Sizilien - liebenswerte Insel am Rande Europas

Sizilien -
Bilderbuchstädte und das Geheimnis

der Mafia. 2016

Drei Wochen mit dem Auto auf Sizilien unterwegs, und wir haben das Geheimnis der Mafia entdeckt - der Cosa Nostra, wie die Organisation auf der Insel heißt. Mit Drogen und Waffengeschäften verdiene sie ihr Geld, hört man, mit Zigarettenschmuggel, illegalen Müllkippen und Prostitution. Was zutreffen mag, doch dürften das alles Lappalien sein verglichen mit der wirklich wichtigen Einnahmequelle der Cosa Nostra: Verkehrsschilder. Sie sind überrascht? Nun, ich will es erklären: Noch in keinem anderen Land der Welt haben wir auf den Straßen derart viele Schilder gesehen wie auf Sizilien. Jede Kurve ist mindestens mit einem halben Dutzend bestückt, jede Kreuzung gleicht einem Schilderwald, von Fahrbahnverengungen, Baustellen und Umleitungen gar nicht zu reden. Allein das Aufstellen der Schilder muss einen satten Profit abwerfen, aber natürlich erst recht deren Produktion: Achtung Baustelle, Ausfahrt von Baufahrzeugen, Geradeaus, 80 km/h, Geradeaus, Nicht überholen, 60 km/h, Achtung unbefestigter Randstreifen, Fahrbahnteilung in 800 Metern, in 400 Metern, in 200 Metern, 40 km/h, Spurwechsel nach 100 Metern, Achtung, Pfeil nach rechts ... Ein wahres Fest für die Mafia, für den, der hinter dem Lenkrad sitzt, indes eine Qual. Es sei denn, er blendet die Schilder-Inflation einfach aus und fährt so, wie der gesunde Menschenverstand es ihm jeweils nahelegt. Was wir bereits am zweiten Tag unseres Aufenthalts auf Sizilien tun und das ohne schlechtes Gewissen, schließlich wurden die Schilder ja nicht wegen uns Verkehrsteilnehmern aufgestellt, sondern ... Na, Sie wissen schon.

Scherz beiseite (wobei die Schilder-Inflation allerdings kein Scherz ist), zurück zum Ernst und damit zur Mafia. Es gibt sie auch heute noch auf Sizilien, allerdings - folgt man Roberto Saviano, einem der profundesten Kenner der "Ehrenwerten Gesellschaft" - ist ihre Bedeutung im Schwinden begriffen. Nicht etwa, weil sie eine Saulus-Paulus-Verwandlung durchgemacht hätte, sondern weil die wirtschaftliche Lage auf Sizilien als Grundlage für ihre Geschäfte von Jahr zu Jahr immer schlechter wird. Dass die Entwicklung in Griechenland desolat ist, wissen wir, die Medien haben oft genug darüber berichtet - auf Sizilien ist sie noch desolater. Geringes Wirtschaftswachstum, eine Arbeitslosigkeit, die bei jungen Menschen katastrophale 60 Prozent beträgt und die viele von ihnen zum Abwandern bewegt, dazu eine Infrastruktur, die ihre besten Zeiten längst hinter sich hat. Industrie gibt es kaum noch auf der Insel. Es sind vor allem die Landwirtschaft und der Tourismus, die den Menschen gegenwärtig über die Runden helfen. Der Tourismus dabei mit einer günstigen Prognose, hält Sizilien für seine Besucher doch ein vielfältiges Angebot bereit: angefangen von seinem warmen Klima über großartige Landschaften, endlose Strände und aktive Vulkane bis hin zu den Zeugen einer abwechslungsreichen Geschichte. Und - was uns auf Sizilien besonders gefallen hat - bis hin zu den Städten, die zwar arm sein mögen, von denen aber viele zumindest in ihren älteren Teilen so malerisch aussehen, dass sie jeden Reisenden in ihren Bann ziehen. Bilderbuchstädte wäre die passende Bezeichnung für sie. Drei davon will ich im Folgenden kurz vorstellen. Drei, die es uns besonders angetan haben.

Ragusa Ibla ist eine dieser Städte. Nachdem ein Erdbeben im Jahr 1693 schwere Schäden angerichtet und alle Bauten aus der arabischen Vergangenheit und dem Mittelalter zerstört hat, wurde die Stadt im Stil des Barocks wiederaufgebaut. Vor einigen Jahren hat die UNESCO sie zum Welterbe erklärt.

Im Nordwesten Siziliens liegt Castellamare del Golfo. Sucht man den Namen in der Wikipedia, so werden unter der Rubrik "Söhne und Töchter der Stadt" mehrere Mafiosi aufgeführt. "Der Krieg von Castellamare" ist das Stichwort für eine blutige Auseinandersetzung zwischen verfeindeten Gruppen der Cosa Nostra in New York im Jahr 1930, die deshalb diesen Namen trug, weil einige der Beteiligten aus Castellamare del Golfo stammten. Wir erleben das 15.000-Einwohner-Städtchen absolut friedlich als einen malerischen Ort, der so recht dem Bild entspricht, das wir vor unserer Abreise von Sizilien hatten: vorne Meer, hinten Berge, dazwischen Häuser, die sich den Hügel hinaufziehen und Gassen, durch die es sich herrlich bummeln lässt. Vor allem im Mai, während unserer Reisezeit also, wenn es noch nicht so heiß und die Stadt noch nicht voller Touristen ist.

Die dritte Bilderbuchstadt auf unserer Reise und die bei Sizilienbesuchern vielleicht bekannteste ist Cefalù. Auch sie liegt am Meer. Auf ihrer Rückseite befindet sich ein Hügel mit Bauten aus einer abwechslungsreichen, nur allzu oft unfriedlichen Vergangenheit und mit einem fantastischen Ausblick auf die Umgebung sowie die Altstadt mit Häusern aus dem 16. Jahrhundert und einem Dom aus normannischer Zeit (12. Jahrhundert). Im oberen Stockwerk eines der alten Häuser sind wir untergekommen, mit Möbeln aus Großmutters Zeiten und einem Balkon hoch über einer der engen Gassen, die den Ort gitterförmig durchziehen. Einwohner-Feeling, wenn auch nur für wenige Stunden. Und als wäre das alles noch nicht genug, gibt es obendrein einen fantastischen Blick von der Mole aus, wenn das Licht der Abendsonne auf die Stadt fällt. Sizilien vom Feinsten!

Manfred Lentz (August 2016)

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