Happy together!
Vom Liebesglück, dem man auf Reisen begegnet.
 
Als ich Ende 2011 reiselust.me mit einem ersten Bericht ins Internet stellte, hatte ich keine Ahnung, wie lange die Seite existieren würde. Alle zehn Tage wollte ich einen neuen Bericht einstellen, aber würde mein Vorrat an Erlebnissen dafür ausreichen? Würde ich genug interessante Themen finden, die ich den Besuchern meiner Website anbieten könnte? Inzwischen sind mehr als zwei Jahre vergangen, der heutige Bericht ist der hundertste, und ich habe noch immer Stoff für etliche weitere. Genügend Fotos habe ich auch noch auf meiner Festplatte. Und Google Analytics zufolge gibt es eine nicht unerhebliche und wachsende Zahl von Besuchern, die reiselust.me zu schätzen wissen. Also mache ich weiter, vertraue darauf, dass mir die Themen in absehbarer Zeit nicht ausgehen werden - zum Glück kommen ja immer neue Reisen hinzu - und feiere mit dem hundertsten Bericht ein entspanntes Jubiläum.
 
Aber mit was für einem Bericht? habe ich mich gefragt. Jubiläen verlangen nach etwas Besonderem, am besten sollte es wohl etwas Positives sein. Eine Weile habe ich über diese Frage nachgedacht, dann kam mir der Gedanke: Was kann positiver sein, als wenn zwei Menschen, die bisher getrennt durchs Leben gegangen sind, zueinander finden und beschließen, diesen Weg in Zukunft gemeinsam zu gehen? Also habe ich mich entschieden, diesem Thema einen Bericht zu widmen. Passende Fotos habe ich in meinem Vorrat gefunden, nicht von privaten Feiern, denn zu denen hatte ich keinen Zugang, wohl aber von Fotoshootings in der Öffentlichkeit, wo die Beteiligten Erinnerungsbilder von ihrem großen Tag aufnehmen ließen und ich das Glück hatte, gerade in diesem Augenblick anwesend zu sein. Allesamt zufällige Begegnungen also, aber jedes Mal von einer Stimmung erfüllt, die mich selbst und die anderen Anwesenden berührte.
 
 
Schön sah jedes dieser Paare aus, nicht unbedingt, was die jeweiligen Personen betraf, aber das ist ja Geschmackssache, doch was das Outfit anbelangte, hatten sich alle mächtig ins Zeug gelegt. Die Kleidung, die Haare, die gestylten Gesichter, der Schmuck - all das in Verbindung mit ihrer Ausstrahlung ließ sie an diesem Tag als Menschen erscheinen, die auf rosaroten Wölkchen schwebten und die den Eindruck vermittelten, als wollten sie die ganze Welt in ihre Arme schließen. Was natürlich nicht möglich war, weshalb sie es um so mehr mit denjenigen taten, in deren Gesellschaft sie erschienen waren. Ein Küsschen hier, ein Küsschen dort, strahlende Blicke und lachende Gesichter und immer wieder Umarmungen, um einander in diesen Stunden ganz nahe zu sein. So wie etwa im schottischen Edinburgh, wo sich gleich zwei Paare auf einmal das Jawort gegeben hatten. Wann und wo, das war nur ihnen und ihrem Anhang bekannt. Nun aber standen sie ganz öffentlich auf der altehrwürdigen Burg hoch über der Stadt, einem jener herausragenden Orte, die mit der Geschichte und den Emotionen eines ganzen Volkes aufgeladen sind. Dass die Männer Kilts trugen, die traditionellen Röcke der Schotten, war wohl zwingend, anders wäre ihr Auftritt hier kaum denkbar gewesen. Auch dass ein Dudelsackpfeifer spielte, war vermutlich ein Muss. Und während die Brautpaare sich für die Fotos aufstellten, angefeuert von den Zurufen ihrer Gäste - von denen mehrere Seifenblasen bliesen, ein uns unbekannter Brauch -, während etliche zufällig anwesende Touristen die Burg für eine kurze Unterbrechung links liegen ließen und sich um die Brautpaare scharten, tönte das Spiel des Dudelsacks bis in die Stadt hinunter und kündete davon, dass sich in diesem Moment an diesem Ort ein Höhepunkt im Leben von zwei - nein, in diesem Fall sogar vier Menschen vollzog. God bless you and may you always be happy!
Heiraten die Schotten seltener als andere Völker? Unsere eigene Statistik könnte darauf schließen lassen, haben wir doch bei mehrmaligen Aufenthalten in Schottland nur eine einzige Hochzeit gesehen, in Sankt Petersburg dagegen, wo wir gerade mal sieben Tage zugebracht haben, gleich zwei. Aber natürlich war das reiner Zufall. Auch die beiden russischen Paare hatten sich ganz besondere Orte ausgesucht. Das eine Paar den Platz vor der im altrussischen Stil errichteten Auferstehungskirche, einem architektonischen Juwel mit goldenen und bunt emaillierten Kuppeln. Das andere das Ufer der Newa neben der Peter-und-Paul-Festung. Hier, mit einem herrlichen Blick über den Fluss hinweg auf einige der bedeutendsten Gebäude der Stadt, posierten sie für den Fotografen, Champagnergläser in der Hand, die Braut auf dem Schoß des Bräutigams sitzend und einander verliebt in die Augen blickend. Ab jetzt sind wir für immer vereint, schienen diese Blicke zu sagen, von heute an bauen wir uns eine gemeinsame Zukunft auf. Inwieweit die beiden Turtelnden die Zuschauer um sie herum wahrgenommen haben, kann ich nicht sagen. Aber sehr intensiv dürfte dieses Wahrnehmen wohl kaum gewesen sein.
 
Eine Woche Rom im April 2013, und auch hier hatten wir das Glück, gleich zwei Hochzeitspaare zu sehen. Wer die Braut war, die da unter den Augen von Bodyguards mit einem Strauß roter Rosen aus dem Rolls Royce stieg, wussten wir nicht. Aber ihre gesellschaftliche Stellung muss eine nicht geringe gewesen sein, vielleicht auch die ihres bereits wartenden angehenden Ehemanns, der militärisch gekleidet in Begleitung einiger ebenfalls Uniformierter sichtlich nervös auf und ab gegangen war. Auch in der bis auf den letzten Platz besetzten Kirche warteten sie schon. Doch nun war die Braut endlich da, und die Zeremonie konnte beginnen. Vor unserer Nase wurden die Türen der Kirche geschlossen, ohne dass wir noch eine Chance zum Hineinschlüpfen gehabt hätten. Scusate, questa è una festa privata! Schade, aber natürlich in Ordnung. Wenig später dann die zweite Hochzeit, diesmal nur eine Sache von Sekunden, jedenfalls für uns. Röhrende Motoren in den Gassen von Trastevere, und nur einen Augenaufschlag später waren sie auch schon heran - mehrere Motorräder, auf dem ersten der Bräutigam mit seiner Braut, einer Bikerbraut im wahrsten Sinne des Wortes. Viel zu schnell waren sie vorbei und verschwunden. Aber zum Glück gibt es ja Fotos.
 
 
Mehr zu sehen bekamen wir drei Jahre davor in Istanbul. Der Ort für das Fotoshooting war perfekt gewählt: am Ende des Goldenen Horns auf einem Hügel, mit einem wunderbaren Blick über die Stadt. Ein Ort, wie geschaffen fürs Fotografieren, und am besten für Aufnahmen von einem glücklichen Paar. Auch hier wieder ein auf Hochglanz poliertes Aussehen und strahlende Gesichter, auf die der bevorstehende Alltag noch keine Schatten geworfen hatte. Eine Fotografin gab Anweisungen - ein wenig drehen, den Kopf etwas höher, und jetzt bitte lächeln -, und schon klickte es ein um das andere Mal. Auch die Verwandten hielten das Ereignis digital fest und ebenso etliche Zuschauer, denen dieser Event zufällig in den Schoß gefallen war. Ein Hochzeitspaar zu sehen, scheint offenbar auch noch den größten Muffel zu beeindrucken, denn alle zeigten freundliche Gesichter. Ja, bei einigen war sogar ein verklärter Ausdruck zu entdecken, von der Erinnerung gespeist oder von einem erwartungsvollen Blick in die eigene Zukunft.
 
Auf Sri Lanka sind wir mit dem Auto unterwegs, als wir ein Brautpaar am Straßenrand entdecken. Klar, dass wir anhalten. Beide sind in traditionelle Gewänder gekleidet, desgleichen mehrere Angehörige oder Freunde, es ist ein buntes, exotisches Bild, das jeden Reiseführer über die Insel bereichern würde. Auch hier sind wir wieder Zuschauer, die keine Einzelheiten erfahren. Wer sind die beiden, und wie haben sie zueinander gefunden? Hat ein Astrologe den günstigsten Tag für ihre Vermählung ermittelt, wie das auf Sri Lanka nicht unüblich ist? Und wie wird ihre Feier aussehen, wie viele Gäste sind geladen, wird es Musiker und Tänzer geben und womöglich einen Hochzeitselefanten als ein glücksbringendes Tier? Es ist eine dieser Situationen, in denen man gern einmal ein Mäuschen wäre, um die beiden an ihrem Tag - oder vielleicht sind es auch mehrere Tage - zu begleiten. Wie üblich gibt es außer uns noch andere Schaulustige. Einige Autofahrer halten an, andere werfen der kleinen Hochzeitsgesellschaft neugierige Blicke im Vorbeifahren zu, darunter einige so intensiv, dass das Ausbleiben eines Unfalls schon fast an ein Wunder grenzt.
 
Schottland und Rom, Sankt Petersburg, Istanbul und Sri Lanka ... Seit die Fotos entstanden sind, ist einige Zeit vergangen, im Fall Edinburgh sind es bereits sieben Jahre. Was die Frage aufwirft, wie es all diesen Paaren in der Zwischenzeit ergangen ist. Hat ihr Glück gehalten? Sind sie auch heute noch zufrieden mit der damals getroffenen Wahl? Gibt es Kinder? Fragen, auf die ich keine Antworten habe. Doch da dies mein 100. Bericht ist, und ich es als einen Glücksfall betrachte, so viele Berichte zusammen gebracht zu haben, will ich positiv denken und annehmen, dass auch bei den erwähnten Paaren alles zum Besten steht. Dass sich ihre Träume von damals erfüllt haben. Und so mögen sie denn auch weiterhin glücklich und zufrieden leben bis ans Ende ihrer Tage. Alles Gute! All the best! Tutto bene! Wsjewo choroschewo! Bol sanslar! Djaye wäwa!
 
Manfred Lentz
 

Die neuen Berichte auf reiselust.me erscheinen jeweils
am 10., 20. und 30. jedes Monats