Steinkreise und Meteoritenkrater
oder: Warum sich Asterix zu Recht davor fürchtet, dass ihm der Himmel auf den Kopf fällt.
 
"Wir befinden uns im Jahr 50 v.Chr. Ganz Gallien ist von den Römern besetzt ... Ganz Gallien? Nein! Ein von unbeugsamen Galliern bevölkertes Dorf hört nicht auf, dem Eindringling Widerstand zu leisten. Und das Leben ist nicht leicht für die römischen Legionäre ..." In der Tat - vor den Römern haben die Bewohner dieses Dorfes keine Angst, allen voran Asterix und sein dicker Freund Obelix. Wohl aber fürchten sie sich vor etwas anderem: dass ihnen eines Tages der Himmel auf den Kopf fällt. Der Himmel auf den Kopf fällt?! Natürlich pure Fantasie in einer der bekanntesten Comic-Reihen, die es je gab. Oder vielleicht doch nicht? Gewiss ist es lustig gemeint, ein Spiel mit der Fantasie. Aber womöglich steckt ja mehr dahinter als das, wenngleich ohne Absicht.
 
Machen wir einen Zeitsprung vom Jahr 50 v.Chr. in das Jahr 2009 n.Chr. Asterix, Obelix und die Römer sind längst Geschichte. Wir sind in Schottland unterwegs, auf Lewis, einer Insel der Äußeren Hebriden. Von Stornoway, dem Hauptort (siehe Bericht 54), sind wir nach Callanish gefahren, um uns eine der Hauptattraktionen Schottlands anzusehen: die Standing Stones, die größte heute bekannte Steinformation der Megalithkultur auf britischem Boden. Es handelt sich um einen Kreis von großen Steinen - Hinkelsteine hätte Obelix sie genannt -, der vor etwa 5.000 Jahren errichtet wurde, also noch vor dem Bau der ägyptischen Pyramiden. Beinahe fünf Meter hoch sind die größten dieser Steine, ihr Antransport und ihre Aufrichtung müssen ein aufwändiges Unterfangen gewesen sein. Warum die Vorfahren der heutigen Inselbewohner sich diese Mühe gemacht haben, ist nicht bekannt. Spekulationen darüber gibt es viele - ebenso wie im Zusammenhang mit den zahlreichen anderen Steinkreisen, die es neben Callanish noch gibt. Dem Ring of Brodgar auf den schottischen Orkney-Inseln etwa, dem weltbekannten Stonehenge im Süden Großbritanniens oder dem nicht weit davon entfernten Steinkreis von Avebury.
 
 
Ortswechsel. Im Jahr 2011 befinden wir uns Tausende Kilometer von den genannten Steinkreisen entfernt im  Südwesten der USA im Bundesstaat Arizona. Unser Ziel ist der Barringer-Krater, häufig auch einfach "der Arizona-Krater" genannt. Von Flagstaff aus fahren wir in östlicher Richtung bis zu einer Straße, die nirgendwo hinführt außer zu diesem Krater. Er befindet sich auf privatem Land, und weil der Besitzer in "seinem" Krater eine gute Einnahmemöglichkeit sah, hat er vor Jahren diese Straße bauen lassen. Zweifellos rechnet sich seine Investition. Das Ziel am Ende der Straße ist so prominent, dass es in der Wikipedia einen längeren Artikel darüber gibt. Ein paar Kilometer geht es durch eine wüstenartige Landschaft bis zu einem großen Parkplatz, in einem repräsentativen Eingangsgebäude zahlen wir unseren Eintritt, dann sind wir da. Das riesige Loch vor uns ist nicht nur einfach der Einschlagkrater eines Meteoriten, es ist auch der erste Krater weltweit, der als das Ergebnis eines solchen kosmischen Ereignisses erkannt wurde. Der Krater hat einen Durchmesser von 1.200 Metern, er ist 180 Meter tief und wird von einem durch den Auswurf des Einschlags entstandenen Wall umgeben, der sich bis zu 60 Meter über die Landschaft erhebt. Stattgefunden hat das Ereignis vor etwa. 50.000 Jahren. Das war zu einer Zeit, als das Land ganz anders aussah als heute und Wollhaarmammute und Riesenfaultiere zu seinen Bewohnern gehörten.

Steinkreis von Callanish, Großbritannien 2009

Der Himmel über Asterix, der Steinkreis von Callanish und nun der Barringer-Krater - auf den ersten Blick zweifellos eine verwirrende Reihe. Aber nur auf den ersten Blick, denn alles hängt miteinander zusammen, zumindest indirekt. Im Folgenden werde ich versuchen, die Verbindungen aufzuzeigen, die meiner Ansicht nach bestehen.
 
Dass es viele Steinkreise gibt, habe ich bereits festgestellt. Aber auch Einschlagkrater gibt es viele, nicht nur jenen in Arizona. Lange Zeit war dieser Umstand nicht bekannt. Man wusste von Einschlägen auf dem Mond, die kann man sehen - aber solche Ereignisse auf unserer Erde? Seit den 1980er Jahren ist das anders. Seither weiß man, dass "kosmische Geschosse" in der Vergangenheit auch bei uns immer wieder niedergegangen sind, auch wenn man ihre Spuren heute nur noch schlecht oder gar nicht mehr erkennen kann. Unstrittig ist, dass die Folgen dieser Einschläge abhängig von der Größe der jeweiligen "Geschosse" erheblich gewesen sein müssen, in vielen Fällen geradezu verheerend. Von dem Verursacher des Barringer-Kraters weiß man, dass er einen Durchmesser von etwa 50 Metern hatte und sein Gewicht rund 300.000 Tonnen betrug, dass er mit einer Geschwindigkeit von bis zu 30 Kilometern pro Sekunde auf die Erde auftraf und dabei geschätzte 175 Millionen Tonnen Gestein wegschleuderte, darunter bis zu 30 Meter große Blöcke. Aber es gab noch größere Einschläge ("Impact" ist das gebräuchliche Wort) - riesige Meteoriten, deren Aufprall nicht nur einzelne Regionen betraf, sondern große Teile der Erde, mit gravierenden Folgen für Flora und Fauna. Am bekanntesten ist wohl jener Impact vor rund 65 Millionen Jahren, bei dem das "Geschoss" so groß war, dass sein Einschlag zum Aussterben der Saurier führte. Trifft ein großer Meteorit auf die Erde, so schlägt er nicht etwa "nur" ein großes Loch, vielmehr entfaltet sich ein wahres Horrorszenarium: gewaltige Druckwellen, ausgedehnte Hitzestürme und eine wochen- oder gar monatelange Finsternis als Folge des aufgewirbelten Materials, es kommt zu saurem Regen, zu Erdbeben und Tsunamis, die allesamt wie die apokalyptischen Reiter über die Erde herfallen. Welche Wirkung bereits ein relativ kleiner Himmelskörper haben kann, zeigte sich jüngst im Februar 2013, als ein Meteorit mit einem Durchmesser von rund 20 Metern über der russischen Stadt Tscheljabinsk niederging. Etwa 1.500 Menschen wurden verletzt und 3.700 Gebäude beschädigt.

Barringer-Krater, USA 2011

Doch was hat das alles mit Callanish zu tun? Und gar mit Asterix? Kosmische Ereignisse wie die beschriebenen hat es in der Geschichte unserer Erde bis heute immer wieder gegeben, was bedeutet, dass auch Menschen mit ihnen konfrontiert wurden. Interessant ist nun - und für manchen sicherlich höchst erstaunlich -, dass es über diese kosmischen Ereignisse überlieferte Berichte gibt. Die Sintflutgeschichte der Bibel etwa muss als ein solcher angesehen werden, ebenso wie zahllose ähnliche Berichte rund um den Erdball. Auch im kosmischen Tanz des Hindugottes Shiwa dürfte die Erfahrung eines Impacts stecken - Zerstörung und Wiedergeburt, d.h. nach der Katastrophe ein neuer Anfang - oder in den Zyklen des Maya-Kalenders. Hier ist nicht der Platz, näher darauf einzugehen. Es soll mir hier vielmehr um das Lebensgefühl jener Menschen gehen, die sich mit einem derart gravierenden Ereignis konfrontiert sahen, Menschen vor Tausenden von Jahren, denen - um es in der Begriffswelt von Asterix zu sagen - buchstäblich der Himmel auf den Kopf fiel. Zweifellos kamen Unzählige von ihnen dabei ums Leben oder wurden verletzt, und ganz sicher wurden unsere fernen Vorfahren davon schwer traumatisiert. Die Annahme ist wohl nicht allzu spekulativ, dass der Wunsch in ihnen entstand: Nie wieder! Doch was konnten sie schon tun, um die Wiederholung einer solch gigantischen Katastrophe zu verhindern, wo selbst wir heute noch nicht dazu in der Lage wären, obgleich die NASA seit Jahren mit Hochdruck an der Lösung dieses Problems arbeitet? Nichts konnten sie tun - allerdings nur, wenn wir davon ausgehen, dass sie so dachten wie wir. Aber das taten sie nicht. Ihr Denken und ihre Logik gingen andere Wege, und auf dieser Grundlage dachten sie sich eine Möglichkeit aus, eine Wiederholung des Schreckens zu verhindern. Was ihnen in anderen Fällen als ein probates Mittel galt, um Böses abzuwenden - eine Krankheit etwa -, das wandten sie auch gegen den "herabfallenden Himmel" an: einen Bann. Sie bannten das Böse, sie setzten es fest, nahmen ihm die Möglichkeit, sich zu entfalten, und indem sie das taten, nahmen sie ihm seine Kraft. Banne, was auf dich herabfällt, und es wird nicht wieder geschehen! Eine Denkweise, die sich auch heute noch im Aberglauben weltweit findet. So kann man einen bösen Geist, der von einem Menschen Besitz ergriffen hat, etwa dadurch bannen, dass man den Geist in Gestalt einer Figur "nachformt" und diese dann festsetzt. Wie aber bannt man einen Himmelskörper? Ebenfalls durch Nachformen und Festsetzen? Dass das zumindest in der Originalgröße nicht geht, liegt auf der Hand.

Stonehenge, Großbritannien 1976

Hier nun kommt ein zweites Prinzip "primitiven" Denkens zur Anwendung. Es lässt sich mit den Worten "pars pro toto" umschreiben: der Teil gilt für das Ganze, wobei der Teil nicht nur das Ganze symbolisiert, sondern es auch tatsächlich ist. Also baue ich einen zerstörerischen Himmelskörper aus Teilen. Da die Zerstörungskraft dieses Körpers gewaltig ist, nehme ich auch "gewaltige" Teile, schwere und große Steine, und baue sie in einer Form auf, die der des Schadensverursachers entspricht. Die Kreisform wähle ich, da die Steine, die ich selbst werfe, zumeist rund sind. Und da der Meteorit eine Flugspur hinterließ, einen Schweif - den hatte man ja beobachtet -, baue ich eine Flugspur aus Steinen (eine Allee, wie das bei den Steinkreisen genannt wird), die zu dem von mir errichteten "Meteoriten" hinführt. Was also ist am Ende zu sehen? Für uns heutige Zeitgenossen ist es ein Steinkreis mit einer "Allee" à la Callanish oder Stonehenge. Für die Erbauer dagegen war es ein gebannter Himmelskörper, geschaffen, um die Wiederholung von etwas Schrecklichem zu verhindern. "Was für ein Unsinn!", könnte ein heutiger Besucher dagegen einwenden. "Das kann doch gar nicht funktionieren." Aber das ist ein Irrtum, denn es hat ja funktioniert! Kosmische Katastrophen der geschilderten Art ereignen sich in langen Abständen, also müssen die nachfolgenden Generationen zwangsläufig zu der Annahme gekommen sein, dass die Abwehrmaßnahme erfolgreich war. Denken wir an die Inka, deren Priester lebenden Menschen das Herz aus der Brust schnitten, damit am nächsten Tag die Sonne wieder aufging. Haben sie etwas Unsinniges getan? Nein, schließlich hat die Sache ja funktioniert. Nicht auf der Basis unserer Logik natürlich, denn die Sonne hätte sich auch ohne diesen scheußlichen Brauch wieder gezeigt. Wohl aber auf der Basis ihrer Logik. Meinetwegen nennen wir dieses Denken falsch und primitiv, aber für unsere Vorfahren hat es funktioniert. Sie haben ihre Ziele erreicht.
 
 
Und noch ein letzter Gedanke: Habe ich nicht denselben Wunsch wie die Menschen in Callanish, in Stonehenge oder wie die Bewohner des kleinen gallischen Dorfes: dass mir nicht der "Himmel auf den Kopf fällt"? Oder zeitgemäßer ausgedrückt: dass kein Meteorit die Erde trifft und alles zerstört, was mir lieb und teuer ist? Natürlich habe ich diesen Wunsch. Und deshalb bin ich froh, dass bei der NASA und bei anderen Einrichtungen Wissenschaftler und Techniker über der Aufgabe brüten, eine kosmische Katastrophe zu verhindern. Das Gleiche wollten auch die Menschen der Steinzeit erreichen. Nur gab es damals noch keine NASA, deshalb erbauten sie ihre Steinkreise. Vielleicht ist das die Erklärung, warum es diese merkwürdigen Anlagen gibt.
  
                                                                                                           Manfred Lentz
 
 
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