Wer hat den größten?
Das Phallus-Museum in Reykjavik. Island 2016
 
Der Isländer Pall Arason vom Hof Bugur in der Srida-Gemeinde ist tot. Er starb am 5. Januar 2011 in Akureyri, der viertgrößten Stadt der Insel, und seither liegt er im Grab. Abgesehen von den Knochen dürfte sein Körper inzwischen zerfallen sein. Arme und Beine, Nase und Ohren und was sonst noch so einen Menschen ausmacht -  alles weg. Alles? Nein, nicht alles. Etwas ist von ihm geblieben. Etwas existiert auch heute noch, sieben Jahre nach seinem Tod. Was das ist? Ich komme darauf zurück.
 
Die Laugavegur ist die Haupteinkaufsstraße von Reykjavik. Es gibt zahlreiche Läden mit Waren zwischen edel und Kitsch, Restaurants und Cafés, Souvenirläden mit Andenken für die Lieben daheim, und dann  gibt es da noch ein modernes Gebäude, ein Museum, das von außen recht langweilig aussieht, das nichtsdestoweniger auf die Touristen eine erstaunliche Anziehungskraft ausübt. So wie auf uns an diesem Tag. Wir sind früh dran, doch bereits kurz darauf folgen die nächsten, und binnen Minuten hat sich an der Kasse eine Schlange gebildet. Groß ist das Museum nicht, und was das Interieur anbelangt, so würden Adjektive wie "bieder" und "altbacken" es wohl am treffendsten charakterisieren. Dessen ungeachtet beeindruckt dieses Museum durch die hohe Zahl seiner Besucher und ebenso durch seine internationale Medienpräsenz. Was an den Exponaten liegt, die es zeigt, und an der Tatsache, dass es weltweit das einzige seiner Art ist. "Hid Islenzka Redasafn" steht über dem Eingang geschrieben, und für diejenigen, die der isländischen Sprache nicht mächtig sind - und das dürfte außer den 330.000 Bewohnern der Insel wohl nahezu die gesamte Menschheit sein -, steht der Name noch einmal in englischer Übersetzung daneben: "The Icelandic Phallological Museum". Und damit jedermann klar werde - und "jederfrau", denn das weibliche Geschlecht ist zumindest während unseres Besuchs in der Mehrheit -, welchem Gegenstand dieses Museum gewidmet ist: nicht der isländischen Nationalkultur, keinem heimischen Künstler oder der einzigartigen Geologie der Insel - nein, worum es in diesem Museum geht, das ist der Phallus. Der Penis. Oder um genau zu sein: der Penis von Säugetieren.
Nahezu 300 Exemplare dieses Objekts warten auf die Voyeure aus aller Welt, die meisten in Glasvitrinen und auf langen Regalen ausgestellt, einige wie Jagdtrophäen aufgehängt an der Wand. Die meisten der Exponate stammen aus Island, und da Island eine Insel ist, hat von diesen wiederum ein großer Teil seinen Ursprung im Meer. Mit 56 Phalli sind 17 Walarten am häufigsten vertreten, 38 gehörten einst Robben und Walrossen, die übrigen dienten der Fortpflanzung von 21 Arten von Landsäugetieren, darunter auch solchen, deren Heimat außerhalb Islands liegt. So kann man etwa den Penis eines Känguruhs aus Neuseeland bestaunen, eines südafrikanischen Pavians und eines nordamerikanischen Opossums sowie das Gemächt eines alten Elefanten. Wahrhaft gewaltig sieht letzteres aus, doch das ist rein gar nichts verglichen mit dem eines Pottwals, das bei einer Länge von stolzen 1,7 Metern volle 75 kg auf die Waage bringt. Was allerdings nur allzu verständlich ist angesichts eines Tiers, das mit 20 Metern Länge und 50 Tonnen Gewicht zu den größten der Erde zählt. Sichtlich beeindruckt stehen die Besucher - die Besucherinnen - vor den Glaszylindern mit den erschlafften Relikten einstiger Männlichkeit und schießen ein Foto nach dem anderen, wobei es ihnen besagter Penis des Pottwals ganz besonders angetan hat - eben wegen seiner Ausmaße, aber auch weil er sich so gut zu einem Vergleich mit der eigenen Körpergröße eignet. Für eine Bereicherung des Sprachschatzes wäre er im Übrigen ebenfalls bestens geeignet, ließe sich doch die mitunter zu hörende Charakterisierung kleingewachsener Menschen als "knapp über der Metermarke" variieren in "kleiner als ein Walschniedel", eine Formulierung, die neben Fantasie auch Weltläufigkeit verriete. Beleuchtet wird die einzigartige Sammlung männlicher Körperteile unter anderem durch Hängelampen, deren Schirmchen weder aus Stoff noch aus Glas sind, sondern aus fein gegerbten und geruchsneutral aufgearbeiteten Hodensäcken bestehen. Exponate, über die man die Stirn krausen, aber auch schmunzeln kann. Was die meisten tun, so wie die Besucher überhaupt häufig grinsen und kichern, wie das bei dem Thema dieser Ausstellung kaum anders zu erwarten ist.
 
Gründer des Museums ist Sigurdur Hjartarson, ehedem ein Lehrer für Spanisch und Geschichte. Seit einigen Jahren wird es von seinem Sohn Hjörtur Gisli Sigurdsson weitergeführt. Als einen "tollen Job" empfindet der seine Tätigkeit, weit spannender als die eines Logistikmanagers, mit der er früher sein Geld verdiente. Und anerkannter ohnehin, urteilt man nach den Besucherzahlen, die das Museum auf seiner Webseite präsentiert. Danach wird die Ausstellung täglich von mehr als 2.000 Personen besucht, seit der Eröffnung 1997 waren es den eigenen Angaben zufolge sage und schreibe 14 Millionen. Eine Zahl, bei der ich mich frage, ob den Verantwortlichen da nicht vielleicht ein Rechenfehler unterlaufen ist. Aber sei's drum - eine stattliche Menge Schaulustiger ist es auf jeden Fall, die täglich den Weg in diese Ausstellung findet. Dass ihr Interesse dabei nicht zuletzt einem ganz speziellen Exponat gilt, war dabei wohl zu erwarten - womit wir wieder bei dem eingangs erwähnten Pall Arason angelangt wären.
"Homo sapiens sapiens" steht auf einem Kärtchen vor dem Glas, in dem jenes in Formalin eingelegte Teil ruht, das wohl als einziges von dem im Alter von 95 Jahren verstorbenen Isländer bis heute erhalten ist. Ein Gemächt als Vermächtnis sozusagen, nicht unbedingt ein Prachtstück, es sieht grau, schrumpelig und ziemlich mickrig aus, was aber wohl eher auf die Bedingungen seiner veränderten Existenz zurückzuführen ist, nachdem das Leben aus ihm gewichen ist, als auf seinen ehemaligen Zustand. Denn der muss durchaus beeindruckend gewesen sein, schließlich will sein Besitzer eigenen Aufzeichnungen zufolge rund 300 Frauen damit beglückt haben. Dass sich unter Walen und Opossums auch der "Homo sapiens sapiens" findet, ist relativ neu in diesem Museum. Wobei eigentlich naheliegend ist, dass es in dieser den Säugetieren gewidmeten Ausstellung auch einen menschlichen Phallus gibt, schließlich gehört der Mensch ebenfalls zu dieser Tierspezies. Doch erst im Jahr 2011 haben sich die Macher des Museums dazu durchgerungen, ein menschliches Exemplar in die Regale zu stellen, eben jenes von Pall Arason, wo es nun eingerahmt von in mehrere Sprachen übersetzten Spenderurkunden seine letzte Ruhe gefunden hat. "Zur vollen Verfügung" überlasse er dem Museum sein Zeugungsorgan, steht auf der Urkunde zu lesen, und damit alles seine Richtigkeit hat, attestieren drei Zeugen mit ihrer Unterschrift dem Spender die volle geistige Gesundheit zum Zeitpunkt seiner Entscheidung. Ein Witz, diese Aktion? Die Aufschneiderei eines Sexmaniacs? Oder steht etwa der uralte Menschheitstraum nach Unsterblichkeit Pate, wenn schon nicht für das Ganze, so doch wenigstens für einen Teil davon? Wir wissen es nicht, und wir werden es auch nicht erfahren. Aber ein Gag im Dienst des Museums ist die Sache allemal, mag der Informationswert des verschrumpelten Anhängsels auch nahe bei Null liegen.
 
Vielleicht wird das im Fall des Schauspielers Jonah Falcon anders sein, nicht der Form wegen sondern wegen der Länge. Ganze 34 cm misst sein Penis, und weil er mit diesem Format eigenen Angaben zufolge den Weltrekord hält, sieht er sich veranlasst, der Nachwelt das Superstück zu vererben. Ein Glücksfall für das Museum ohne Zweifel, ärgerlich nur, dass der Spender gerade mal Mitte 40 ist, also voraussichtlich noch einige Gletscher abschmelzen werden, bevor sich die edle Gabe zu der des Pall Arason gesellen wird. Und zu denen des Moritz Schreiner und Peter Christmann, denn die haben ebenfalls bereits ihre Spende angekündigt, das Ganze notariell beglaubigt, versteht sich. Sieht man sich den hemmungslosen Exhibitionismus so mancher Zeitgenossen an, den lockeren Umgang mit Social Media oder das bereitwillige Zurschaustellen des eigenen Körpers auf Seiten wie Youporn & Co., so dürften diese Herren wohl kaum die letzten sein, die das Museum - nachdem es bei Frauen dann ja nicht mehr geht - mit ihrer Männlichkeit beglücken wollen.
Der Penis eines Tiers mit dem merkwürdigen Namen Klappmütze, eines Widders (der dazugehörige Hodensack wurde zu einem Geldbeutel verarbeitet), eines Blaufuchses und eines Hamsters, letzterer mit 2 mm der kleinste in der Sammlung und nur unter einer Lupe erkennbar ... Und dann sind da noch die Penisknochen, die gut konserviert, beleuchtet und beschriftet in den Vitrinen ruhen. Die Penisknochen? Vermutlich war den meisten Besuchern solch merkwürdiges Gebein bis dahin unbekannt, doch gehören derartige Knochen bei etlichen Tierarten zum Inventar, nicht zuletzt bei unseren nächsten Verwandten, den Menschenaffen. Warum es sie gibt, ist bis heute nicht endgültig geklärt, nur dass sie unter dem Gesichtspunkt der Erektion für den Geschlechtsakt eine Rolle spielen, ist klar. Sehr anschaulich hat das eine Autorin in der "Süddeutschen Zeitung" formuliert: "Bei Bedarf schiebt sich der Penisknochen einfach aus dem Bauchraum in den Bären-, Igel- oder Fledermauspimmel und los geht die wilde Sause!" Warum die Natur den Menschen mit diesem Konstruktionsprinzip ausgespart und ihm stattdessen einen bekanntermaßen äußerst anfälligen Mechanismus verpasst hat, bleibt offen. Gar nicht auszudenken, was der Welt erspart geblieben wäre, hätte sie das Fledermaus- und Igelprinzip auch auf die Gattung Homo sapiens sapiens angewandt. Doch wie jeder weiß, hat sie das nicht getan und dadurch Generationen von Männern in Depressionen gestürzt, unzählige Ehen zerbrechen lassen und Tierarten mit vermeintlich erektionsfördernden Substanzen an den Rand der Ausrottung gebracht. Keine Glanzleistung, Mutter Natur! Wahrlich keine Glanzleistung!
 
Und dann ist da noch der Penis eines Trolls, eines jener omnipräsenten Fabelwesen aus der isländischen Mythologie (natürlich aus Stein); ein Telefon mit einem Penishörer; gestrickte "Willy Wormers", wahlweise im Format "Elephant" oder "Snake" sowie die am Ausgang erhältlichen Kondome, die so griffige Namen haben wie Geysir, Hot Spring, Volcano oder Rock Formation. Auch hier gibt es wieder viel Schmunzeln bei den Besuchern. Was zeigt, dass ein Rundgang durch dieses Museum nicht nur den Horizont erweitert um Dinge, von denen man bis dahin nichts wusste, sondern dass er darüber hinaus auch einen nicht zu unterschätzenden Unterhaltungswert besitzt. Kann es bessere Voraussetzungen für den Besuch in einem Museum geben?
 
Manfred Lentz (April 2018)
 
 
Über Island gibt es noch mehr Berichte auf meiner Webseite. Auf der Seite "Länder"
sind sie aufgelistet. 
 
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