben gerufen, hat sich das "Waisenhaus" inzwischen zu einer Einrichtung entwickelt, die rund siebzig Tieren eine Heimat gibt und in der der überwiegende Teil seiner Bewohner aus älteren besteht. "Elefantencamp" wäre eine treffendere Bezeichnung, nur klingt "ein Waisenhaus für Elefanten" nicht wesentlich niedlicher? Wer würde da nicht an lauter kuschelige Elefantenbabys denken, die man streicheln und liebhaben und endlos fotografieren kann, denn sie sind ja "sooooo süß"? Eine Mogelpackung also. Und vielleicht ist es ja das Wissen um diesen - zugegeben: moderaten - Betrug, der die Verantwortlichen veranlasst, den anreisenden Besuchern die wenigen wirklich kleinen Elefanten gleich nahe dem Eingang zu präsentieren. Drei sind es an dem Tag, an dem wir da sind. Um uns herum richten jede Menge Touristen ihre Kameras auf sie, und an unsere Ohren dringen Worte in Sprachen, die wir nicht verstehen. Die wir auch gar nicht verstehen müssen, denn den Mienen der Sprecher zufolge sagen sie alle dasselbe: "Sooooo süß!". Falls es einen sri lankischen Preis für cleveres Management geben sollte - hier wäre er angebracht.
 
Womit ich keinesfalls etwas gegen die Dominanz älterer Elefanten in diesem "Waisenhaus" gesagt haben will. Dass sie hier sind, erfüllt auch uns als leidenschaftliche Tierschützer mit Befriedigung. So etwa der Elefant mit dem verkrüppelten Bein, der während des erst vor einigen Jahren beendeten Bürgerkriegs zwischen tamilischen Separatisten und der singhalesischen Bevölkerungsmehrheit auf eine Miene getreten war. Oder der blinde, dem Wilderer die Augen ausgeschossen hatten, um leichter an sein Elfenbein zu gelangen. Oder jene wilden Elefanten, die von aufgebrachten Dorfbewohnern gejagt worden waren, nachdem sie diesen die Felder zerstört hatten. Doch längst gibt es auf Sri Lanka nicht mehr so viele wild lebende Elefanten, die verlassen oder verletzt sein könnten, weshalb sich die Mehrzahl der hier lebenden Tiere aus den hier geborenen rekrutiert. Aber woher auch immer sie stammen - sie alle werden ihr Leben lang in diesem Camp bleiben, denn eine Auswilderung kommt für sie nicht infrage. Haben sich die Tiere erst einmal an das Zusammenleben mit Menschen gewöhnt, so besteht die Gefahr, dass sie nach einer Auswilderung schon bald wieder die Nähe zu Menschen suchen würden. Nur dürfte wohl kaum anzunehmen sein, dass diejenigen, mit denen sie es dann zu tun hätten, ihnen wohlgesinnt sein würden.
Also verbleiben sie im Camp - eine nicht artgerechte, weil unfreie Existenz, aber nichtsdestoweniger keine unangenehme. Geschützt, verpflegt und im Fall einer Krankheit versorgt, führen sie hier ein Leben, das man mit Fug und Recht als lebenswert bezeichnen kann. Das sage ich als Mensch, doch ich vermute, dass die Elefanten - könnten sie sprechen - etwas Ähnliches sagen würden. Aber sie sind doch angekettet! höre ich den Aufschrei der Kritiker, wie man ihn im Internet immer wieder nachlesen kann. Angekettet werden sie während des Fressens, wenden andere ein, weil die Jungen gegenüber den Älteren sonst benachteiligt wären. Und angekettet werden die wenigen Elefanten, die ansonsten für die anderen Tiere eine Gefahr darstellen würden. Ein Für und Wider, das ich an dieser Stelle einfach so stehen lasse, da ich nicht daran denke, mich als ein Experte für artgerechte Elefantenhaltung aufspielen zu wollen.
 
Zurück zu den Dickhäutern, die mich an die Kompanie von Colonel Hathi erinnern. Der Weg vom Camp zum Fluss und umgekehrt ist ein Weg, den sie täglich in zwei "Schichten" zurücklegen, die eine vormittags und die andere am Nachmittag. Vermutlich deshalb, um allen Besuchern über den Tag hinweg ein eindrucksvolles Schauspiel bieten zu können. Das Schauspiel eines Bades. Dass Elefanten Wasser mögen, habe sogar ich mit meinen rudimentären Elefantenkenntnissen bereits gehört. Hier nun kann ich es sehen. Ja mehr noch: Ich werde Zeuge, wie viel Spaß ihnen dieser Prozedur tatsächlich bereitet. Von ihren Mahouts zu dem an dieser Stelle recht flachen Fluss geführt, spazieren sie darin herum, plantschen in ihm, legen sich ins Wasser und besprühen sich mit ihrem Rüssel, dass es eine Freude ist, ihnen dabei zuzusehen. Etliche toben auch miteinander herum, das sind die "Halbstarken", nicht mehr klein und babyhaft tolpatschig, aber auch noch nicht von der würdevollen Haltung der Älteren. Wie aufgedrehte Schüler in einem Schwimmbad toben sie in dem Fluss herum, stürzen sich auf ihresgleichen, drücken einander unter Wasser und kämpfen sich wieder frei, nur um im nächsten Moment erneut zur Attacke überzugehen. Und an diesem Spiel beteiligen sich nicht etwa nur zwei oder drei - nein, es ist beinahe ein Dutzend, das an diesem Toben in den Fluten seine Freude hat. Klar, dass die Touristen solche Anblicke genießen - "Sieh mal da!" und "Oh, wie toll!", während Bilder um Bilder geschossen und die Kameras gar nicht mehr aus der Hand gelegt werden. Geschäftstüchtig, wie man in diesem "Waisenhaus" ist, hat man direkt am Fluss Restaurants errichtet, von deren Terrassen aus die Besucher dem Treiben der Tiere bei einem Essen oder mit einem Drink in der Hand zuschauen können. Zwei Stunden dauert das Elefantenbad. Dann treiben die Mahouts ihre Schützlinge zusammen und leiten sie auf dem Weg an den Souvenirläden vorbei und über die Straße, auf der der Verkehr vorübergehend eingestellt wird, bis zu dem Camp, wo ihre Artgenossen - vielleicht - schon ihre Rückkehr erwarten.
 
 
Mit den Elefanten kehren auch die Touristen zurück in das Camp, um die Tiere zu streicheln, auf ihnen zu reiten oder - keine originelle Idee, aber eine bewährte - mit gekauftem Futter zu füttern. Ein Gewinn für beide Seiten: Die Veranstalter sparen Geld und nehmen durch den Verkauf des Futters sogar noch etwas ein, die Touristen wiederum haben Spaß an der Sache. Auf einem Gerüst kniend, vor sich den Elefanten, der brav den Rüssel über den Kopf hebt, schieben sie ihm - nicht Auge in Auge, sondern Auge in Schlund - leckeres Obst in das Maul. Was er mag, was ihn aber nicht lange beschäftigt, denn ruckzuck sind die Happen verschwunden und das Maul geht wieder auf. Plötzlich, während Karin noch mit dieser Art des Elefanten-Verwöhnens befasst ist, setzt ein kräftiger Regen ein, und wie alle anderen suchen wir Schutz. Eng an eng stehen wir mit Dutzenden Sri Lankern in einem Unterstand, der offenbar für Fälle wie diesen errichtet wurde. Einige packen Picknicktaschen aus, andere taxieren den Himmel und warten. Da wir bereits am Ende unseres Besuches angelangt sind, kämpfen wir uns nach kurzem Ausharren durch den strömenden Regen zu unserem Auto, in dem Samantha, unser Fahrer, bereits auf uns wartet. "Nice place?", will er wissen. Wir bejahen mit Nachdruck. Auch wenn das mit dem "Waisenhaus" nicht gestimmt hat - eindrucksvoll war die Begegnung mit den vielen Elefanten auf jeden Fall. Vor allem ihr Marsch durch die Souvenirstraße war es, der es uns angetan hat. Wie die Elefantenkompanie von Colonel Hathi.              
 
Manfred Lentz
 

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(aus naheliegendem Grund erscheint der nächste Bericht diesmal am 28. Februar)