Grünes Gold
Beim Tee gehört das kleine Sri Lanka zu den ganz Großen. 2013 (Teil 2)
 
Die Teeindustrie ist einer der wichtigsten Arbeitgeber auf Sri Lanka, und die zahlenmäßig am stärksten vertretene Berufsgruppe darin sind die Pflückerinnen. Einigen von ihnen begegnen wir auf dem Weg nach Dalhousi, einem kleinen Ort unterhalb des Adam's Peak. Der Berg ist die wohl bekannteste Erhebung der Insel und nicht zufällig eine Pilgerstätte sowohl für Buddhisten und Hindus, als auch für Muslime und Christen, befindet sich doch auf seinem Gipfel ein 1,8 Meter langer Fußabdruck, der allen Religionen als heilig gilt. Als einen Abdruck von Buddha verehren ihn die Buddhisten, Hindus führen ihn auf Shiva zurück, Muslime auf Adam, und für Christen war es der Apostel Thomas, der diesen Abdruck seines Fußes hinterließ. Vorstellungen, die unser kritisches westliches Denken arg strapazieren. Greifbarer ist für uns da schon unsere Umgebung - die holprige Straße, auf der sich unser Auto kurvenreich durch die Bergwelt quält, das Surren des Scheibenwischers im Kampf gegen den Regen, die tief hängenden Wolken, die die Gipfel der Berge einhüllen. Schmuddelwetter also - nicht gerade optimal für Touristen wie uns, aber gut für die unzähligen Teeplantagen, die diesem Teil der Insel das Gepräge geben.
 
 
Die Pflückerinnen unweit der Straße entdecken wir, als wir am Ausgang eines Ortes um eine Kurve biegen. Frauen wie sie haben wir im Hochland bereits des öfteren gesehen - häufig in bunten Saris und mit Körben oder Säcken auf dem Rücken -, aber noch nie in so kurzer Entfernung. Samantha, unser Fahrer, wirft uns einen fragenden Blick zu, und natürlich antworten wir mit einem entschiedenen Nicken. Entschieden auch deshalb, weil der Regen gerade mal wieder eine Pause eingelegt hat. Samantha tritt auf die Bremse, wir steigen aus, und mit ihm an der Spitze gehen wir auf die Frauen zu. Etwa ein Dutzend sind es, alle von dunkler Hautfarbe, zweifellos Tamilinnen wie alle Pflückerinnen auf der Insel. Ihre warmen Kleider stehen in auffälligem Kontrast zu den dünnen Latschen an ihren Füßen. Alle haben Tücher um die Köpfe geschlungen, wohl nicht zuletzt wegen der Stirnbänder, an denen sie die mit Teeblättern vollgestopften Säcke tragen. Bei einigen Frauen können wir Ketten und Nasenschmuck erkennen. Ihre Säcke haben sie abgestellt. Vielleicht machen sie gerade eine Pause, vielleicht sammeln sie sich für einen Einsatz in einem anderen Teil der Plantage. Haben sie eben noch angeregt miteinander gesprochen, so verstummen sie nun bei unserer Ankunft und schauen uns abwartend an.
 
Samantha löst die Spannung mit ein paar scherzhaften Worten, die den Pflückerinnen ein Lachen entlockt. Was er sagt, verstehen wir ebensowenig wie die Antworten der Frauen. Aber mit seiner charmanten Art gelingt es ihm, binnen kurzem die Begegnung zwischen Menschen nicht nur von unterschiedlicher Herkunft, sondern auch von einem völlig verschiedenen Status zu einer Begegnung auf Augenhöhe zu machen. Eine Konversation zwischen ihnen und uns beginnt, teils mit Zeichensprache, teils übersetzt, die über Belanglosigkeiten allerdings erwartungsgemäß nicht hinausgeht. From Germany ... with car ... much rain and much tea - nicht das, was wir gern von ihnen hören würden, aber für ein wirkliches Gespräch bräuchte es einen anderen Rahmen. Über ihre Arbeit und ihre Lebensbedingungen sind wir teils von zu Hause aus bereits informiert, teils wird Samantha später im Auto noch Einiges nachtragen - hier genießen wir zunächst einmal die aufgekratzte Atmosphäre, an der alle erkennbar ihren Spaß haben. Als wir nach einer Weile zum Auto zurückkehren, winken die Frauen uns hinterher. Wir haben ein Geschäft mit ihnen gemacht: Wir bringen ein paar Fotos nach Hause, sie ein paar Scheine. Nicht unser übliches Vorgehen beim Fotografieren, aber wie sonst hätte es ablaufen sollen zwischen Menschen, deren Lebenssituation so extrem verschieden ist.
Etwa 400 Rupien erhalten die Pflückerinnen am Tag, das sind drei Euro, erzählt uns Samantha, als wir wieder unterwegs sind. Dafür müssen sie etwa 20 Kilogramm Teeblätter pflücken, eine Menge, die nur mit Erfahrung und einem langen Arbeitstag zu schaffen ist. Die Lebensverhältnisse auf den Plantagen sind in der Regel erbärmlich, überdies führt das niedrige Einkommen häufig zu einer hohen Verschuldung der Frauen und ihrer Familien bei Pfandleihern, wodurch eine lebenslange Abhängigkeit von diesen entsteht. Gibt es Sozialleistungen, so sind sie in der Regel bescheiden. Die Schulbildung ist schlecht und dadurch eine sichere Garantie für die Plantagenbesitzer, auch in Zukunft ihren Bedarf an Arbeitskräften decken zu können. Nur wenig besser sind die tamilischen Männer gestellt, deren Arbeit neben dem Roden, dem Pflanzen neuer Teesträucher und deren regelmäßigem Beschneiden üblicherweise dort beginnt, wo die der Frauen endet: in der Teefabrik, nachdem die Pflückerinnen ihre Ausbeute abgeliefert und den Lohn dafür eingestrichen haben.
 
Es ist eine Muslima, die uns durch ein Fabrik führt, eines jener langgestreckten, zumeist weißen Gebäude inmitten der Plantagen, in denen der Tee verarbeitet wird. Dämmriges Licht dringt von draußen herein und beleuchtet eine Szenerie, die Jahrzehnte früher wohl auch nicht viel anders ausgesehen hat. Teefabriken scheinen dem Fortschritt zu trotzen, vielleicht wegen der niedrigen Löhne, die den Einsatz moderner computergesteuerter Maschinen unattraktiv machen. Wie es aktuell aussieht, hätte ich gern auf Fotos festgehalten, doch meinen Griff zur Kamera beantwortet unsere Führerin mit einem entschiedenen "No photos, please!". Also versuchen wir, während des kurzen Rundgangs so viel wie möglich in uns aufzunehmen. Bis aus den gepflückten Blättern - "two leaves and a bud" (die beiden oberen Blätter und eine Blattknospe) - der fertige Tee wird, sind nicht mehr als fünf Schritte nötig, die zügig und zeitgenau abgearbeitet werden müssen, um am Ende die gewünschte Qualität zu erhalten. Den Auftakt bildet das Welken, ein etwa zehn Stunden dauernder Prozess, in dessen Verlauf die frischen Teeblätter ein Drittel ihrer Feuchtigkeit verlieren. Nächster Schritt ist das Rollen, das Aufbrechen der Zellen der noch grünen Blätter, wodurch ätherische Öle freigesetzt werden. Bei der anschließenden Oxidation verbindet sich der Zellsaft mit dem Luftsauerstoff, ein Prozess, der zeitlich exakt kontrolliert werden muss, erhält der Tee doch dadurch sein charakteristisches Aroma. (Bei der Produktion von Grüntee entfällt diese Verarbeitungsstufe.) Während des nachfolgenden Trocknens bei 80-90 °C wird die Oxidation abgebrochen, der Feuchtigkeitsgehalt auf rund drei Prozent reduziert, und die Blätter nehmen eine dunkelbraune bis schwarze Färbung an. Am Ende wird der Tee mit Hilfe von Rüttelsieben nach Größe sortiert, von den relativ großen Blattteilen bis zum Dust, dem "Staub", der in Teebeuteln landet. Das Optimale aus dem Pflückgut herauszuholen, will gelernt sein. Oder wie es ein Japaner namens Kakuzo Okura in einem vor einhundert Jahren erschienenen Klassiker "The Book of Tea" formulierte: "Tee ist ein Kunstwerk und braucht eines Meisters Hand, um seine edelsten Eigenschaften zu offenbaren."
 
 
Welche Eigenschaften der Tee in "unserer" Fabrik offenbart, davon können wir uns am Ende der Führung überzeugen. In einem Shop mit angeschlossenem Restaurant kann man den Tee sowohl verkosten als auch käuflich erwerben. Ein perfektes Anhängsel an die Teefabrik und angesichts mehrerer Touristenbusse auf dem Parkplatz zweifellos eine lukrative Einnahmequelle für den Besitzer. Der Tee in unseren Tassen ist kupferrot und von kräftigem, herbem Geschmack, typische Eigenschaften des (schwarzen) Ceylontees, die diesen etwa von dem zarten und blumigen Darjeeling grundlegend unterscheiden. In unseren Läden ist der Ceylontee sowohl sortenrein in unterschiedlichen Qualitäten erhältlich als auch in Kombination mit anderen Provenienzen, so etwa als Bestandteil des Ostfriesentees oder in englischen Mischungen. Preiswert ist der Tee aus Sri Lanka für uns allemal, sieht man von einigen besonders hochwertigen Qualitäten einmal ab. Vergleicht man die Tassenpreise von Tee etwa mit denen von Kaffee, so schneidet der Tee - natürlich in Abhängigkeit von der Qualität - günstiger ab, was nicht zuletzt auf die niedrigen Löhne der Pflückerinnen zurückzuführen ist. Deren Situation wird in den letzten Jahren erfreulicherweise zunehmend thematisiert. Fairtrade steht als Motto über einer Diskussion, die sich für eine gerechte Entlohnung der Produzenten mittels höherer Verbraucherpreise einsetzt, und seit den 1990er Jahren haben Erzeugnisse aus diesem Handel zunehmend unsere Supermärkte erobert. Preiswert bleibt der Tee trotzdem noch, doch lässt sich die Situation der Ärmsten in der Lieferkette auf diese Weise ein wenig verbessern - natürlich nur dort, wo der Aufschlag auch tatsächlich weitergeben wird -, und uns verhilft der höhere Preis zu einem ruhigeren Gewissen. Aber wie auch immer die Entwicklung weitergehen mag - Tee trinken werden wir ganz gewiss auch in Zukunft, weil der Tee - das "grüne Gold", wie er oft genannt wird - eben solch ein großartiges Getränk ist. Wenn ich in Bezug auf Gotthold Ephraim Lessing auch eher zu den Ignoranten gehöre, so bin ich mit seinem folgenden Ausspruch doch völlig d'accord: "Ob ich morgen leben werde, weiß ich nicht. Aber dass ich, wenn ich morgen lebe, Tee trinken werde, weiß ich gewiss."
 
Manfred Lentz (Juli 2016)
 

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