Schätze in Schachteln.
Der Diamond Jewelry Way in New York. 2010
 
Nüchtern, langweilig, irgendwie schäbig - man könnte verschiedene Adjektive wählen, um die Straße zu beschreiben. Sie ist nicht sehr breit, ist baumlos und wird auf beiden Seiten von Häusern gesäumt, für deren Charakterisierung das Wort Stilmischmasch die treffende Bezeichnung wäre. Vom zweistöckigen Gebäude mit Abriss-Charme über geschmacklose Spiegelglassfassaden bis zu fabrikähnlichen Vorformen späterer Wolkenkratzer ist alles vorhanden. Die Fahrbahn ist geflickt, auf den Gehwegen kann man gehen, aber das ist auch alles - keine Ästhetik, kein Schmuck, keine Ideen. Das Gleiche gilt für die meisten der zahlreichen Geschäfte. Den Gewinner eines Innenarchitektur-Wettbewerbs würde man hier vergeblich suchen, das Wort Extravaganz scheint bis in diese Straße noch nicht vorgedrungen zu sein. Die Schaufenster sind zumeist klein, die Eingänge unauffällig, ebenso wie das Dahinterliegende, soweit man es von außen einsehen kann. Chemnitz lässt grüßen, aus der Zeit, als es noch den Namen Karl-Marx-Stadt trug. Nicht anders verhält es sich mit den Auslagen der Geschäfte, zu denen mir in den allermeisten Fällen nur das Wort ramschig enfällt. Zumeist reihen sich flache Kästen aneinander, die edleren mit Samt bespannt oder - wahscheinlicher - mit einem samtartigen Material, die anderen unverkennbar aus Pappe. Fade Farben und ebensolche Formen, Langeweile als gestaltendes Prinzip. In diesen Kästen sind die Waren präsentiert, in der Regel angeordnet in Reih und Glied wie Zinnsoldaten oder wie die aufgespießten Käfer in den Schaukästen der Museen. Doch es sind keine Zinnsoldaten, um die es sich handelt, und auch keine Käfer. Was hier um Kunden werben soll, ist etwas ganz anderes. Es ist das, wovon Marilyn Monroe einst gesungen hat, sie seien "a girls best friend": Diamanten.
 
 
Diamond Jewelry Way heißt die Straße, sie ist mit ihren 300 Metern nur einen Häuserblock lang, liegt im Herzen Manhattans in New York, hat die Zählnummer 47 im Raster der Straßen und wird auf der einen Seite von der Fifth, auf der anderen Seite von der Sixth Aventue begrenzt. Nicht nur Diamenten werden hier verkauft, auch andere edle Steine und Gold, doch das Herz dieser Straße sind Diamanten. Neben London, Antwerpen, Mumbai in Indien, Ramat Gan in Israel und Johannesburg ist diese Straße - auch Diamond District genannt - einer der Knotenpunkte des internationalen und das Zentrum des US-amerikanischen Diamantenhandels für sämtliche Größen und Formen. Eine Straße mit einer Wirtschaftskraft von mehr als 20 Milliarden Dollar im Jahr, das ist der gesamte Umsatz von "McDonald's" weltweit. Rund 90 Prozent aller Diamanten, die in die USA eingeführt werden, roh oder geschliffen, kommen über New York ins Land, und die allermeisten davon über diese Straße. Ob ein, zwei, drei oder mehr Karat, ob hochweiß oder getönt, lupenrein oder mit Einschlüssen, ob in Brillantform geschliffen oder als Tropfen, Marquise oder Oval - hier gibt es alles, was die Erde jemals aus Kohlenstoff in seiner schönsten Form gemacht hat. Rund 2.600 Firmen haben im Diamond District ihren Sitz, viele von ihnen sind so klein, dass sie bei größeren untergeschlüpft sind. Aber jede mit Kontakten und Kompetenzen, und alle zu-sammen mit dem Versprechen: Sag, was du willst, und du bekommst es.
Männer drücken uns Zettel in die Hände, einer spricht uns an. Ob wir etwas zu verkaufen hätten, will er wissen: Diamanten, andere Steine oder Gold. Wir schütteln den Kopf. Der Aufkauf scheint ein zweites Standbein dieser Straße zu sein, vermutlich ein eher kleines, aber ebenfalls lukratives, würde man doch sonst auf diese Aufreißer verzichten. Die Verkäufer in den Geschäften verhalten sich anders, auch wenn sie durch Glastüren oder Schaufenster die vorbei Flanierenden im Blick haben. Nur einmal bedeutet uns eine junge Frau durch Winken, wir sollten in ihr Geschäft kommen. Ansonsten verlässt man sich auf die Anziehungskraft der Auslagen. Denn Pappkästen hin und Schäbigkeit her - sieht man einmal darüber hinweg und konzentriert sich allein auf die angebotenen Stücke, so gibt es vieles, was geeignet ist, die Herzen möglicher Kunden - insbesondere der weiblichen - höher schlagen zu lassen. Ganz zu schweigen von den Schätzen, die die Interessenten im Inneren der Läden erwarten, in den verschlossenen Schränken oder in den hightec-gesicherten Safes. Vermutlich gibt es hier wirklich nichts, was es nicht gibt - angefangen von den halbfertigen Ringen, denen noch das funkelnde Prachtstück in der Mitte fehlt, über elegante Ketten und geschmackvolle Ohrringe bis hin zu einzigartigen Colliers, vieles davon zu Preisen, die jedem gewöhnlichen Sterblichen Tränen in die Augen treiben dürften.
 
Dass das Thema Sicherheit bei solchen Superlativen groß geschrieben wird, liegt auf der Hand. Interessiert schauen wir zu, wie aus einem der vielen Kurierfahrzeuge Kisten entladen werden, unscheinbare Kisten, die ihren Inhalt nicht preisgeben, der aber nicht schwer zu erraten ist. Alles geschieht ruhig und in absoluter Routine, während ebenso routiniert ein paar Männer dabeistehen, wachsam in alle Richtungen schauen und bereits durch ihre Anwesenheit signalisieren: Finger weg! Zumindest tagsüber scheint dieses Sicherheitsmanagement zu greifen. Wie es nachts aussieht, wissen wir nicht. Aber die Tatsache, dass die Inhaber der Geschäfte ihre Auslagen während der Nachtstunden ausräumen, spricht wohl dafür, dass man selbst in dieser hochbewachten Straße mit kriminellen Raubzügen rechnet. Kein Wunder - wäre ein schneller Griff in eines der Schaufenster doch ausreichend, dem Täter etliche Jahre harter Arbeit zu ersparen.
 
 
Zwei Männer kommen uns entgegen, an Kleidung, Bärten und Schläfenlocken leicht als orthodoxe Juden zu erkennen. Sie sind nicht einzigen, denen wir in dieser Straße begegnen. Große Teile des New Yorker Diamanthandels liegen in jüdischen Händen, wobei es sich in vielen Fällen um die Nachfahren von Juden handelt, die vor dem Zweiten Weltkrieg in Amsterdam und Antwerpen im Diamantenhandel tätig waren, die nach dem deutschen Überfall auf ihre Länder geflüchtet sind und hier in der Neuen Welt, in der 47th Street von Manhattan, eine neue Heimat gefunden haben. Doch sie sind nicht die einzigen im Geschäft. Diamonds sind nicht nur "a girl's best friend", sondern auch die vieler anderer, die sich dem Diamantenhandel verschrieben haben, weil man in diesem Metier viel Geld verdienen kann. Dass auch zwielichtige Gestalten darunter sind, zeigt das Wort "Blutdiamanten", das in der jüngeren Vergangenheit durch die Medien geisterte: Diamanten in den Händen afrikanischer Rebellenorganisationen, mit denen schmutzige Kriege gegen die Regierung oder auch gegen das eigene Volk finanziert wurden. Im Jahre 2000 hat sich die Generalversammlung der UNO mit diesem Thema beschäftigt und den Verkauf solcher "Konfliktdiamanten" einstimmig verboten. Seither müssen alle Steine mit Zertifikaten ausgestattet sein, die belegen, dass die Rohdiamanten nicht durch die Hände von Rebellen gegangen sind - eine Maßnahme, die den Missbrauch zwar eindämmen, aber nicht völlig ausschließen konnte.
 
300 Meter Straße sind nicht lang, und so sind wir bald an ihrem Ende an der Sixth Avenue angekommen. Hinter uns liegen fast alle in den USA zu verkaufenden Diamanten, Objekte von unschätzbarem Wert, aber zugleich ein städtebauliches Ensemble, das einer drittklassigen Nebenstraße gut anstehen würde. Nein, es ist wirklich keine schöne Straße, dieser Diamond Jewelry Way. Aber es ist eine der bemerkenswertesten, die wir je kennen gelernt haben.
 
(Zum Thema Diamanten siehe auch meinen Bericht 46: "Schätze im Sand. Diamanten machten Kolmannskuppe einst zum reichsten Ort Afrikas. Namibia 2012")