Jwd, aber Spitze!
Ein Besuch in den "Gärten der Welt". Berlin 2014
Ein Besuch in den "Gärten der Welt". Berlin 2014
Waren Sie schon einmal in Berlin zu Besuch, meiner Heimatstadt, und haben Sie schon einmal mit einem Berliner gesprochen? Falls ja, haben Sie mit Sicherheit eine unserer typischen Verhaltensweisen kennen gelernt, denn mit der können wir meist nicht länger als ein paar Minuten hinter dem Berg halten: Wir Berliner meckern gern, und zwar über alles, ob es nun das Wetter ist, die öffentlichen Verkehrsmittel oder die Verkäuferin hinter der Wursttheke. Meckern wir nicht, sind wir nicht gesund. Und da ich diese Verhaltensweise kenne, war mir schon vorher klar, wie meine Bekannten diesen Tipp aufnehmen würden: Fahrt doch mal in die "Gärten der Welt" nach Berlin-Marzahn! Marzahn?! Aber das ist doch jwd, erhielt ich zur Antwort, "janz weit draußen", da ist man so lange unterwegs, und außerdem gibt es da diese scheußlichen Plattenbauten, und dann treiben da auch noch die Rechten ihr Unwesen ... Kein neugieriges "Was gibt es denn da zu sehen?", nicht der Satz "Gärten der Welt - das hört sich ja spannend an" - nein, pures Gemecker. Doch das sollte Sie, falls Sie Berlin einmal einen Besuch abstatten wollen, nicht weiter bekümmern. Meine Empfehlung: Fahren Sie bei dieser Gelegenheit auch nach Marzahn und schauen Sie sich die "Gärten der Welt" an. Dass es sich lohnt, zeigt nicht zuletzt die Tatsache, dass diese Gärten einen Platz in der Initiative "Deutschland - Land der Ideen" bekommen haben, die von der Bundesregierung zusammen mit der Wirtschaft vor einigen Jahren ins Leben gerufen wurde.
Im Jahr 1987 und damit noch zu Zeiten der Teilung im damaligen Ost-Berlin eröffnet, wurde die Anlage seit der Wiedervereinigung als Gesamtberliner Projekt fortgeführt und weiterentwickelt, ab 2000 unter dem heutigen Namen "Gärten der Welt". Wir haben uns für unseren Besuch die Ostertage ausgesucht, nicht ideal wegen des Andrangs, aber "ein Wetterchen zum Eierlegen", was einen solchen Besuch natürlich besonders lohnenswert macht. Wiesen, auf denen es sich wunderbar picknicken lässt, erwarten die Besucher, liebevoll gestaltete Spielplätze für die Kinder, vor allem aber die Gärten, die dem Park seinen Namen gegeben haben. Neun sind es zur Zeit, ein weiterer - ein Englischer Garten - ist im Aufbau. Und wer weiß, was den Machern in Zukunft noch alles einfallen wird, genügend Platz für die Umsetzung weiterer Ideen steht ihnen jedenfalls zur Verfügung.
14 Jahre ist es her, seit der erste Themengarten angelegt wurde - der Chinesische, der bereits wenige Jahre später als drittschönste Parkanlage Deutschlands ausgezeichnet wurde und der der größte Chinesische Garten in Europa ist. Da man im Reich der Mitte blumige Namen liebt, heißt er "Garten des wiedergewonnenen Mondes", was als Anspielung auf die wiedergewonnene deutsche Einheit gedacht ist. Vielleicht ein wenig weit hergeholt, aber womöglich fehlt mir ja nur die asiatische Fantasie. Chinesen vom Pekinger Institut für Klassische Landschaftsgärtnerei waren es, die den Garten angelegt haben, zum Teil mit Materialien aus ihrem eigenen Land. Ein von chinesischer Architektur gesäumter Teich bietet reizvolle Blicke, das "Berghaus zum Osmanthussaft" (warum Berghaus?) ist der ideale Ort, dem Teetrinker-Motto zu folgen und bei einem zarten Darjeeling oder einer Grüntee-Spezialität "die Zeit zu vergessen".
"Garten des zusammenfließenden Wassers" haben die Japaner ihre Anlage genannt, ebenfalls eine blumige Formulierung und wie schon bei ihren Nachbarn eine Anknüpfung an die deutsche Einheit. Ein Name, der so ganz anders ist, als hätten wir ihn gewählt: Bei uns wäre es ein "Japanischer Garten" gewesen, und Schluss! Genau so, wie es bei uns einen "Balinesischen Garten" geben würde und keinen "Garten der drei Harmonien". Im Unterschied zu allen anderen Anlagen liegt diese als einzige der tropischen Bepflanzung wegen in einer Halle. Schwüle Wärme also selbst an kühlen Tagen. Ein Weg führt durch die (winzige) Tropenwelt, in deren Mitte sich ein Ausschnitt einer balinesischen Wohnanlage inklusive mehrerer Götter-Schreine befindet. "Gibt es hier Schlangen?", fragt ein Knirps seine Mutter. Wohl eher nicht, aber ein wenig nach Urwald sieht es schon aus. Nicht weit entfernt liegt schließlich der Koreanische Garten, eine für meinen Geschmack recht spartanische Anlage, die den Ausflug nach Asien abschließt.
Von Asien nach Europa, und hier ist der Irrgarten das erste Highlight, vor dem wir stehen. Anlagen dieser Art besitzen eine lange Tradition und haben seit dem Zeitalter der Renaissance Generationen galanter Herren der höfischen Gesellschaft und ihren gepuderten Damen als Spielwiese gedient. Natürlich müssen wir da rein, und ebenso natürlich nehme ich an, dass es sich bei diesem Irrgarten lediglich um eine Attrappe handelt, die die Aufgabe hat, den Besuchern das Prinzip eines Irrgartens nahezubringen. Schließlich, so sage ich mir, kann die Verwaltung kaum daran interessiert sein, Abend für Abend diejenigen einzusammeln, die den Ausgang noch immer nicht gefunden haben. Ein krasser Fehlschluss, wie wir nach einigen Abzweigungen, Kreuzungen und Sackgassen sehr schnell bemerken! Von dem kleinen Aussichtspunkt in der Mitte könnten wir uns einen Überblick verschaffen, wo es lang geht, doch den zu erreichen erweist sich als ebenso schwierig, wie den Ausgang zu finden. Nach einer Weile macht uns die Sache keinen Spaß mehr, und das Wort vom "blöden Irrgarten" fällt. Schließlich erscheint die Erlösung in Gestalt einer Besucherin mit einem Eis in der Hand, von dem sie noch kaum etwas verzehrt hat, das sie also gerade erst gekauft haben muss. Wir gehen in die Richtung, aus der sie kam - und sind draußen! Vielleicht, so geht es mir durch den Kopf, lächeln die Asiaten ja deswegen so viel, weil es bei ihnen solche Irrgärten nicht gibt ...
Entspannung pur ist der nächsten Garten, der "Giardino della Bobolina". Eine Entführung "in die sonnigen Gefilde Italiens", wie es auf der Website des Veranstalters heißt. Ein Renaissancegarten mit akkurat geschnittenen Buchsbaumhecken, kunstvoll angelegten Wegen, Skulpturen und Pflanzen in Terrakottagefäßen, der dem Besucher eine Ahnung von toskanischem Dolce Vita vermittelt. Noch ein gutes Stück höher ist der Anspruch des "Orientalischen Gartens". Sein Vorbild ist nichts weniger als "das Paradies, ein Garten des Friedens und der vollkommenen Zufriedenheit", wie es anlässlich der Eröffnung formuliert wurde. Mit plätscherndem Wasser, viel Grün, was den Bewohnern der heißen Länder so wichtig ist, sowie Kacheln und Ornamenten von der Art, wie man sie - ein paar Nummern größer - beispielsweise auf der spanischen Alhambra sehen kann. Schließlich sei noch der "Christliche Garten" erwähnt, eine originelle moderne Variante eines mittelalterlichen Klostergartens. Wo üblicherweise der Kreuzgang verlief, in dem die Mönche meditierten, bilden Wände aus metallenen Schriftzeichen die Begrenzungen - Sätze aus dem Alten und Neuen Testament sowie aus Philosophie und Kultur. Eine Einladung zum Lesen, Nachdenken und Verweilen. Wem das Lesen zu mühsam ist - mit einem schnellen Blick sind die Texte nicht zu erfassen -, der kann sich auch einfach an der Ästhetik der Komposition erfreuen. An dem Wechselspiel von Licht und Schatten auf dem schimmernden Metall, das einen ganz eigenen Reiz hat.
Lagen die Besucherzahlen des Parks im Jahr 1995 bei 132.000, so waren es 2012 bereits über 720.000, und für die kommenden Jahre rechnen die Veranstalter gar mit mehr als einer Million. Eine Annahme, die realistisch erscheint, ist den "Gärten der Welt" doch im Rahmen der Internationalen Gartenbauausstellung (IGA) 2017 eine Schlüsselrolle zugedacht. "Spätestens dann", schreibt der Tagesspiegel, "müssen sich gestresste Berliner wohl einen anderen Ruheort suchen." Sehen Sie, da ist es wieder, dieses Gemecker, von dem ich einleitend gesprochen habe und ohne das selbst eine hiesige Zeitung nicht auskommen kann! Aber wer immer Sie auch sind, der Sie diesen Bericht lesen, ob nun Berliner oder jemand "von außerhalb": Lassen Sie sich von der Meckerei nicht beeinflussen und besuchen Sie die "Gärten der Welt", und das trotz des zu erwartenden Andrangs. Machen Sie sich auf den Weg nach Marzahn und sehen Sie, was Menschen verschiedener Länder und Kulturen sich für jene Orte ausgedacht haben, an denen sie Stille und Harmonie suchen, eine Synthese von Natur und Kultur oder die sie einfach nur deshalb angelegt haben, um für eine begrenzte Zeit ihrem Alltag zu entfliehen. Ich bin sicher, Sie werden diesen Ausflug nicht bereuen.
Manfred Lentz
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