Edle Hallen und ein grotesker Albatros.
Das Harrods in London ist eines der exklusivsten Kaufhäuser der Welt. 2014
 
Was für eine Nachlässigkeit - wir haben ein Schnäppchen verpasst! Geht man von den Preisen aus, die Spitzenweine bei Auktionen erzielen und die sich durchaus im fünfstelligen Bereich bewegen können, so ist die Flasche Rotwein für schlappe 2.000 Britische Pfund (etwa 2.500 Euro) fast hinterher geschmissen. Vermutlich hätten wir ein Qualitätszertifikat dazu bekommen und außerdem eine Verpackung, die so richtig etwas hergemacht hätte. Aber wir haben unsere Chance verpasst. Jedenfalls für dieses Mal. Denn wer weiß - vielleicht sind bei unserem nächsten Besuch ja noch nicht alle Flaschen verkauft ...
 
 
Wir sind im Kaufhaus Harrods im vornehmen Londoner Stadtbezirk Royal Borough of Kensington and Chelsea. Harrods ist eines der berühmtesten, größten und exklusivsten Warenhäuser weltweit, und für die Besucher der britischen Hauptstadt ist es nach dem Parlament und Big Ben die wichtigste Anlaufadresse. Was für Berlin das KaDeWe, für Paris die Galeries Lafayette und für New York das Macy's, das ist für London das Harrods. Im Jahr 1834 von Charles H. Harrod als Zweimannbetrieb für Lebensmittel und Tee gegründet, beschäftigt es heute rund 5.000 Mitarbeiter in 330 Abteilungen, die ein Angebot bereit halten, das von Haute Couture und Beauty-Produkten über edle Wohndekorationen und Haushaltswaren mit dem gewissen Etwas bis hin zu ausgefallenen Accessoires für den vierbeinigen Liebling reicht. Luxus, Stil und Tradition stehen als Leitmotive über einem erstklassigen Angebot, über das jahrzehntelang selbst die Royals highly amused waren. Nicht zuletzt in der Lebensmittelabteilung konnte man sie gelegentlich beim Shoppen sehen, in den Food Halls, die zwar kleiner sind als die entsprechende Abteilung im Berliner KaDeWe, die dessen Räumlichkeiten mit einem großartigen Jugendstil-Ambiente aber architektonisch in den Schatten stellen. Womöglich auch mit den angebotenen Waren, wobei ich mir in dieser Hinsicht allerdings als jemand, der eher selten eine Flasche Wein für 2.500 Euro kauft oder eine 3-kg-Packung Pralinen für 3.800 Euro, nicht ganz sicher bin. Ein Erlebnis ist der Bummel durch die Food Halls allemal, ebenso wie durch die sieben Etagen mit ihrem erlesenen Angebot, bei dessen Anblick so mancher Besucher leuchtende Augen bekommt. Keine bedeutende Marke, die hier nicht präsent wäre. Doch wie schon das KaDeWe vor einigen Jahren feststellen musste, dass mit First Class Shopping allein nicht genug Geld zu verdienen ist, so hält auch das Harrods neben Hochkarätigem Offerten für die kleineren Geldbörsen bereit. Nicht zuletzt jene vielen Produkte von Kugelschreibern über Kuscheltiere und Handtaschen bis hin zu Schmuckstücken, die die Marketing-Abteilung des Hauses mit dem prestigeträchtigen Harrods-Logo veredelt hat.
Und dann ist da noch das Denkmal für Lady Diana, das unser Reiseführer erwähnt. Wir machen uns auf die Suche, finden es nicht gleich, erkundigen uns mehrmals und erwarten die ganze Zeit über eine bescheidene Erinnerung, die irgendwo versteckt in dem riesigen Gebäude an die Prinzessin der Herzen erinnert. Doch was wir schließlich im Untergeschoss eines Treppenhauses finden, ist alles andere als bescheiden - ganz im Gegenteil! Nanu, mag mancher jetzt denken, was hat die verstorbene Prinzessin denn mit Harrods zu tun? Zur Erinnerung: Im Jahr 1985 ging das Kaufhaus - sehr zum Verdruss vieler traditionsbewusster Briten - in den Besitz eines Ägypters namens Mohamed Al-Fayed über, elf Jahre später avancierte dessen Sohn Dodi Al-Fayed zum Liebhaber der von Prinz Charles geschiedenen Lady Diana. Ein gefundenes Fressen für die Sensationspresse und eine Herausforderung für alle Paparazzi dieser Welt, einem einschlägigen Publikum den ultimativen Foto-Kick zu liefern. Am 31. August 1997 dann der Crash, als der alkoholbenebelte Fahrer von Diana und Dodi den Wagen auf der Flucht vor den Kameras in einer Pariser Unterführung gegen einen Pfeiler lenkte und damit das Leben der beiden ein jähes Ende fand. Ein Hergang, den Dodis Vater indes nicht wahrhaben wollte. Für Mohamed Al-Fayed war das Geschehen kein tragischer Unfall. Er ging davon aus, dass es sich um ein Komplott des britischen Geheimdienstes handelte. Ein Auftragsmord also, der die "unschickliche" Liaison zwischen der geschiedenen Prinzessin und dem "moslemischen Playboy" beenden sollte. Vor allem Prinz Philip, der Gemahl der Königin, habe dahinter gesteckt, so die Mutmaßung des Vaters, der sich konsequent weigerte, das Ergebnis der offiziellen Untersuchung des Vorfalls zu akzeptieren. Als die Royals daraufhin seinem Kaufhaus den Status eines Hoflieferanten entzogen, den Harrods jahrzehntelang innegehabt hatte, ließ Al-Fayed die königlichen Wappen von der Fassade des Kaufhauses medienwirksam als Protest gegen die vermeintlichen Mörder verbrennen. Und er errichtete einen Schrein zum Gedenken an seinen Sohn und Diana, den er später mit einem Denkmal erweiterte.
 
 
Und mit was für einem Denkmal! Zuerst sehen wir nur die Bronzeplastiken der beiden Verunglückten - zwei Liebende, die sich tief in die Augen schauen und dazu aus ihren Händen einen Albatros in die Freiheit entlassen, ein Symbol der Ewigkeit und des Glücks, das ihnen verwehrt blieb. Und damit auch jeder begreift, was der Vater mit dieser Plastik zum Ausdruck bringen wollte, hat er seine These in den Sockel einprägen lassen: "Innocent Victims", Unschuldige Opfer. Den Rest - Prinz Philip, den britischen Geheimdienst usw. - muss der Betrachter sich denken. Aber das ist längst nicht alles. Als wir uns von der Skulptur abwenden und unsere Blicke schweifen lassen, entdecken wir, dass die Vaterliebe von Al-Fayed Senior zu seinem Junior und die Trauer um die Frau, in der er womöglich bereits seine künftige Schwiegertochter gesehen hat, noch weit größer war. Die alten Ägypter haben ihren Pharaonen seinerzeit Pyramiden erbaut, doch das, was der neue Ägypter Al-Fayed getan hat, ist nicht weit davon entfernt: Über das gesamte fünfstöckige Treppenhaus hat er das Land am Nil an die Themse gezaubert, einschließlich zweier Sphingen mit seinem eigenen Gesicht und mit Ornamenten in der Art alt-ägyptischer Königskartuschen, in denen in Hieroglyphenschrift vermutlich die Namen der beiden Toten geschrieben stehen. Hollywood lässt grüßen oder wahlweise auch Disneyland. Und damit die Erinnerung an Dodi und Diana niemals erlischt, hat Al-Fayed sich den Fortbestand seines Gedächtnis-Ensembles vertraglich zusichern lassen, als er im Jahr 2010 sein Kaufhaus für 1,8 Milliarden Euro an einen Investor aus dem arabischen Emirat Katar verkaufte. Also werden die beiden unglücklich Liebenden sich auch in Zukunft weiter in die Augen sehen und ihren Albatros auf die Reise schicken - zum Entsetzen derjenigen Harrods-Besucher, die das Denkmal ordinär und grotesk finden oder zur wohligen Erinnerung für die anderen, die beim Anblick dieser Gedenkstätte von Rührung übermannt werden. Auf jeden Fall aber zum Wohl von Harrods, das auf diese Weise über eine zusätzliche Attraktion verfügt.
 
Kommt der Abend, gehen an der Fassade des Kaufhauses 12.500 Glühbirnen an, von denen jeden Tag 300 ausgewechselt werden müssen. Damit Harrods allezeit in jenem Glanz erstrahlt, der für die Briten ein unverwechselbares Stück ihrer Tradition ist und der die Touristen geradezu mit magnetischer Kraft anzieht. Ein London-Trip ohne Harrods? Geradezu undenkbar. Also rein in die U-Bahn, an der Station Knightsbridge aussteigen und dann einfach den Massen hinterherlaufen. Ob nun auf der Suche nach Luxus oder nach Dingen, die auch für normal Sterbliche erschwinglich sind - Hauptsache, der Name Harrods steht drauf oder zumindest auf der Rechnung als Zeichen, dass man auch einmal dort war. Und bei dieser Gelegenheit vielleicht eine Flasche Wein mitnehmen, um die kräftezehrende Besichtigung des riesigen Konsumtempels mit einem Gläschen ausklingen zu lassen. Es muss ja nicht gerade die 2.500er Flasche sein.
 
Manfred Lentz
 

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