Männer drücken uns Zettel in die Hände, einer spricht uns an. Ob wir etwas zu verkaufen hätten, will er wissen: Diamanten, andere Steine oder Gold. Wir schütteln den Kopf. Der Aufkauf scheint ein zweites Standbein dieser Straße zu sein, vermutlich ein eher kleines, aber ebenfalls lukratives, würde man doch sonst auf diese Aufreißer verzichten. Die Verkäufer in den Geschäften verhalten sich anders, auch wenn sie durch Glastüren oder Schaufenster die vorbei Flanierenden im Blick haben. Nur einmal bedeutet uns eine junge Frau durch Winken, wir sollten in ihr Geschäft kommen. Ansonsten verlässt man sich auf die Anziehungskraft der Auslagen. Denn Pappkästen hin und Schäbigkeit her - sieht man einmal darüber hinweg und konzentriert sich allein auf die angebotenen Stücke, so gibt es vieles, was geeignet ist, die Herzen möglicher Kunden - insbesondere der weiblichen - höher schlagen zu lassen. Ganz zu schweigen von den Schätzen, die die Interessenten im Inneren der Läden erwarten, in den verschlossenen Schränken oder in den hightec-gesicherten Safes. Vermutlich gibt es hier wirklich nichts, was es nicht gibt - angefangen von den halbfertigen Ringen, denen noch das funkelnde Prachtstück in der Mitte fehlt, über elegante Ketten und geschmackvolle Ohrringe bis hin zu einzigartigen Colliers, vieles davon zu Preisen, die jedem gewöhnlichen Sterblichen Tränen in die Augen treiben dürften.
Dass das Thema Sicherheit bei solchen Superlativen groß geschrieben wird, liegt auf der Hand. Interessiert schauen wir zu, wie aus einem der vielen Kurierfahrzeuge Kisten entladen werden, unscheinbare Kisten, die ihren Inhalt nicht preisgeben, der aber nicht schwer zu erraten ist. Alles geschieht ruhig und in absoluter Routine, während ebenso routiniert ein paar Männer dabeistehen, wachsam in alle Richtungen schauen und bereits durch ihre Anwesenheit signalisieren: Finger weg! Zumindest tagsüber scheint dieses Sicherheitsmanagement zu greifen. Wie es nachts aussieht, wissen wir nicht. Aber die Tatsache, dass die Inhaber der Geschäfte ihre Auslagen während der Nachtstunden ausräumen, spricht wohl dafür, dass man selbst in dieser hochbewachten Straße mit kriminellen Raubzügen rechnet. Kein Wunder - wäre ein schneller Griff in eines der Schaufenster doch ausreichend, dem Täter etliche Jahre harter Arbeit zu ersparen.
Zwei Männer kommen uns entgegen, an Kleidung, Bärten und Schläfenlocken leicht als orthodoxe Juden zu erkennen. Sie sind nicht einzigen, denen wir in dieser Straße begegnen. Große Teile des New Yorker Diamanthandels liegen in jüdischen Händen, wobei es sich in vielen Fällen um die Nachfahren von Juden handelt, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Amsterdam und Antwerpen im Diamantenhandel tätig waren, die nach dem deutschen Überfall auf ihre Länder geflüchtet sind und hier in der Neuen Welt, in der 47th Street von Manhattan, eine neue Heimat gefunden haben. Doch sie sind nicht die einzigen im Geschäft. Diamonds sind nicht nur "a girl's best friend", sondern auch die vieler anderer, die sich dem Diamantenhandel verschrieben haben, weil man in diesem Metier viel Geld verdienen kann. Dass auch zwielichtige Gestalten darunter sind, zeigt das Wort "Blutdiamanten", das in der jüngeren Vergangenheit durch die Medien geisterte: Diamanten in den Händen afrikanischer Rebellenorganisationen, mit denen schmutzige Kriege gegen die Regierung oder auch gegen das eigene Volk finanziert wurden. Im Jahre 2000 hat sich die Generalversammlung der UNO mit diesem Thema beschäftigt und den Verkauf solcher "Konfliktdiamanten" einstimmig verboten. Seither müssen alle Steine mit Zertifikaten ausgestattet sein, die belegen, dass die Rohdiamanten nicht durch die Hände von Rebellen gegangen sind - eine Maßnahme, die den Missbrauch zwar eindämmen, aber nicht völlig ausschließen konnte.
300 Meter Straße sind nicht lang, und so sind wir bald an ihrem Ende an der Sixth Avenue angekommen. Hinter uns liegen fast alle in den USA zu verkaufenden Diamanten, Objekte von unschätzbarem Wert, aber zugleich ein städtebauliches Ensemble, das einer drittklassigen Nebenstraße gut anstehen würde. Nein, es ist wirklich keine schöne Straße, dieser Diamond Jewelry Way. Aber es ist eine der bemerkenswertesten, die wir je kennen gelernt haben.
(Zum Thema Diamanten siehe auch meinen Bericht 46: "Schätze im Sand. Diamanten machten Kolmannskuppe einst zum reichsten Ort Afrikas. Namibia 2012")