Die Arroganz der Macht
Die US-Invasion in der Schweinebucht im April 1961. Kuba 2015
Die US-Invasion in der Schweinebucht im April 1961. Kuba 2015
Die Peninsula de Zapata ist eine der einsamsten Gegenden Kubas. Statistisch leben hier gerade einmal 2,2 Einwohner auf einem Quadratkilometer. Ein Sumpfgebiet nimmt den größten Teil der Halbinsel ein, es ist die Heimat des Rautenkrokodils und seltener Vogelarten, weshalb das Gebiet als Nationalpark ausgewiesen wurde. Auf Exkursionen mit einheimischen Führern haben Touristen die Möglichkeit, eine beeindruckende Landschaft kennenzulernen. Anhänger des Tauchsports erwartet eine faszinierende Unterwasserwelt. Doch so schön dieser Teil Kubas auch ist, so dürfte seine Existenz den meisten Nichtkubanern kaum bekannt sein. Ganz anders verhält es sich mit dem östlichen Rand dieses Gebietes, einer etwa vierzig Kilometer ins Landesinnere hinein reichenden Bucht, der Bahía de Cochinos. Bei uns ist sie üblicherweise unter dem Namen Schweinebucht bekannt, obwohl diese Übersetzung aus dem Spanischen falsch ist. Denn mit Schweinen = cochinos hat die Bucht nicht das Geringste zu tun, wohl aber mit einer hier heimischen Fischart, die denselben Namen trägt. Aber ob nun falsch oder richtig - nahezu jeder dürfte den Namen schon einmal gehört haben, steht er doch für ein Ereignis, das für Kuba von einschneidender Bedeutung war und das auch auf dem Feld der internationalen Politik eine ganz große Nummer darstellte: die US-amerikanische Invasion in der Schweinebucht im April 1961.
Ersten Hinweisen auf die damaligen Ereignisse begegnen wir, als wir die Autopista von Havanna nach Santa Clara verlassen und auf einer Landstraße gen Süden fahren. In unregelmäßigen Abständen erblicken wir umfriedete Betonsegmente zu beiden Seiten der Straße, auf denen sich jeweils ein Schild mit dem Namen eines Kubaners befindet - Denkmäler für Männer, die infolge der Invasion hier ihr Leben gelassen haben. Um den Umständen ihres Todes und dem ihrer Kameraden nachzuspüren, sind wir hier. Doch bevor wir die Gegend kennen lernen, in der die Invasion ihren Anfang nahm, machen wir am nördlichsten Punkt der Bucht Halt. Playa Larga ist ein öder Ort: ein paar Geschäfte, ein mäßig attraktiver Strand sowie ein- und zweistöckige Häuser an staubigen Straßen, von denen etliche als Casas Particulares ausgewiesen sind, private Unterkünfte, wie sie den Kubanern seit einigen Jahren erlaubt sind. In einem dieser Casas steigen wir ab. Wie alle anderen Touristen, sind auch wir nicht wegen des Ortes hier. Es ist die Umgebung, die uns reizt und in der wir am Tag nach unserer Ankunft eine geführte Wanderung unternehmen. Und es ist das am anderen Ende der Bucht liegende Museum, das an die Invasion von 1961 erinnert.
Werfen wir einen kurzen Blick auf die Vorgeschichte dieses Ereignisses. Nachdem Kuba beinahe 400 Jahre unter spanischer Herrschaft gestanden hatte, bildete sich in der zweiten Hälfte des 19. Jahrhunderts eine Bewegung, die die nationale Unabhängigkeit anstrebte. Unterstützung erhielt diese Bewegung sowohl politisch als auch militärisch von den USA, wobei diese allerdings alles andere als uneigennützig war. Für Kuba war es der Weg vom Regen in die Traufe: Errang das Land auf der einen Seite die Unabhängigkeit von Spanien, so musste es andererseits einen Passus in seine neue Verfassung aufnehmen, der die faktische wirtschaftliche, politische und militärische Abhängigkeit von den USA begründete. Für den Fall, dass Kuba gegen US-amerikanische Interessen verstoßen sollte, hatte sich der Nachbar im Norden ein Interventionsrecht vorbehalten. In der Folge erwarben US-amerikanische Unternehmen in großem Stil Land auf der Insel, errichteten Fabriken, übernahmen die Kontrolle über Schlüsselbereiche der Wirtschaft und verbuchten bei ihren Geschäften Milliardengewinne, während gleichzeitig große Teile der Bevölkerung in Armut und Analphabetismus verharrten. Hinzu kamen die Aktivitäten der amerikanischen Mafia, die mit Alkohol, Glücksspiel und Prostitution Kuba in eine Gelddruckmaschine verwandelte. Der Begriff des karibischen Paradieses, den die Tourismusindustrie heute so gern benutzt - für die Konzerne aus dem Norden und die Mafia war er seinerzeit Wirklichkeit geworden. Doch dann kam das Jahr 1959. Die von Fidel Castro angeführte Revolution siegte und Kuba begann, sich auf seine eigenen Interessen zu besinnen. Land, das US-Unternehmen gehörte, wurde enteignet, Firmen verstaatlicht, und ein riesiges volkswirtschaftliches Vermögen wechselte den Besitzer. Die Betroffenen reagierten mit Entsetzen und Wut auf diese Maßnahmen, und eine Politik nahm ihren Anfang, die darauf abzielte, sie rückgängig zu machen. Ja, mehr noch - die danach strebte, die Verantwortlichen für diese Maßnahmen zu beseitigen. Ein teils offener, teils verdeckter Kampf begann, rücksichtslos gegen die Castro-Regierung, rücksichtslos aber auch gegen die Bevölkerung, die in ihrer Mehrheit die Politik der Regierung unterstützte. US-amerikanische Flugzeuge warfen Brandbomben über Zuckerrohrfeldern ab, Fabriken und Schiffe wurden in die Luft gesprengt und Mordanschläge gegen führende kubanische Politiker verübt, insbesondere gegen Fidel Castro. Und als all dies nichts nützte und Kuba trotz Terror und Sabotage noch immer nicht zu Kreuze gekrochen war, holten die USA unter ihrem Präsidenten John F. Kennedy zum großen Schlag aus: zur Invasion.
Dass sie gerade in der Schweinebucht stattfand, ist kein Zufall, handelte es sich doch wie erwähnt um eine der einsamsten Gegenden Kubas. Einsam ist sie auch noch zur Zeit unseres Besuches, allerdings ist sie alles andere als ruhig. Ohrenbetäubender Lärm schlägt uns entgegen, als wir den weiten Hotelkomplex in Playa Giron am Eingang der Bucht betreten, um vor der Besichtigung des Invasions-Museums einen Blick auf den Strand und damit auf einen der Orte des damaligen Geschehens zu werfen. Disco-Musik dröhnt von einer Bühne und beschallt den gesamten Komplex, das Hauptgebäude ebenso wie die zahlreichen Bungalows zu beiden Seiten. Lauter, sagen wir uns, kann das Donnern der Geschütze während der Invasion auch nicht gewesen sein. Wir lassen den kurzen palmenbestandenen Strand links liegen und wenden uns der einstigen Promenade des Hotels zu, die inzwischen fast vollständig zerfallen ist. Unsere Blicke wandern die Küste entlang. Hier irgendwo kamen am 17. April 1961 die Landungsboote an, besetzt mit 1.300 Exilkubanern unter dem Kommando von zwei CIA-Agenten und logistisch unterstützt von der US-Marine. Zur Vorbereitung der Invasion hatten amerikanische B-26-Bomber mehrere kubanische Flugplätze unter Feuer genommen, allerdings besaßen die Kubaner noch immer die Lufthoheit. Hinzu kamen Verteidigungskräfte am Boden, die binnen kürzester Zeit herangeführt werden konnten. Hatten die Amerikaner damit gerechnet, dass die Kubaner den Angriff nutzen würden, um das vermeintlich verhasste Castro-Regime zum Teufel zu jagen, so erwies sich das als eine verhängnisvolle Fehleinschätzung. Gerade in dieser einst bitterarmen Gegend hatten die gleich nach der Revolution getroffenen Maßnahmen der neuen Regierung zu Verbesserungen für die Menschen geführt, weshalb der Widerstand gegen die Angreifer entsprechend heftig ausfiel. Fidel Castro selbst leitete den Kampf auf kubanischer Seite, und er tat es so erfolgreich und seine Männer kämpften so entschlossen, dass die Invasionstruppen nach nur drei Tagen aufgerieben waren. Knapp 300 Tote auf beiden Seiten blieben zurück, 4.000 Männer wurden verletzt, mehr als 1.000 US-Amerikaner von den Kubanern gefangen genommen - allerdings schon im folgenden Jahr wieder frei gelassen, nachdem die Kennedy-Administration Lösegeld in Form von Nahrungsmitteln und Medikamenten auf die Insel geschickt hatte.
Zwei historische Panzer und ein Flugzeug werben für einen Besuch des Museums, das den Ereignissen von 1961 gewidmet ist. "Giron. Sieg des Sozialismus" lautet das Motto am Eingang, und dieses demonstrativ zur Schau gestellte Selbstbewusstsein ist nur allzu berechtigt. Auf Karten wird der Verlauf der Kampfhandlungen nachgezeichnet, Waffen werden präsentiert und Gegenstände aus dem persönlichen Besitz der Beteiligten. Vor allem aber gibt es jede Menge Fotos, darunter viele, die den Kämpfern gegen die Invasion ein Gesicht geben. An einer Erinnerungswand reihen sich die Bilder der Gefallenen, die das heutige Kuba als die "Heroes de Giron" verehrt. Auf einer Aufnahme ist das Wort "Fidel" zu sehen. Dem Begleittext zufolge wurde es von einem schwer verwundeten Kämpfer unmittelbar vor seinem Tod mit dem eigenen Blut geschrieben als ein Ausdruck des Vertrauens in den Sieg der Revolution. Es ist ein Foto, das mich berührt hat, bildet es doch einen sehr menschlichen Kontrapunkt gegen die "Arroganz der Macht" - so der Titel eines wenige Jahre nach dem Schweinebucht-Abenteuer erschienenen Buches eines US-amerikanischen Senators, in dem dieser sich kritisch mit der Außenpolitik seines eigenen Landes auseinandersetzt.
Dass mit dem Scheitern der Invasion in der Schweinebucht die US-amerikanischen Versuche einer Destabilisierung Kubas längst nicht beendet waren, ist bekannt. Und damit meine ich nicht nur das Jahrzehnte andauernde, noch immer nicht beendete Embargo, sondern auch die viel handgreiflicheren Aktivitäten, insbesondere die Mordversuche gegen Fidel Castro. Unfassbare 638 sollen es bis zur Übergabe der Macht an seinen Bruder Raúl im Jahr 2006 gewesen sein! So viele, dass sie Fidel Castro einen Eintrag in das Guinness-Buch der Rekorde bescherten - Anschläge mit Scharfschützen, mit Sprengsätzen in seinen Schuhen oder mit Gift in seinen Zigarren, wobei die meisten dieser Anschlagsversuche auf das Konto des US-Geheimdienstes CIA gegangen sein sollen. Alle diese Versuche sind gescheitert, ebenso wie der Versuch, das "aufmüpfige" Kuba mittels Embargo in die Knie zu zwingen. Vermutlich aus dieser Einsicht heraus, aber auch um im Wettlauf mit Europäern, Chinesen und Russen um den kubanischen Markt nicht das Nachsehen zu haben, hat die Obama-Regierung Ende 2014 einen Kurswechsel gegenüber Kuba eingeleitet. Man muss kein Hellseher sein, um die vollständige oder zumindest fast vollständige Normalisierung der Beziehungen in absehbarer Zeit vorherzusagen. Und so dürfte der Tag wohl nicht mehr fern sein, an dem abermals eine amerikanische Invasion über Kuba hereinbrechen wird. Nur werden die Beteiligten diesmal nicht versuchen, die Tür gewaltsam einzutreten - diesmal werden sie Eintritt zahlen.
Manfred Lentz
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