"VEB Horch und Guck"
Das Stasi-Museum in Berlin-Lichtenberg. 2016
Das Stasi-Museum in Berlin-Lichtenberg. 2016
Lichtenberg ist ein Berliner Stadtbezirk mit einer Einwohnerzahl wie Augsburg oder Wiesbaden. Er liegt im ehemaligen Ostteil der Stadt, der uns West-Berlinern lange verschlossen war, weshalb sich viele von uns dort auch heute noch nicht so gut auskennen wie in "unseren" Bezirken. Was sich aber leicht ändern lässt, und genau das haben wir mit einer "Reise" nach Lichtenberg mal wieder getan. Eine gute Idee, wie wir anschließend resümiert haben.
An der Station Magdalenenstraße verlassen wir die U-Bahn, von dort aus sind es nur ein paar Gehminuten bis in die Normannenstraße. Ehemaligen Ost-Berlinern wird sich bei diesem Straßennamen womöglich der Magen zusammenkrampfen, und das aus gutem Grund. Saß in der Normannenstraße doch jene DDR-Institution, die üblicherweise Stasi genannt wurde, offiziell "Ministerium für Staatssicherheit" (MfS) hieß, und die im Volksmund den Spitznamen "VEB Horch und Guck" führte. Ein Moloch auf einer Fläche von 30 Fußballfeldern, mit bis zu 7.000 hauptamtlichen Mitarbeitern (in der gesamten DDR waren es 91.000) und nahezu 200.000 "Geheimen Informanten", also Spitzeln. Rund 180 Kilometer Akten hat die Stasi zusammengestellt, was angesichts von gerade einmal 17 Millionen DDR-Bürgern eine beachtliche Strecke ist. Verglichen mit der Ausbeute des US-amerikanischen Nachrichtendienstes NSA ist das allerdings nicht mehr als ein Klacks, wobei man natürlich nicht vergessen darf, über welche technischen Möglichkeiten die NSA heutzutage verfügt, die für das MfS noch nicht existierten. Dennoch erfolgte das Sammeln von Daten bei der Staatssicherheit mit einem Aufwand, der Befremden hervorruft. So wie im Fall meiner eigenen, mehrere hundert Seiten starken Akte - angelegt, weil ich als West-Berliner Student Kontakt zu DDR-Studenten unterhielt, was den staatlichen Aufpassern verdächtig erschien. Die Folge war, dass unsere Kontakte aufwändig überwacht wurden: Spitzel unter unseren Bekannten, Protokolle unserer Gespräche, geöffnete Post - zwar längst nicht das volle Programm, aber gleichwohl ein recht erheblicher Aufwand. Kapazitäten, die die DDR besser zur Sanierung ihrer maroden Wirtschaft eingesetzt hätte, aber das ist eine andere Sache. Seit dem Fall der Mauer sind diese Zeiten Geschichte, und weil das so ist, steht "die Normannenstraße", dieser einstige Top-Sicherheitsbereich der DDR, heute jedermann offen.
"Stasi-Museum" heißt die Gedenkstätte, die nach der Wende von Bürgerrechtlern der DDR im Haus 1 des zentralen Komplexes des MfS eingerichtet wurde, ein Teil davon in den Amts- und Arbeitsräumen des ehemaligen Hausherrn Erich Mielke. Es ist eine Dokumentation des Bösen, der man sich als Besucher gegenübersieht, wenn man in Rechnung stellt, welch gewaltige Macht dieser riesige Apparat jahrzehntelang über Menschen besaß und wie gnadenlos er sie eingesetzt hat. Fungierend als "Schild und Schwert" der Staatspartei SED und fußend auf den Grundsätzen, die der Gründer der russischen Geheimpolizei Tscheka (später KGB) Felix Dserschinski aufgestellt hatte. Jener Dserschinski - seiner Brutalität wegen der "Eiserne Felix" genannt -, dessen Statue die Mitarbeiter des Ministeriums einst gleich im Foyer empfing und die sie daran erinnerte, was von ihnen erwartet wurde. Heute empfängt die Statue uns und deutet damit die Richtung der umfangreichen Ausstellung an. Gut zusammengestellt und informativ gestaltet, werden den Besuchern die verschiedenen Tätigkeitsbereiche der Staatssicherheit präsentiert, die nicht nur als Geheimpolizei innerhalb der DDR fungierte, sondern ebenfalls als der Nachrichtendienst der DDR nach draußen. Fotos und Interviews dokumentieren das Geschehen, Schulungsfilme und Schriftstücke eröffnen Blicke hinter die Kulissen, dazu zeigen zahlreiche Gegenstände aus der operativen Arbeit des MfS wie getarnte Fotoapparate, Abhöreinrichtungen und Waffen das eingesetzte Arsenal. Fast wie aus der Saurierzeit erscheint uns heute dessen technischer Standard, doch wie effektiv sich ein Opfer zerstören lässt, ist vor allem eine Frage des Willens und weniger der Technik. Womit diese historische Ausstellung zugleich hochaktuell ist.
Vieles über die Tätigkeit des MfS kann man nachlesen, es gibt unzählige Berichte über die damalige Zeit, und dafür müsste man nicht unbedingt in das Stasi-Museum gehen. Was aber nur hier erfahrbar ist, das ist die Atmosphäre, in der das alles geschah. Ist der Geist - oder wohl besser: der Ungeist - des Machtapparates, der hier zu Hause war. In den Amts- und Arbeitsräumen von Erich Mielke kann man ihn heute noch spüren, in der Höhle des Löwen, wenn man so will. Oder um ein anderes, oft bemühtes Bild zu gebrauchen: Wo die Spinne im Netz saß, an deren feingesponnenen Fäden unzählige Menschen einst kleben blieben.
"Hier hat Erich Mielke von 1957 bis zum Ende der DDR 1989 gearbeitet", erfahren wir von einem Mitarbeiter der Gedenkstätte, der uns zusammen mit etlichen anderen Interessierten durch die Ausstellung führt. Gebannt starren wir auf den wuchtigen Schreibtisch. Helles Holz, der Armstuhl dahinter mit dunkelblauem Stoff bezogen wie auch die anderen Sitzmöbel im Raum, mehrere Telefone, ein Reißwolf der Marke "Intimus", hinter dem Schreibtisch ein Panzerschrank, in dem über die Jahre eine Vielzahl höchst sensibler Dokumente gelegen haben dürfte. Selbst die Dederon-Gardinen (Dederon war die ostdeutsche Antwort auf das Perlon des Westens, wobei sich das Wort aus den Buchstaben DDR zusammensetzt) sind noch original und ebenso die privaten Räume hinter Mielkes Arbeitsbereich, die die banale Tatsache unter Beweis stellen, dass dieser einst so mächtige Mann des anderen deutschen Staates eben auch ein normaler Mensch war. Einer, der sich dann und wann auf einer breiten Schlafcouch auszuruhen pflegte oder der in der Badewanne in seinem blau-weiß gekachelten Badezimmer lag, wenn der "Kampf gegen den Klassenfeind" ihn ermüdet hatte. Die Arbeit für das Volk, wie er seine Tätigkeit sah. Jenes Volk, das er seinen eigenen Worten zufolge so sehr liebte. O-Ton vom 13. November 1989 vor der Volkskammer der DDR: "Ich liebe ... Ich liebe doch alle ... alle Menschen ... Na ich liebe doch ... Ich setzte mich doch dafür ein!" Worauf lautes Gelächter ihm antwortete. Ein Gelächter, das den Lachern wenige Wochen zuvor noch sehr schlecht bekommen wäre, allerdings hatte zu diesem Zeitpunkt die friedliche Revolution in der DDR bereits begonnen.
Manfred Lentz (Januar 2017)
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