Festgefahren
Sand und Fesch-Fesch sind für unseren VW-Bus ein Problem. Algerien 1989 und 1991
 
Man kann es nüchtern sehen wie der Berliner Mineraloge Prof. Franke: Fesch-Fesch ist ein trockener Treibsand in der Zentralsahara. Oft findet man ihn parallel zu Dünenketten, aber auch in Kieswüsten kommt er vor. Es handelt sich um ein zumeist grau-weißes, vom Wind abgelagertes Sediment, das häufig von einer dünnen Feinsandschicht bedeckt ist, weshalb man es besonders am Steuer eines Fahrzeugs erst spät erkennt. Fährt man hinein, kann man plötzlich bis zu 40 Zentimeter einsacken. Hinter dem Auto wirbelt eine große Staubfahne auf. Neben Sand besteht dieses Sediment aus Ton und Silt von sehr geringer Korngröße. Gips oder Puderzucker sind ein anschaulicher Vergleich.
 
Man kann es aber auch ganz anders sehen: Mein Magen zieht sich zusammen, meine schweißnassen Hände krampfen sich um das Lenkrad, mein Blick ist so starr auf die vor mir liegende Strecke gerichtet wie der Blick eines Generals auf sein Schlachtfeld. Vor einer halben Stunde haben wir die Straße verlassen. Über viele Kilometer war sie asphaltiert. Immer wieder gab es Schlaglöcher, einige beinahe so tief, dass ein Autoreifen darin hätte verschwinden können, die meisten nur flach und bei aufmerksamer Fahrt unproblematisch. Dann kam auf einmal etwas Gemeines, etwas ganz Fieses, was geeignet war, uns das Leben so richtig schwer zu machen: Steine quer über die Fahrbahn gelegt, verbunden mit dem Hinweis "Route barrée". Straße gesperrt. Wären wir jetzt in Deutschland, würden Schilder eine Umleitung ausweisen. Nicht so in Algerien. Da aber auch die algerischen Autofahrer nicht warten können, bis die beschädigte Straße ausgebessert und für den Verkehr wieder freigegeben ist, suchen sie sich eine Umfahrung, irgendwie und irgendwo. "Learning by doing" würden die Briten es nennen. Die Beschaffenheit des Untergrunds ist für die meisten Fahrzeuge dabei kein Problem, sie sind für die Wüste bestens ausgestattet. Anders verhält es sich mit unserem VW-Bus, einem Kompromiss zwischen "Wir wollen auf jeden Fall in die Sahara fahren" und "Ein optimales Wüstenauto ist uns zu teuer". Entsprechend sind wir ein paar Nummern kleiner unterwegs: 57 PS, Zweiradantrieb, normale Reifenbreite. Unter dem Motor haben wir ein Schutzblech anbringen lassen, wodurch der ohnehin schon geringe Abstand zum Boden noch geringer geworden ist. Wenn wir Glück haben, ist der Untergrund - von asphaltierten Straßen einmal abgesehen - steinig. Steine von unterschiedlicher Größe, manche so groß wie Murmeln, andere wie Kinderfäuste, über die wir aber, wenn auch nur langsam, hinweg fahren können. Haben wir weniger Glück, erwartet uns Sand. Und hat uns das Glück vollständig verlassen, so ist es Fesch-Fesch.
 
 
Letzteres ist in diesem Augenblick der Fall. Doch wir haben keine Wahl, wir müssen da durch. Ähnliche Empfindungen, wie ich sie in diesem Moment verspüre, dürfte ein Stier haben, bevor er auf den Torero los rennt. Ich lege den ersten Gang ein, überzeuge mich mit einem angestrengten Blick ein letztes Mal, dass in meiner vorgesehenen Fahrspur durch den Puderzucker kein größerer Stein liegt, atme noch einmal tief durch und gebe dann Gas. Der Wagen beschleunigt, legt die ersten Meter noch auf halbfestem Untergrund zurück, ich schiebe den zweiten Gang rein, an die Geschwindigkeit in diesem Augenblick kann ich mich nicht mehr erinnern, denn natürlich hängt mein Blick nicht am Tacho, und im nächsten Moment bin ich auch schon drin in dem Feld aus Fesch-Fesch, von dem ich nicht weiß, wie weit es sich erstreckt. Fünf Meter schaffen wir, dann sitzen wir fest. Die Reifen sind eingesunken, die Platte unter dem Motor liegt auf dem Puderzucker auf, diesem grässlichen Zeug, das die nachfolgende Zeit zu etwas macht, worauf wir gerne verzichten würden. Jetzt hilft nur noch systematisches Arbeiten: den Fesch-Fesch unter dem Motorblech mit dem Spaten entfernen bis der Wagen nicht mehr aufliegt, die Antriebsräder frei schaufeln, die eineinhalb Meter langen Sandbleche vom Dachgepäckträger herunter holen, auf dem sie festgeschraubt waren, und unter die Räder legen. Anschließend beginnt das gleiche Spiel noch einmal von vorn. Also wieder die Hände um das Lenkrad gekrampft, Gas gegeben und los - mit der Folge, dass der Wagen nach ein paar Metern erneut einsinkt. Und das nicht zum letzten Mal. In Momenten wie diesen beginnt man, das Leben zu hassen!
"Mit einem solchen Auto kann man doch nicht in die Wüsten fahren!", murmeln ein paar Tage später zwei Schweizer kopfschüttelnd vor sich hin, während sie unseren Bulli an den Haken ihres Landcruisers nehmen. Wieder einmal sitzen wir fest, diesmal nicht im Fesch-Fesch, sondern "nur" im Sand, den es in der Sahara halt immer mal wieder gibt. Längst nicht so häufig, wie manch einer vielleicht meint. Der weit überwiegende Teil der Wüste besteht aus Geröll von unterschiedlicher Größe, Sand bedeckt nur etwa den siebten Teil. Sand, der auf Bildern toll aussieht, herrliche Dünen mit atemberaubenden Formen, der für uns aber immer wieder zum Problem wird. Dass wir besser auf einer anderen Route unterwegs wären, sagen uns am darauffolgenden Tag auch die beiden Fahrer eines riesigen LKW mit achtzehn wuchtigen Reifen, die mühelos durch jede Sandstrecke mahlen. Unseren Wunsch, Djanet zu sehen, eine der schönsten algerischen Oasen, können sie zwar verstehen. Aber mit diesem Auto?! Natürlich sind sie nicht weniger hilfreich als die Schweizer, in der Einsamkeit lässt man den anderen nicht einfach liegen. Wir holen unser Abschleppseil heraus und hängen uns bei ihnen an. Wie ein Winzling sehen wir hinter ihrem Truck aus, und vermutlich spüren die Fahrer unser Auto nicht einmal, als sie es aus dem Sand ziehen. Mit Zigaretten, die wir als Geschenke für alle möglichen Gelegenheiten mitgenommen haben, zeigen wir uns erkenntlich. Dann wünschen die beiden uns eine problemfreie Weiterfahrt. "Wir sehen uns!", rufen sie uns noch zu, während ihr Wagen bereits anfährt. Ich weiß nicht, ob ihre Worte nur eine Floskel waren oder ob sie es ahnten - auf jeden Fall sehen wir uns tatsächlich wieder, als sie einige Kilometer weiter eine Rast machen und wir uns genau vor ihren Augen in einem weiteren Sandfeld festfahren. Grinsende Gesichter, erneut ein paar Sätze über die schwierige Piste, und abermals wechseln Zigaretten ihre Besitzer. Die restliche Strecke bis Djanet unweit der libyschen Grenze schaffen wir anschließend allein.
 
Dass man dem Sand auch anders begegnen kann, hatten wir während der Vorbereitung auf die Reise gelesen, und natürlich probieren wir das Rezept aus. "Lasst reichlich Luft aus den Reifen", hatte jemand geschrieben, "dadurch werden diese breiter und ihr sinkt nicht so leicht ein." Ein Verfahren, das nicht nur nützlich ist, sondern uns einmal sogar ein ganz neues Fahrerlebnis beschert: durch ein Sandfeld hindurch, mit Schwung und gut dosiertem Gas eine Düne hinauf und über den Kamm auf der anderen Seite hinunter gerutscht. Es ist wie Skifahren im Schnee. Doch Luft aus den Reifen ablassen bedeutet, die Reifen nach dem Ende der Sandstrecke wieder aufpumpen zu müssen, und das ist eine mühsame Angelegenheit. Zwei Pumpen haben wir von zu Hause mitgenommen, eine elektrische und eine, die mit dem Fuß bedient werden muss. Die elektrische arbeitet nicht nur äußerst langsam, sie macht auch bereits nach wenigen Einsätzen schlapp. Wir sind heilfroh, unseren mechanischen Ersatz zu haben. Nur - vier Reifen mit einer kleinen Fußpumpe aufzufüllen und das womöglich mehrmals am Tage, ist auch nicht gerade ein Vergnügen.
 
 
Eine letzte Erinnerung: Wie üblich sind wir seit den frühen Morgenstunden unterwegs, abermals eine faszinierende Landschaft mit großartigen Blicken, und wie an jedem Tag wissen wir allen Problemen zum Trotz, warum wir uns auf diese Tour eingelassen haben. Dann am späten Nachmittag abermals Sand - links kleine Hügel, rechts kleine Hügel, dazwischen eine schmale Gasse aus Sand. Die Stelle umfahren ist nicht möglich, wir müssen sie durchqueren, und das vor Anbruch der Dunkelheit. Einheimische Fahrer sind gelegentlich auch nachts unterwegs, und falls wir dann mitten in dieser Gasse stehen würden ... Das übliche Spielchen von Festfahren und Freischaufeln beginnt, diesmal jedoch mit einem größeren Aufwand als gewöhnlich. Schon bald sind nicht nur zwei Sandbleche im Einsatz, sondern vier, dazu der Wagenheber samt untergelegter Bretter, um das Auto so weit anzuheben, dass wir die Sandbleche unter die Räder schieben können, ohne zuvor die halbe Sahara abzutragen. Mehrmals müssen wir diese Prozedur wiederholen, während die Sonne gnadenlos immer tiefer gegen den Horizont sinkt. Schließlich haben wir Glück und der Wagen findet festen Untergrund, so dass ich mit einem kräftigen Schwung das restliche Stück des Sandes hinter mich bringe. Auch jetzt, da ich diese Zeilen schreibe, fallen mir wieder die Fragen ein, die wir uns damals gestellt haben: Warum tun wir uns das eigentlich an? Warum verbringen wir "die schönsten Wochen des Jahres" mit Sandschaufeln in der Sahara, einer Tätigkeit, die der des Sisyphos recht nahe kommt? Warum sitzen wir nicht irgendwo am Strand, trinken ein gut gekühltes Weizenbier oder laben uns an einem leckeren Büffet? Aber natürlich sind das alles rein rhetorische Fragen, denn natürlich haben wir die Antwort auf diese Fragen gewusst, wenn vielleicht auch nicht gerade in einem Moment wie diesem. Trotz aller Mühen war unsere Reise ein fantastisches Erlebnis, und heute ist sie eine großartige Erinnerung. Oder um es auf den Punkt zu bringen: Toll war's - trotz Sand und Fesch-Fesch!
 
Manfred Lentz

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