Vom Feinsten
Die Top-Hotels von Las Vegas. USA 2011 (Teil 2)
 
Ein potemkinsches Dorf hatten wir in Las Vegas erwartet, eine aufgemotzte Glitzerkulisse aus Pappmaché und Gips. Protzen, das die Schäbigkeit kaschiert. Aber kaum hatten wir erste Eindrücke gesammelt, war uns klar, wie sehr wir uns geirrt hatten. Alles in Las Vegas - oder zumindest das Meiste - ist echt, und obendrein ist Vieles vom Feinsten. Und wir haben gelernt, dass die Casinos, die Las Vegas groß gemacht haben, längst nicht mehr der einzige Grund für einen Besuch in der Stadt sind. Hinzugekommen ist eine auf ein breites Publikum zugeschnittene Erlebniskultur, die ihren Ausdruck in fantasiereich gestalteten Themenhotels findet, in edlen Shoppingmalls und Restaurants für jeden Geschmack und nicht zuletzt in einem beeindruckenden Angebot aufwändig inszenierter Shows. David Copperfield und Elvis, Frank Sinatra und Dean Martin, Britney Spears und die Bee Gees - sie und viele andere gehörten in der Vergangenheit zu den Superstars, die das Publikum in Las Vegas begeistert haben. Angeführt wurde die Riege der ganz Großen von zwei Männern, denen es gelang, mit ihrer Show die kaum fassbare Summe von 1,5 Milliarden US-Dollar einzuspielen: den deutsch-amerikanischen Zauberkünstlern und Dompteuren Siegfried & Roy mit ihren legendären weißen Tigern und Löwen. Mit 5.750 Vorstellungen und mehr als 10 Millionen Zuschauern war ihre Show die meistbesuchte, die die Stadt jemals erlebt hat - ein triumphaler Erfolg, der im Jahr 2003 nur deshalb ein frühzeitiges Ende fand, weil Roy bei einem Auftritt von einem der Tiger schwer verletzt wurde.
 
 
Ort dieser Veranstaltungen war das 1989 eröffnete Hotel "Mirage", das ich im Zusammenhang mit dem "Vulkanausbruch" bereits erwähnt habe. Konzipiert hat dieses Hotel Steve Wynn, ein Mann, der in der Tradition des "American Dream" ganz unten angefangen hat und auf der Erfolgsleiter bis ganz nach oben geklettert ist. Vom Kasinoangestellten auf die Forbes-Liste der reichsten Männer der Welt, wobei sein Name nicht nur mit dem "Mirage" verbunden ist, sondern außerdem mit dem "Bellagio" und vor allem mit jenem Hotel, das seinen Namen trägt: dem "Wynn". Im Jahr 2005 eröffnet, war es mit Baukosten von 2,7 Milliarden Dollar seinerzeit das teuerste Hotel der Welt, eine Symbiose von exquisitem Geschmack und Geld, die bis heute in Las Vegas unübertroffen ist. Klar, dass wir dieser Perle der örtlichen Hotellerie einen Besuch abstatten. Einen Besuch wohlgemerkt, keinen Aufenthalt, obwohl ein paar Nächte in einem der Zimmer oder gar einer der Suiten des "Wynn" zweifellos ein Erlebnis gewesen wären. Muss aber nicht sein, die Infrastruktur des Hotels - oder zumindest Teile davon - dürfen Nicht-Hausgäste ebenfalls nutzen. Auch Männer und Frauen in Schlabbershorts und mit XXL-Speck in den T-Shirts und mit Eistüten herumbalancierenden Kindern an der Hand. Einmal mehr der überdeutliche Hinweis, dass in Las Vegas das Wohlfühlen an erster Stelle steht. Das Wohlfühlen auf dem Weg ins Casino. Ein Thema wie viele andere Hotels hat das "Wynn" nicht, allenfalls könnte es "Reichtum und Eleganz" lauten, entsprechend dem spontanen Eintrag in unserem Tagebuch: "Tausend Ideen, und alles in feinster Ausführung. Blumen überall. Oberste Liga!"
Kaffee und Kuchen in einem der 23 Restaurants des "Wynn". Nicht gerade preiswert, aber in so manchem Touristen-Café in deutschen Großstädten hätten wir mehr hinlegen müssen. Wir sitzen vor einem künstlichen Berg mit Nadelbäumen und bis zu 30 Meter hohen, ebenfalls künstlichen Wasserfällen. Eine von Landschaftsarchitekten gestaltete Umgebung, bei der nichts daran erinnert, dass sich Las Vegas in einer der trockensten und heißesten Regionen der USA befindet. Nicht nur ein Beispiel dafür, wie der Mensch die Natur in den Griff zu bekommen vermag, sondern auch, was sich mit Geld, und zwar mit richtig viel Geld erreichen lässt. In der Regel jedenfalls, denn selbst in dieser erfolgsverwöhnten Stadt geht gelegentlich etwas schief. So wie vor einigen Jahren beim Bau eines neuen großen Hotelkomplexes, des "Cosmopolitan". Das Projekt eines Investors, den die Finanzkrise des Jahres 2008 in die Pleite getrieben hatte, als das Hotel schon begonnen, aber noch nicht fertiggestellt war. Als Kreditgeber war seinerzeit die "Deutsche Bank" aufgetreten. Um einen Totalausfall ihres bereits investierten Kapitals zu verhindern, entschloss sich die Bank seinerzeit, selbst zum Bauherrn zu werden und das Hotel zu vollenden. Von unserem Zimmer im "Bellagio" sehen wir das Ergebnis jeden Tag - einen architektonisch fantasielosen 3.000-Zimmer-Komplex, der genau so in jeder beliebigen anderen Stadt stehen könnte. Den gleichen Eindruck hinterlässt auch das Interieur bei uns. Zwar gibt es in diesem Hotel den größten, über drei Stockwerke reichenden Leuchter der Welt, aber ein Superleuchter macht noch kein Superhotel, und auch die restliche Einrichtung kann uns nicht überzeugen. Weshalb wir nach fünf Tagen Entdeckungstouren durch die Las-Vegas-Hotellerie das "Cosmopolitan" in unserem Tagebuch mit dem Vermerk "am wenigsten attraktiv" bedenken.
 
Eine Revue der bekanntesten Hotels der "Entertainment Capital of the World" wäre unvollständig ohne das "MGM Grand". 7.000 Betten, auch hier wieder etliche Restaurants, eine Shoppingmall und natürlich ein Casino. Vor dem Hotel hält ein riesiger Löwe Wache, die größte Bronzeplastik der USA. Sie kennen diesen Löwen - es ist "Leo the Lion", der brüllende Vorspannlöwe zahlreicher Filme umgeben von dem Schriftzug "Ars gratia artis" (Kunst um der Kunst willen). Der Name der Filmgesellschaft lautet Metro-Goldwyn-Mayer, abgekürzt MGM, das Logo ist eines der bekanntesten weltweit. Wer das weiß, für den sind die beiden Löwen im Eingangsbereich des Gebäudes keine Überraschung. Zusammen mit zwei Pflegern empfangen sie uns hinter Trennwänden aus Glas. Zwei echte Löwen, die - anstatt nach Raubtierart ihre Pfleger aufzufressen - zweifellos randvoll gesättigt völlig abgeschlafft da liegen und sich von den beiden das Fell kraulen lassen. Ein Zeitjob für die Tiere - nach jeweils sechs Stunden "Arbeit" in dem gläsernen Käfig werden sie von Artgenossen abgelöst. (Heute, im Jahr 2015, gibt es dieses Ensemble nicht mehr. Stattdessen ist eine größere Löwengruppe in einer anderen Umgebung zu sehen.)
 
 
Wilden Tiere begegnen wir auch an einer anderen Stelle im "MGM Grand". "Rainforest Cafe" steht über dem Eingang, und nach wenigen Schritten tauchen wir tatsächlich in einen Regenwald ein, in einen künstlichen, versteht sich, der aber so professionell gestaltet ist, wie man es von einem der weltgrößten Vermarkter von Fantasien und Illusionen wohl erwarten darf. Urwaldbäume und Lianen umgeben uns, Wasser ergießt sich über Felsen in einen Teich, und aus dem Halbdunkel starren uns die Bewohner dieser exotischen Welt an. Exotisch, aber auch zivilisiert - mit einer Bar, an der Besucher auf Zebra- und Giraffenhockern ihren Expeditionsdurst löschen können und mit Tischen, an denen man bei einem deftigen Mahl Urwaldfeeling genießen kann. Und das auch bei unruhigem Wetter. Kaum haben wir Platz genommen und unser Essen bestellt, als ein Gewitter losbricht. Blitze zucken und Donner rollt, dann beginnt es sogar noch zu regnen, zumindest an ausgewählten Stellen, an denen von den Gästen niemand nass werden kann. Dazu erwacht wie durch einen Abrakadabra die bis dahin stumme Tierwelt zum Leben, überall brüllt und kreischt es, schaukeln Affen in den Lianen und halten Leoparden nach Frischfleisch Ausschau, und für ein paar Minuten fühlt man sich in eine andere Welt versetzt. Beinahe jedenfalls. Aber eingedenk der Tatsache, dass wir uns nun einmal inmitten einer amerikanischen Millionenstadt befinden, ist diese MGM-Show wahrhaft gelungen. So gelungen wie der gleich neben dem Restaurant liegende Shop, in dem das "Rainforest Cafe" umfassend vermarktet wird. Merchandising total - kein Wunder, schließlich befinden wir uns in den USA.
 
Rund 40 Millionen Touristen aus aller Welt zieht es in jedem Jahr nach Las Vegas, und das, obwohl der Stadt in den letzten Jahren mit dem chinesischen Glücksspielparadies Macau eine mächtige Konkurrenz erwachsen ist. Doch ist die Stadt im Südwesten der USA auch heute noch die mit dem berühmteren Namen. Von Las Vegas hat jeder schon einmal gehört, und vermutlich haben die meisten auch irgendeine Vorstellung davon. Die nicht unbedingt zutreffend sein muss - wir selbst sind ein Beispiel dafür. Aber Vorurteile sind keine festgefügten Urteile, man kann sie korrigieren, und genau das haben wir bei unserem ersten Besuch in Las Vegas auch sehr schnell getan. Bei unserem ersten Besuch? Jawohl, nach fünf Tagen Las Vegas beinahe rund um die Uhr sind wir uns sicher, dass dieser Besuch nicht unser letzter gewesen ist. Schließlich wissen wir jetzt ja Bescheid.
 
Manfred Lentz (November 2015)

 
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