Groß, schön und berühmt -
der Pariser Friedhof Père Lachaise. 2011
 
Hätte er kein Landhaus mit Gärten besessen - wohl nur wenige Menschen würden seinen Namen heute noch kennen: Francois d'Aix de Lachaise, ein Jesuitenpater aus der französischen Provinz, geboren im Jahr 1624 und gestorben im Alter von 85 Jahren in Paris. Doch er besaß ein Landhaus unweit der französischen Hauptstadt, und vor allem besaß er Gärten, und die nicht zu knapp. Ludwig XIV. hatte sie ihm geschenkt, der "Sonnenkönig", dessen Beichtvater er war. Und weil diese Gärten viele Jahre nach seinem Tod in einen Friedhof umgewandelt wurden, wird der Name des Paters noch heute jedes Jahr von Millionen Menschen in den Mund genommen: Le Cimetière du Père Lachaise, der Friedhof des Paters Lachaise. Oder kürzer und wie allgemein üblich: Père Lachaise.
 
Es ist dieser Name, der auf dem Schild der Station steht, an der wir zusammen mit anderen Touristen die Metro verlassen. Père Lachaise ist der größte Friedhof von Paris, einer der schönsten in Frankreich und überdies einer der bekanntesten weltweit. Volle 44 Hektar ist er groß, und wo der Kirchenmann - ganz weltlich - einst Feste für den Adel veranstaltete, befinden sich heute die Gräber von 70.000 Toten. Hatte man die Friedhöfe in Frankreich lange Zeit bei den Kirchen angelegt und damit innerhalb der Stadtgrenzen, so bestimmte ein Edikt im Jahr 1803, dass die Verstorbenen zukünftig nicht mehr unter Aufsicht der Kirche, sondern in Verantwortung der weltlichen Gemeinde außerhalb der Stadt zu begraben seien. Noch im selben Jahr gingen die einstigen Gärten des Père Lachaise in das Eigentum von Paris über, und die weitläufige Anlage verwandelte sich in einen Friedhof. Im folgenden Jahr 1804 fand die erste Beerdigung statt: Adélaide Paillard de Villeneuve, ein fünfjähriges Mädchen.
 
 
Das ideale Friedhofswetter ist es nicht, als wir unsere Besichtigungstour beginnen. Es ist ein warmer Tag im August, aber wenigstens ziehen graue Wolken herauf, wenn auch kein Nebel zwischen den Gräbern wabert oder es nieselt. Am Eingang erhalten wir einen Plan der Anlage, und den brauchen wir auch, denn ohne ihn würden wir uns auf dem weiten Areal hoffnungslos verlaufen. Wie es sich für den Plan eines solch berühmten Friedhofs gehört, sind die Gräber der auf ihm liegenden Prominenten eingezeichnet, und von denen gibt es auf Père Lachaise eine ganze Menge. Wir wählen einige Namen aus und machen uns auf den Weg. Père Lachaise ist die erste als Parkfriedhof angelegte Begräbnisstätte der Welt, eine von breiten Wegen und von verschlungenen Pfaden durchschnittene Anlage, die so gar nichts mit einem nüchternen, eng an eng mit weitgehend gleichförmigen Gräbern belegten Friedhof gemein hat. Ein Park eben, eine Einladung zum Promenieren ebenso wie zum Verweilen, wo man auf Bänken sitzen kann, um den Vögeln in den Baumkronen zu lauschen oder - falls man das will - über Leben und Tod zu sinnieren. Eine Insel der Ruhe und der Muße also und damit so ganz das Gegenteil von dem lauten und quirligen Paris, das gleich hinter der Friedhofsmauer beginnt. Gewiss haben diejenigen, die Père Lachaise für ihre letzte Ruhe ausgewählt haben, ein gutes Gefühl bei dieser Entscheidung gehabt. Wäre es nicht makaber, könnte die Verwaltung des Friedhofs durchaus mit dem Spruch werben: Hier liegt man gern.
Die Opernsängerin Maria Callas, die Schriftsteller Molière und Balzac, die Maler Delacroix, David und Modigliani sowie Jean-Francois Champollion, der berühmte Ägyptologe, dem die Entzifferung der Hieroglyphen zu verdanken ist ... Ein Prominentengrab, auf das man schon von weitem aufmerksam wird, ist das des Komponisten Frederic Chopin. Das Grab ist mit Fähnchen und Blumen geschmückt, davor haben sich mehrere Personen versammelt, die dem großen Pianisten polnischer Abstammung und einer weitgehend französischen Biographie die Ehre geben wollen. Seine Ruhestätte ist gepflegt, was bei einer Persönlichkeit dieses Ranges kaum anders zu erwarten ist. An manch anderen Grabstätten hingegen hat der Zahn der Zeit arg genagt, viele befinden sich in einem Stadium fortgeschrittenen Verfalls, die Inschriften sind nur noch schwer zu entziffern, und die Natur ist mit Kräften dabei, das ihr von Menschen entrissene Terrain zurückzuerobern. Was verständlicherweise vor allem für die älteren Gräber gilt, und das sind auf diesem Friedhof mit seiner mehr als zweihundertjährigen Tradition eine ganze Menge.
 
Bescheidene Grabstellen wechseln mit Mausoleen - manche aus Granit, einige sogar aus Marmor -, es gibt antik anmutende Statuen und Säulen, dazwischen aber auch moderne Skulpturen. Ein sehr schlichtes Grab ist zugleich eines der berühmtesten auf Père Lachaise, und vermutlich ist es auch das am meisten besuchte. Ist man erst einmal bis in seine Nähe vorgedrungen, erkennt man seine Lage ganz einfach, denn man muss nur auf die Menschenansammlung zuhalten. Natürlich haben auch wir dieses Grab auf dem Programm, liegt hier doch einer, mit dem wir aufgewachsen sind, dessen Schaffen ebenso zu unserer Generation gehört wie der Minirock, der Sputnik und die Proteste gegen den Vietnamkrieg: Jim Morrison, US-amerikanischer Sänger und Songwriter und als Frontmann der Gruppe "The Doors" einer der charismatischsten Rockmusiker seiner Zeit. Eine Bronzeplatte trägt eine altgriechische Inschrift, die sich mit "gemäß seinem Dämon" oder "gemäß seinem Schicksal" (?) übersetzen lässt. Ein paar Meter vor dem Grab - vielleicht treffender: vor der Kultstätte - soll ein Metallgitter Neugierige und Fans auf Abstand halten, nachdem es in früheren Jahren immer wieder zu Beschädigungen gekommen ist. Seither haben etliche der mehr als eine Million jährlichen Besucher von Morrisons Grab den daneben stehenden Baum zu dem Ort erkoren, an dem sie ihre Verehrung des Rock-Heroen für alle Welt sichtbar hinterlassen. Vermutlich ist dieser Baum der mit den meisten Inschriften "verzierte" weltweit. "Can you show me the way to the next Whiskey-Bar?" ist dort unter anderem zu lesen. Ein Songtext der Doors, aber auch einer der Gründe, warum ihr Sänger mit gerade einmal 28 Jahren ein frühes Grab gefunden hat.
 
 
Georges Moustaki, Edith Piaf, der Stadtplaner Georges-Eugène Haussmann, der dem heutigen Paris das Gesicht gegeben hat ... Auch das Grab des Chansonniers Gilbert Bécaud ist ein Anziehungspunkt für die Besucher, ebenso wie das eines eher Unbekannten mit Namen Gilbert Morard. Ein wichtiger Mann für die Entwicklung der französischen Eisenbahn. Nicht gerade spannend, doch zahlreiche Benutzer dieser Bahn fühlen sich offensichtlich dazu aufgerufen, auf Monsieur Morards Grab ihre Bahnfahrkarten oder Tickets der Pariser Metro abzulegen - eine Geste, über die der Tote gewiss schmunzelt, wenn er von einer Wolke über dem Friedhof auf seine Grabstätte schaut. Gar nicht schmunzeln dürften hingegen diejenigen, die mit dem Arzt und Politiker Joseph-Ignace Guillotin Bekanntschaft gemacht haben bzw. mit der nach ihm benannten Maschine, die er konstruiert hat, um das Hinrichten von Menschen effektiver zu gestalten, aber auch um es zu "humanisieren", d.h. ihre Leidenszeit zu verkürzen. Eine Absicht, die sich bizarr anhört, die allerdings keineswegs bizarr ist, wenn man sich die bis dahin gebräuchlichen Hinrichtungsmethoden vor Augen hält.
 
Und falls man selbst eines Tages auf diesem berühmten Friedhof zur Ruhe gebettet werden möchte? Das ist möglich, allerdings muss man dafür einen erklecklichen Betrag hinblättern: Ganze 13.430 Euro kostete ein Grab im Jahr 2012, immerhin mit einem Liegeversprechen bis in die Ewigkeit. Außerdem hätte man bei der Gestaltung eines Grabmonuments freie Hand, was ja auch ein gewisser Anreiz ist. Und so überlegen wir denn, während wir kurz vor 18 Uhr den Friedhof verlassen - eine Handglocke fordert alle Besucher dazu auf, wenn sie nicht die nächste Nacht in Gesellschaft von 70.000 Toten verbringen wollen -, ob wir nicht eines Tages ... wenn es denn so weit ist ... schließlich gönnt man sich ja sonst nichts ...
 
Manfred Lentz (September 2016)
 
 
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