Saurier auf Rädern
Noch immer sind Oldtimer allgegenwärtig auf Kubas Straßen. 2015
 
Es ist nicht das erste Mal, dass wir in einem Oldtimer sitzen, aber diesmal ist es am schönsten. Ein Chevrolet, Jahrgang 1953, Cabriolet, rot und ausgezeichnet erhalten. Seine Chromteile sind so blank geputzt, dass sich der Himmel darin spiegelt. Passend dazu zeigt sich der Fahrer, auch er hat sich fein gemacht. Unser Chauffeur. Würden wir so über den Berliner Ku'damm rollen - die neidischen Blicke aller Passanten wären uns gewiss. Doch wir sind nicht in Berlin, wir sind auf Kuba. Vier Wochen Urlaub auf der Insel sind zu Ende, und wir befinden uns auf der Fahrt zum Flughafen von Holguin. Vermutlich hat das gute Trinkgeld an der Rezeption unseres Hotels bewirkt, dass sie dieses Schmuckstück für uns aufgetrieben haben. Und als wäre dessen äußere Erscheinung noch nicht genug, will der Chauffeur auch noch beweisen, was unter der Motorhaube seines Wagens steckt. Mit coolem Gesichtsausdruck, den linken Arm lässig auf den Fensterrahmen gestützt, tritt er das Gaspedal durch, als wolle er abheben. Wir sind beeindruckt, fühlen uns aber bald zunehmend unwohl. Ohne Gurte in einem Affentempo über Straßen zu brettern, die zu einem erheblichen Teil aus Schlaglöchern bestehen und auf denen wir schon hinter der nächsten Kurve auf ein träge vor sich hinzuckelndes Pferdefuhrwerk treffen können ... Nach ein paar Kilometern siegen unsere Bedenken über die Bewunderung des tollen Flitzers, und wir erklären unserem Chauffeur, dass wir noch alle Zeit der Welt bis zum Abflug hätten. Er grinst, und da er nun weiß, dass wir das Potenzial seines Chevi erkannt haben und er uns also nichts mehr beweisen muss, geht er vom Gas. Am Flughafen dann zum zweiten Mal an diesem Tag ein gutes Trinkgeld, worauf sich unser Chauffeur prompt in einen Fotografen verwandelt. Ich darf hinters Lenkrad, Karin nimmt auf dem Beifahrersitz Platz. Obwohl wir notorische Automuffel sind und mit dem Liebling der halben Menschheit nichts anfangen können, sind wir in diesem Moment dennoch beeindruckt. Hinter dem Lenkrad eines solch prächtigen Dinosauriers aus der Geschichte des Automobils zu sitzen, das hat schon etwas!
 
 
Oldtimer - das ist neben Zigarren, Salsa und Rum vermutlich jenes Stichwort, das den meisten Zeitgenossen zuerst einfällt, wenn sie an Kuba denken. Fast jeder hat diese Autos bereits gesehen, entweder durch eigene Anschauung - was wohl eher seltener der Fall sein dürfte - oder auf Fotos und in Filmen über die Insel. Relikte aus der Zeit vor Fidel Castros Revolution im Jahr 1959 sind sie, eingeführt aus den USA, die bis dahin der Hauptlieferant für derartige Fahrzeuge gewesen waren. Nach der Revolution wurde der Handel mit Neuwagen verboten, später - nachdem Kuba sich politisch dem sozialistischen Lager angenähert hatte - wurden Autos vornehmlich aus der Sowjetunion und der Tschechoslowakei importiert. Keine frei verkäuflichen allerdings, vielmehr benötigte jeder, der eines dieser raren Exemplare erstehen wollte, eine Sondergenehmigung. Seit dem Amtsantritt von Fidel Castros Bruder Raúl im Jahr 2011 hat sich die Situation verändert. Will heute jemand ein Auto haben, kann er sich eines kaufen, vor allem Modelle aus China, aus Südkorea und Europa. Ein Schnäppchen sind diese Wagen allerdings nicht - so kostet ein Peugeot 508, Baujahr 2013 satte 190.000 Euro und damit etwa das Zehnfache des Listenpreises dieses Autos in Deutschland. Bedenkt man, dass sich das Durchschnittseinkommen von Fidel Normalverbraucher auf rund 20 Euro im Monat (!) beläuft, dann wird klar, dass der Erwerb eines solchen Fahrzeugs für die allermeisten Inselbewohner ähnlich utopisch ist wie für die allermeisten Deutschen der Erwerb einer 20-Zimmer-Villa auf Sylt.
 
Kein Wunder also, dass die alten Ami-Schlitten aus der Vor-Revolutionszeit auch heute noch auf Kubas Straßen präsent sind. Modelle, in denen einst Showstars wie Josephine Baker und Nat King Cole durch Havanna rollten, Mafiosi wie Lucky Luciano und der Schriftsteller Ernest Hemingway, aber ebenso die Revolutionäre von 1959, allen voran Fidel Castro in seinem Oldsmobile oder der weltweit von vielen noch immer als Ikone verehrte Che Guevara in einem Studebaker. Die meisten der heute noch fahrtüchtigen Wagen von damals werden privat genutzt, zumeist handelt es sich um Erbstücke, die vom Großvater über den Vater auf den Sohn übergegangen sind. Viele sind auch als Taxen unterwegs, und wieder andere zielen auf Touristen, auf die gewöhnlichen wie uns ebenso wie auf die Fans alter Autos, die gerade von diesem speziellen Interesse nach Kuba gelockt werden. Denn wo sonst könnte man noch eine derart große Zahl solcher Wagen in Aktion sehen, im alltäglichen Einsatz und nicht im Rahmen von Oldtimer Shows, wie sie einschlägige Clubs andernorts organisieren? Nirgends auf der Welt wäre das möglich. Nur hier.
Baujahr 1953 - das sind stolze 63 Jahre. Unser eigenes Auto mag ich mir nach solch langer Zeit gar nicht vorstellen, um so mehr gilt meine Bewunderung denjenigen, die ihre Fahrzeuge so lange am Leben erhalten haben. "Was nur möglich war", erklärt uns einer, der das getan hat, "weil diese Autos aus einer Zeit stammen, als noch nicht alles mit Elektronik vollgestopft war." Stimmt. Aber technisches Geschick und die Fähigkeit zur Improvisation sind dennoch gefragt, schließlich lassen sich allein mit guter Pflege auf Dauer keine technischen Probleme lösen. Wo wir in Deutschland unserer Werkstatt mal eben so locker einen Reparaturauftrag erteilen, liegen Kubaner stundenlang unter ihren Autos und schrauben. Auf originale Ersatzteile müssen sie dabei verzichten, teils wegen des US-amerikanischen Embargos, teils auch ganz einfach deshalb, weil es Ersatz für die alten Modelle gar nicht mehr gibt. Wobei im Übrigen keineswegs alle am Bezug vollständiger Motoren interessiert wären, denn wer die finanziellen Mittel dafür aufbringen konnte, hat die alten längst durch moderne Varianten von Toyota, Nissan oder Isuzu ersetzt. Nicht etwa wegen besserer Abgaswerte und auch nicht um der größeren Zuverlässigkeit willen, sondern wegen des ungeheuren Appetits der alten Maschinen. Waren die Jahre ihrer Entstehung doch nicht nur die Zeit, in der die Käufer ihre gesellschaftliche Position gern mit meterlangen Straßenkreuzern unter Beweis stellten, es waren auch die Jahre des billigen Benzins. Diese Zeiten sind inzwischen vorbei. "16 Liter", blockt ein Taxifahrer unseren Versuch ab, den geforderten Fahrpreis zu drücken und deutet dabei in Richtung seines Motors. Auch ohne einen Blick unter die Haube zu werfen, willigen wir ein. Besser dran ist der Hausherr unserer Unterkunft in Playa Larga mit seinem sage und schreibe 80 Jahre alten Ford V8, einem wahren Schmuckstück, das in jedem Automuseum mit einem Ehrenplatz rechnen könnte. Nur noch 5 Liter anstelle der ursprünglichen 22 benötigt er dank eines neuen japanischen Motors, womit sich sein Gefährt, das er für Touristenfahrten in der 120 Kilometer entfernten Stadt Cienfuegos nutzt, rentabel betreiben lässt.
 
Von ganz anderer Qualität ist im Vergleich dazu der alte Buick, der uns in Havanna zum Capitol bringen soll. In der Verkleidung klaffen Löcher, aus dem Armaturenbrett ragen Kabel heraus, die Sitze sind vielfach geflickt, und das Öffnen der Türen besorgt der Fahrer mit einem Trick - aber der Wagen fährt. In einer Seitenstraße gegenüber dem Capitol und damit ein Stück weit von unserem Ziel entfernt setzt der Fahrer uns ab. Weil er sich für sein Wrack schämt? fragen wir uns. Denn nur einen Steinwurf entfernt stehen die Hochkaräter, die auf Hochglanz polierten Luxusliner der alte Garde Chevrolet und Buick, Dodge, Plymouth und Cadillac. Alle sehen aus, als hätten sie ihre Fabriken erst gestern verlassen. Touristen umschwärmen und fotografieren sie von allen Seiten, während die Besitzer sich selbstbewusst in ihren Prunkstücken sonnen. 10 bis 20 Euro kostet die Fahrt pro Stunde, nicht eingerechnet die Getränke, die die in einigen Wagen verfügbaren Hausbars für die Gäste bereithalten.
 
 
Die biologischen Saurier sind bereits vor langer Zeit ausgestorben - wie steht es um die Zukunft der motorisierten? Ihr Verkauf an Ausländer ist noch immer verboten, doch sollte sich die von Raúl Castro eingeleitete wirtschaftliche Liberalisierung fortsetzen, ist die Aufhebung dieses Verbotes wohl nur eine Frage der Zeit. Und spätestens dann werden die Käufer aus aller Welt Schlange stehen - diejenigen, die schon immer einen Faible für die alten Fabrikate hatten, aber auch die anderen, die sich angesichts des heutigen Einerleis moderner Fahrzeuge mittels eines exotischen Oldtimers von ihren Nachbarn abheben wollen. So manch ein Kubaner wird dabei ein gutes Geschäft machen, kann er doch - auch wenn er sein Auto über Jahrzehnte geliebt und gehätschelt hat - sein altes Blech endlich gegen modernes eintauschen. Mag man den sich dadurch ergebenden Niedergang von etwas Einzigartigem auch bedauern - das Verschwinden der meisten Oldtimer ins Ausland, die  heute noch zum Flair kubanischer Städte gehören, wird unvermeidlich sein. Womit sich der bisherige Vierklang aus Oldtimern, Zigarren, Rum und Salsa eines Tages in einen Dreiklang verwandeln wird. Aber auch diese drei allein sind ja immer noch ein starkes Stück Kuba.
 
Manfred Lentz (Juni 2016)
 
 

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