Gletscher, Wasserfälle und Geysire
Auf Island hat das Wasser viele Gesichter.
 2016 (Teil 1)
 
Sie jagen über das Eis der Lagune, der eine in einem Aston Martin Vanquish, der andere in einem Jaguar XKR. Auf Knopfdruck fahren Teile der Karosserie hoch, und Granaten, Rammböcke und Raketen sind zum Einsatz bereit. Explosionen mischen sich in das Röhren der Motoren, und obwohl es den Anschein hat, als fliege im nächsten Moment die ganze Welt auseinander, liefern sich die Kontrahenten gänzlich unbeirrt davon weiter ein tödliches Rennen. Die Kontrahenten - das ist auf der einen Seite James Bond, Geheimagent im Dienst Ihrer Majestät, und auf der anderen Seite Zao, ein nordkoreanischer Terrorist, der in Geschäfte mit Blutdiamanten verwickelt ist und der Bond, weil dieser ihn dabei gestört hat, aus dem Weg räumen will. Doch Bond überlebt, wie jeder Kinobesucher weiß, denn erstens erwischt es Superhelden nie, und zweitens hatte der Film mit dem Titel "Stirb an einem anderen Tag" bis heute mehrere Nachfolger.
 
 
Im Jahr 2002 wurde der Film mit der Jagd über das Eis produziert, 14 Jahre später sind wir am Drehort der Szene, und alles ist ganz anders. Wo in dem Actionstreifen die Motoren röhrten und die Herren Bond und Zao sich eine gnadenlose Jagd lieferten, empfängt uns eine weitestgehend unberührte Natur mit dem größten Gletscher Europas (dem Vatnajökull), dem Atlantik und einer zwischen beiden gelegenen Lagune, in der Seehunde Fischen nachstellen und vom Gletscherrand abgebrochene Eisblöcke im Wasser dümpeln. Nirgends eine Spur von der Fläche, auf der die Filmszene stattfand. Und das nicht etwa deshalb, weil der September für das Zufrieren des Wassers noch zu warm wäre. Nein, es gibt einen anderen Grund, und auf den kommt der Fahrer des Bootes zu sprechen, mit dem wir auf der Lagune unterwegs sind. Deren Wasser, so erzählt er, stamme zum Teil von dem Gletscher, zum Teil vom Meer, das mit der Lagune durch einen kurzen natürlichen Kanal verbunden sei. Süßwasser mische sich also mit Salzwasser, wobei letzteres bewirke, dass die Lagune im Winter nicht zufriere. Außer im Fall James Bond. Da hätten die Filmleute um der geplanten Verfolgungsjagd willen den Kanal kurzerhand zuschütten lassen, worauf der Süßwassergehalt in der Lagune angestiegen sei und schließlich eine Eisschicht diese bedeckt habe. Dick genug, um während der dreiwöchigen Dreharbeiten die beiden PS-starken Boliden samt Filmtechnik und den an den Aufnahmen Beteiligten zu tragen. Nachdem man die Szene abgedreht habe, sei das Verbindungsstück zwischen Lagune und Meer wieder geöffnet und damit der ursprüngliche Zustand wiederhergestellt worden. Wir können es kaum fassen: Ein zweifellos sehr kostspieliges Projekt, von den Auswirkungen auf die Umwelt ganz abgesehen, und das alles für ein paar Minuten James Bond!
Island und sein Wasser ... Ob in der Lagune, ob als Eis in den Gletschern, die das Land überziehen, oder in den Wasserfällen - überall hat das nasse Element Spektakuläres hervorgebracht, was zu den Höhepunkten jeder Islandreise zählt. "Foss" ist Isländisch und bedeutet "Wasserfall", ein Wort, dass wir etliche Male in unserem Reiseführer gefunden haben, jeweils verbunden mit dem Hinweis, dass wir diesen oder jenen Wasserfall keinesfalls versäumen dürften. Den Gulfoss etwa. Er ist der erste auf unserer Tour durch das Land, und er ist zugleich der am meisten besuchte, da er von Reykjavik (im Rahmen der sogenannten "Golden Circle"-Tour) leicht zu erreichen ist. In zwei rechtwinklig zueinander liegenden Kaskaden stürzt das Wasser in die Tiefe, mehr als 100 Kubikmeter pro Sekunde, wodurch seit der letzten Eiszeit vor 10.000 Jahren eine 70 Meter tiefe Schlucht in den Fels gefräst wurde. Ebenso berühmt, aber noch gewaltiger ist der Dettifoss im Nordosten der Insel. Er ist der größte Fall Europas. Mit einem gewaltigen Donnern ergießen sich die graubraunen Wassermassen in die Tiefe, nur um zwei Kilometer weiter einen neuen Wasserfall zu bilden, der ebenfalls ein Besuchermagnet ist. Welch gewaltige Kräfte dabei im Spiel sind, dürften selbst Laien ahnen können. Die Fachleute wissen es genau, und deshalb arbeiten sie seit langem daran, diese Naturkräfte für die Gewinnung von Energie zu erschließen. 73 Prozent des isländischen Stroms werden gegenwärtig aus Wasserkraft erzeugt. Der Rest stammt aus Erdwärme, womit Island über eine vollständig regenerative Energieversorgung verfügt. Nutznießer sind die rund 330.000 Bewohner der Insel, vor allem aber die Großindustrie, die zwei Drittel es erzeugten Stroms abnimmt. Besonders die Aluminiumhütten spielen hier eine Rolle, allein auf sie entfallen 80 Prozent davon.
 
(Wird fortgesetzt)
 
Manfred Lentz (August 2017)
 
 
(Weitere Berichte über Island finden sich unter den Nummern 154 und 155.)
 
 
Die neuen Berichte auf reiselust.me erscheinen jeweils
am 1. und 15. jedes Monats