"Legio patria nostra"
Auch heute noch begegnet man in Algerien den Spuren der Fremdenlegion. 1980-1991
 
Es ist kalt, und in unseren Haaren zaust ein frischer Wind, wie er im Winter im Norden Algeriens nicht selten ist. Den VW-Bus haben wir neben der Straße stehen lassen - einer beinahe schnurgeraden Straße, der wir seit Stunden folgen - und sind nun zu Fuß unterwegs. Der Grund für unseren Abstecher sind auffällige Strukturen im Wüstensand, die wir vom Auto aus entdeckt haben und die wir uns näher ansehen wollen. Wie Nomadenzelte sehen sie nicht aus, es muss etwas anderes sein. Als wir näher heran sind, erkennen wir Reste eines aus Steinen errichteten und aus mehreren Räumen bestehenden Gebäudes. Sand bedeckt große Teile davon, und es ist wohl nur eine Frage der Zeit, bis die Wüste diesen Fremdkörper gänzlich verschlungen hat. Das Gebäude ist keines von der Art, wie die Algerier sie errichten. Dieses hier wurde von den Franzosen erbaut. Und "Franzosen" heißt in diesem Fall: von der Fremdenlegion.
 
Fremdenlegion - ein schillerndes Wort, das jeder schon einmal gehört hat. Eine geheimnisvolle, irgendwie unheimliche Organisation, die für die Härtesten der Harten steht und für Abenteuer. "Es soll eine Legion errichtet werden, deren Angehörige ausschließlich Ausländer sind. Diese Legion wird den Namen Fremdenlegion führen." Worte des französischen Königs Louis Philippe aus dem Jahr 1831, mit denen die "Legion étrangère" gegründet wurde. Erster Einsatzort der neuen Truppe sollte Algerien sein, mit dessen Kolonialisierung Frankreich gerade begonnen hatte. Zahlreiche Deutsche waren unter den Legionären, daneben Schweizer und Italiener, Polen und Spanier sowie Männer aus etlichen weiteren Ländern, die meisten von ihnen gescheiterte Existenzen oder politische Flüchtlinge, viele auch solche, die mit dem Gesetz in Konflikt geraten waren. Um dem Gefängnis zu entgehen, hatten sie sich der Legion angeschlossen, spielte ihr Vorleben dort doch ebenso wenig eine Rolle wie ihre Nationalität. "Legio patria nostra" war das Motto der Legionäre, "Die Legion ist unser Vaterland", und einmal in ihre Reihen aufgenommen, war man der unbekannte Soldat, bei dem nur noch der Einsatz zählte. Ein Einsatz, der - was Neulinge nur allzu schnell begriffen - alles andere als ein Zuckerschlecken war.
 
 
Fort Gardel, Fort Polignac, Fort Flatters, Fort Serouénout ... Immer wieder begegnen wir auf unseren Touren durch die Sahara diesen alten Befestigungen. Mitunter sind Orte aus ihnen hervorgegangen, bei denen neben den heutigen algerischen Namen auch noch die aus der Franzosenzeit lebendig sind. Oft aber liegen sie genauso isoliert wie einst mitten in der einsamen Landschaft. Fort Serouénout ist ein Beispiel dafür. Wir erreichen es, als wir auf der Piste nach Tamanrasset unterwegs sind. Anders als bei dem eingangs erwähnten kleinen und vermutlich weniger bedeutsamen Fort finden wir im Fall Serouénout in unserem Reiseführer einen Hinweis auf die Anlage. Wir sind die einzigen Besucher, was nicht weiter erstaunlich ist. Im Laufe des Vormittags haben wir lediglich zwei Autos getroffen, und bis zum Abend werden es vermutlich auch kaum viel mehr sein, das war's dann auch schon auf dieser Strecke. Wir gehen durch das Tor und finden uns zwischen mehreren relativ gut erhaltenen Gebäuden aus landestypischen Lehmziegeln wieder. Gut erhalten allerdings nur, was die Außenmauern und Wände betrifft, denn außer denen ist nichts weiter vorhanden. Mit Ausnahme eines Kamins in einem der Räume. Ein höchst merkwürdiges Interieur auf den ersten Blick - ausgerechnet in der Sahara ein Kamin, wo die Temperatur im Sommer tagsüber auf 40, 50 und noch mehr Grad ansteigen kann. (Im Schatten wohlgemerkt, nur wo in der Wüste gibt es Schatten?) Doch längst wissen wir aus eigener Erfahrung, wie kalt es hier nachtsüber werden kann, da ist ein Kamin durchaus nützlich. Ansonsten aber herrscht gähnende Leere in dem ehemaligen Fort, sieht man von einem zugemüllten Erdloch ab, das allerdings keine Reste der Fremdenlegion bewahrt, was höchst spannend wäre, sondern - unglaublich, aber wahr - Müll aus der Gegenwart. Während der Wind um die Ecken pfeift, durchwandern wir Raum für Raum und versuchen, uns in das Leben der damaligen Bewohner hineinzuversetzen. Ohne großen Erfolg, wie wir feststellen. Doch zum Glück gibt es Legionäre, die ihre Erlebnisse aufgezeichnet haben, und die mit ihren Erinnerungen die toten Mauern zum Sprechen bringen. Einer von ihnen ist Erwin Rosen, ein Deutscher.
"Halbnackt lag ich auf meinem Bett. Das Zimmer war heiß, heiß wie ein Backofen, geschwängert mit der Ausdünstung vieler Menschen. Von Fenster zu Fenster zog sich ein grellblendender Sonnenstreifen durch den länglichen Raum, und die Sonnenstäubchen tanzten und wirbelten im Kreis. Und Hitze, Hitze, daß sich die Mauern heiß anfühlten! Die Menschen in dem nackten, kalkgeweißten Zimmer lagen stöhnend auf ihren Betten, in allen möglichen und unmöglichen Stellungen. Die einen fluchten, andere stritten sich ... Da kommt der Befehl zum Ausrücken, die Aussicht auf Soldatenarbeit ist da. Da hallt Jubel durch die Kasernen - der Kampf bedeutet Erlösung aus Fron ohne Ende! ... Der Friede zwischen Franzosen und Arabern im tiefen Süden Algeriens ist etwas sehr Problematisches. In den winzigen militärischen Stationen an der Saharagrenze gehören kleine Scharmützel zum täglichen Leben. Wenn die Station alarmiert wird, und die dreißig oder vierzig Mann Besatzung ausrücken, um in Gewaltmärschen einen räuberischen Beduinenstamm zu verfolgen, so weiß jeder Legionär ganz genau, daß es jetzt heißt: Marschieren oder sterben! ... Der Beduine, der Araber bedeutet dem Legionär keinen persönlichen Feind: er ist dem Wüstenräuber eher noch dankbar für die Abwechslung, die Aufregung, die er in das entsetzlich einförmige Leben auf den Grenzstationen bringt."
 
Rosen trat 1905 in die Fremdenlegion ein und leistete seinen Dienst in Algerien, verließ die Legion aber schon zwei Jahre später wieder, indem er floh. Womit er einer der wenigen Legionäre war, denen die Flucht gelang. Die allermeisten wurden erwischt und anschließend zu grausamen und menschenverachtenden Strafen verurteilt - nach Ansicht der (in der Regel französischen) Offiziere die einzige Möglichkeit, die Disziplin in der Truppe zu erhalten. In einer Truppe, die unter den elendsten Bedingungen lebte, deren Angehörige ständig unter dem Damoklesschwert des "cafard" standen, des Legionskollers, und die es deshalb als einen Glücksfall empfanden, wenn es endlich zum Kampf kam. Ich bin kein Freund langer Zitate, aber Rosen beschreibt die selbst erlebte Atmosphäre in den Wüstenforts so anschaulich, dass ich ihm noch einmal das Wort gebe:
Ehrenkodex eines Fremdenlegionärs

1.  Legionär, du bist ein Freiwilliger, der Frankreich mit Ehre und Treue dient.
 
2.  Jeder Legionär ist dein Waffenbruder, gleich welcher Nationalität, Rasse oder Religion.
     Du bezeugst ihm jederzeit engste Verbundenheit, so als wäre er dein leiblicher Bruder.
 
3.  Du respektierst deine Traditionen und bist deinen Vorgesetzten treu ergeben. Disziplin
     und Kameradschaft sind deine Stärke, Mut und Treue deine Tugenden.
 
4.  Deinen Status als Fremdenlegionär zeigst du durch tadelloses, immer elegantes 
     Äusseres, dein Benehmen ist würdevoll und zurückhaltend. Deine Kaserne und deine 
     Unterkunft sind immer sauber.
 
5.  Als Elitesoldat trainierst du unerbittlich, du behandelst deine Waffe, als wäre sie dein
     höchstes persönliches Gut, du bist ständig bestrebt, deine körperliche Verfassung zu
     verbessern.
 
6.  Der erteilte Befehl ist heilig, du führst ihn - unter Respektierung der Gesetze und
     international geltender Konventionen - bis zu seiner Erfüllung aus; sollte es nötig
     sein unter Einsatz deines Lebens.
 
7.  Im Kampf agierst du umsichtig und mit kühlem Kopf sowie ohne Hass, du achtest deine
     besiegten Feinde. Deine gefallenen und verwundeten Kameraden sowie deine Waffen
     lässt du niemals zurück.
 
"In ewig gleichem Einerlei schlich Tag für Tag dahin. Das graue Gleichmaß ermüdete das Hirn und machte gleichgültig gegen die kleinen Rücksichten und die winzigen Gefälligkeiten, die Menschen aneinander üben sollten, die in hartem Leben auf engem Raum zusammengedrängt sind. Überall zeigte sich Häßlichkeit, und ein jeder, war er auch noch so ein Tölpel, wurde schnell klug genug, um die schlechten Seiten in dem Mann zu erkennen, der täglich neben ihm arbeitete und nächtlich neben ihm schlief. Kleinliche Bosheit, unverantwortlicher Klatsch, lächerliche Kleinintrigue bildeten die Atmosphäre der Mannschaftsstube, in der wir zwanzig Menschen atmeten. Geraune und Getuschel in allen Ecken und Winkeln... Fremdenlegionskoller. Kein Legionär entgeht ihm. Die anderen Kameraden im Zimmer hatten alle zuzeiten in größerem oder geringerem Grade den Cafard ... Zusammengepfercht wie Pferde in einem schlechten Stall wurden die Menschen bösartig. Man stritt sich um den Viertelliter Kompagniewein, der jeden zweiten Tag verteilt wurde, und wachte mit lächerlichem Argwohn darüber, daß nicht einer einen Tropfen mehr bekam als ein anderer: man zankte sich um ein Stückchen Brot: man sah in dem Bettnachbar einen Dieb, der einem ein wenig schwarzes Wachs stehlen wollte zum Lederputzen. Wenn einer mehr Arbeit aufgebürdet bekam als sein Nebenmann, schrie er Zeter und brüllte über Protektion und Günstlingswirtschaft und vermutliche gemeine Laster, die dem Beneideten leichtere Arbeit eintrugen. ... Sein Legionskoller kann in einem sinnlosen Wutausbruch explodieren: Cafardbesessene stoßen einem Kameraden das Bajonett in den Leib, ohne jeden Grund, ohne jeden äußeren Anlaß. Manchmal rennen sie hinaus in die Wüste, manchmal zerfetzen sie jedes Stückchen ihrer Ausrüstung, um sich und andere einmal gründlich zu ärgern!"
 
 
Eine extreme Natur, und als wäre das nicht genug, auch noch ein extremes Verhalten von Menschen. Was für ein Leben! Wir verlassen Fort Serouénout und seine bösen Geister, steigen ins Auto und fahren weiter. Noch mehrere Male begegnen wir auf unserer Reise Örtlichkeiten dieser Art, gelegentlich auch vor sich hin rostenden Stacheldrahthaufen, die auf die Franzosenzeit verweisen. Heute sind das alles nur noch harmlose Erinnerungen an eine schlimme Vergangenheit, ungefährlich im Vergleich zu den zur selben Zeit verlegten Minen, die bis in unsere Tage blutige Opfer fordern. Im Jahr 1962, nach einem achtjährigen, von beiden Seiten mit äußerster Härte geführten Krieg, beschloss Frankreich unter Charles de Gaulle, Algerien in die Unabhängigkeit zu entlassen. Nicht nur die regulären Truppen zogen ab, auch die Fremdenlegion verabschiedete sich von dem Land, in dem sie rund 130 Jahre im Kampf gegen die einheimische Bevölkerung gestanden hatte. Endlich konnte Algerien beginnen, seine eigene Geschichte zu schreiben. Leider keine durchgehend glückliche, wie vor allem der Bürgerkrieg der 1990er Jahre gezeigt hat. Aber zumindest eine eigene.
 
Manfred Lentz (Februar 2016)
 

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