Eilean Donan Castle - eine Burg, die fast jeder kennt
... und zuvor ein paar Sätze über Quälgeister. Schottland 2007
 
Wer am Amazonas unterwegs ist, muss sich vor Schlangen und Piranhas in Acht nehmen. In der Steppe ist der Löwe des Menschen Feind. In Alaska lauert der Grizzly, am Nil fletschen Krokodile die Zähne, und in Kolumbien hat es der Pfeilgiftfrosch auf seine Opfer abgesehen. Wen es nach Schottland zieht, auf den wartet die Mücke.
 
Culicoides impunctatus heißt sie, die Einheimischen nennen sie Highland Midge, und sie ist wahrhaftig eine Qual. Gerade mal zwei Millimeter groß, kann man sie kaum sehen, und hören tut man sie auch nicht. Alles um einen herum scheint bestens zu sein, und dennoch ist sie da. Zumindest wenn die Temperatur nicht unter 10°C fällt, kein Wind weht und wenn es nicht regnet. Ansonsten ist sie allgegenwärtig, und das zumeist in Schwärmen von Dutzenden oder Hunderten Exemplaren. Auffressen tun einen diese winzigen Biester natürlich nicht, in dieser Hinsicht unterscheiden sie sich glücklicherweise von Löwen und Krokodilen. Aber sie saugen ihrem Opfer das Blut aus den Adern. Was angesichts der winzigen Mengen auch nicht das Problem wäre. Doch um den Blutfluss anzuregen, pumpen sie ihren mit Histamin versetzten Speichel in die Einstichstelle. Und das juckt! Jeder, der es einmal erlebt hat, kann ein Lied davon singen. Ich erinnere mich gut: Kaum hatten wir unsere Tour durch die schottischen Highlands begonnen, nahm auch schon das grässliche Jucken seinen Anfang. Und ich erinnere mich auch noch an etwas anderes - dass bereits auf unserem ersten Campingplatz Menschen mit Netzen über dem Kopf herumliefen, die ihnen ein äußerst befremdliches Aussehen verliehen. Wir haben gelacht und unsere Witze über die Netzträger gemacht, denn dass zwischen Mücken und Netzen ein Zusammenhang bestand, war uns zu diesem Zeitpunkt noch nicht bewusst. Erst als wir uns im Supermarkt nach einem Schutz vor den Quälgeistern erkundigten und die Verkäuferin auf eine große Kiste voll grüner Netze zeigte, begriffen wir es. Sofort schlugen wir zu - und waren glücklich über unseren Kauf, mochten die Dinger auch noch so befremdlich aussehen. Dass sie überdies hinderlich waren, wurde uns bewusst, als wir mit einem Whisky auf unseren Kauf anstoßen wollten ...
 
 
Und wie schützt man die übrigen Teile des Körpers? höre ich schon die Frage, denn natürlich sind diese Netze nur ein Schutz für den Kopf. Mit "Avon", ist die Antwort. Genauer: mit "Avon Skin So Soft Oil", einem Öl, das die Firma gewiss nicht als Mückenschutz entwickelt hat, das aber nach unserer Erfahrung das einzige wirksame Mittel ist. Weshalb dieses Öl in den schottischen Highlands gleich dutzendweise in den Regalen aller einschlägigen Geschäfte steht.
 
Doch selbstverständlich ist Schottland unendlich viel mehr als diese widerwärtigen Mücken, ebenso wie es mehr ist als das oft hässliche Wetter. Schottland - das ist vor allem eine faszinierende Landschaft, eine großartige Natur und eine jahrhundertealte Geschichte, die viel Sehenswertes hervorgebracht hat. Castles zum Beispiel, darunter jenes, zu dem wir uns von Portree auf den Weg gemacht haben, dem Hauptort der Insel Skye. Die Rede ist von Eilean Donan Castle. Vermutlich gibt es keinen einzigen Schottland-Liebhaber, der diese Burg noch nicht gesehen hat. Aber auch denjenigen dürfte das Bauwerk bekannt sein, die noch nie im Norden Großbritanniens waren. Sei es von Fotos oder aus Filmen wie "Braveheart", "Prinz Eisenherz", "Verliebt in eine Braut" oder dem James Bond-Streifen "Die Welt ist nicht genug". Eilean Donan Castle ist wohl die am meisten abgelichtete Burg Schottlands und gleichzeitig eines der berühmtesten Fotomotive der britischen Inseln überhaupt. Ein touristisches Juwel, ein Must-see jeder Schottland-Reise, das pro Jahr stolze 300.000 Besucher anzieht. Was für diesen entlegenen, nur dünn besiedelten Landstrich am Rande Europas eine ganze Menge ist.
Der Anblick ist atemberaubend. Drei Lochs treffen an dieser Stelle aufeinander - so nennen die Schotten sowohl ihre Seen als auch ihre Meeresbuchten -, und an dem strategisch günstigsten Platz befindet sich die Burg. Wie jene im französischen Carcassonne, so sieht auch diese hier wie eine Spielzeugburg aus. Kompakt und übersichtlich gegliedert, reihen sich die Gebäude aneinander. Eilean Donan Castle liegt auf einer kleinen Landzunge, die sich während der Flut in eine Insel verwandelt, auf die eine steinerne Brücke hinüberführt. Beide, sowohl die Brücke als auch die Burg, befinden sich in einem ausgezeichneten Zustand. Ein jahrhundertealtes, bestens erhaltenes Gemäuer also in einer beeindruckenden Kulisse - so könnte man meinen. Doch dem ist nicht so. Wenn es hier keine Ruinen gibt, keine eingestürzten Gebäudeteile oder herumliegenden Steinhaufen, die sich die Natur allmählich zurückerobert hat, so ist das ganz einfach auf den Umstand zurückzuführen, dass die Burg ihr heutiges Aussehen erst vor wenigen Jahrzehnten erhalten hat - im Jahr 1932.
 
 
Als wir unser Auto auf dem Parkplatz abstellen, ertönt gerade das laute, schnarrende Geräusch eines Dudelsacks. Er ist ein Instrument, das aus dieser Landschaft nicht wegzudenken ist. Dass der Pfeifer einen Kilt trägt, einen Schottenrock, versteht sich von selbst, und dass es das Muster des Clans der MacRae ist, ebenso. John MacRae war es, der vor hundert Jahren mit Eilean Donan Castle den Stammsitz seines Clans erwarb, eine Ruine, durch deren Gemäuer der Wind pfiff, und die nur noch den Geistern der Highlands als Aufenthalt diente. Engagiert machte er sich an die Wiederherstellung der Burg, der Überlieferung nach geleitet von einem Traum, in dem er ihren einstigen Zustand gesehen haben will. Eine nette, aber wohl eher fragwürdige Geschichte. So ist etwa die Brücke eine Neuschöpfung ohne Vorbild. Doch zur Ehrenrettung des Neu-Bauherrn muss gesagt werden, dass die Voraussetzungen für eine absolut authentische Rekonstruktion auch denkbar schlecht waren, nachdem mehr als 300 Fass Schießpulver die Anlage rund 200 Jahre zuvor in die Luft gejagt hatten. Schuld an diesem destruktiven Ereignis waren - na klar, wer soll es bei den Schotten auch sonst gewesen sein! - die Engländer, die Erzfeinde im Süden. Während eines Aufstandsversuchs der Schotten im Jahr 1719 hatten sich etliche von ihnen zusammen mit spanischen (!) Verbündeten in der Burg verschanzt, worauf die Royal Navy drei Fregatten entsandte. Als englische Unterhändler sich der Burg näherten, feuerten die Spanier ihre Musketen auf sie ab, worauf die Engländer ihrerseits von ihren Schiffen aus das Feuer erwiderten. Eineinhalb Tage dauerte der Beschuss, dann erstürmten die Engländer die Burg und nahmen die 44 Überlebenden gefangen. Besonders gefreut haben dürften sich die Engländer darüber, dass ihnen neben den Vorräten der Burg zugleich 343 Fässer mit Schießpulver in die Hände gefallen waren - genug, um das ganze Bauwerk mit einem lauten Knall in die Luft zu jagen. Anschließend zogen auf Eilean Donan Castle für zweihundert Jahre die Geister ein, bis der erwähnte Nachfahre der MacRaes seinen Traum hatte und sich daran machte, ihn in die Realität umzusetzen. 1937 starb er, danach blieb die Burg unbewohnt, bis sie im Jahr 1955 als Museum für die Öffentlichkeit freigegeben wurde. Heute strömen die Besucher in Massen. Und mag die Authentizität der Anlage bei der Restaurierung auf der Grundlage eines Traums auch ein wenig auf der Strecke geblieben sein - traumhaft ist das Ergebnis auf jeden Fall. Ein Must-see eben.
 
Manfred Lentz
 
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