Märkte (3)
In den Souks von Marrakesch. Marokko 2016
 
In dieser Serie berichte ich über Märkte, die wir auf unseren Reisen kennengelernt haben. Nach Dambulla auf Sri Lanka und Paris geht es diesmal in die Souks von Marrakesch.
Das Wort Souk bezeichnet ein kommerzielles Viertel in einer arabischen Stadt (die Türken benutzen dafür das Wort Basar). Ein Stadtviertel ist größer als ein Markt, dort gibt es auch Restaurants, Banken, Moscheen sowie weitere private und öffentliche Dienstleister. Aber da das Marktgeschehen eine wesentliche Rolle spielt, habe ich die Souks von Marrakesch in diese Markt-Serie aufgenommen und die dazu passenden Bilder eingestellt. Wie in den meisten arabischen Städten gibt es auch in Marrakesch mehrere Souks in der Medina (Altstadt), so einen Souk der Lederhändler, einen der Wollfärber, der Holzschnitzer, der Gewürzhändler und verschiedene andere. Scharf voneinander getrennt sind sie nur vom Namen her, in der Realität gehen sie ineinander über und bilden jene schier endlose Aneinanderreihung von teils winzigen, teils größeren Geschäften, die für uns als Touristen so überaus reizvoll ist.
Während unseres Aufenthalts in Marrakesch wohnen wir in der Medina, in einem Riad, einem Haustyp, den ich in einem früheren Bericht beschrieben habe. Die Gasse, in der sich dieser Riad befindet, mündet in eine Straße, und haben wir diese erreicht, sind wir auch gleich "mittendrin". Ein nur während der Nachtstunden versiegender Menschenstrom schiebt sich von links nach rechts und von rechts nach links, an Händlern vorbei, die inmitten der Waren in ihren Läden sitzen oder vor ihren Auslagen hocken, die sie auf Pappen oder Plastikplanen auf der Erde ausgebreitet haben, wo sie auf Kunden warten. Bunt gemischt sind diese Waren, das Angebot reicht von Obst und Kleidung aller Art über diverse Heilmittel, Kuchen, der so lecker schmeckt, dass man gar nicht genug davon bekommen kann, über Fleisch und Brot bis hin zu ganzen Mahlzeiten, die in kleinen Garküchen zubereitet werden sowie Haushaltsgeräten, CDs und Pantoffeln. Einen Souk ausschließlich mit einer bestimmten Warenart gibt es in unserer näheren Umgebung nicht, bei uns wird alles gehandelt, was zum täglichen Leben gehört. Und was unsere neugierigen Touristenaugen erfreut.
 
In einer Seitengasse werden gedrechselte Holzwaren angeboten, ein Stück weiter gibt es geflochtene Körbe und Matten sowie Produkte aus Kupfer und Messing, und zwar insbesondere solche, die auf die auswärtige Kundschaft abzielen. Dabei fällt auf, dass das Können heutiger marokkanischer Handwerker dem ihrer früheren Kollegen kaum nachsteht, deren Arbeiten man in den Museen der Stadt und in den für Besucher geöffneten Palästen bewundern kann. Was sie produzieren, ist ein breitgefächertes Angebot, das anzuschauen Spaß macht. Vermutlich gibt es jede Menge Touristen, die bei einem solchen Angebot in einen Kaufrausch verfallen, und auch uns fällt es mitunter nicht leicht, uns zu beherrschen. Aber wir tun es (Souvenirs, die schon kurz nach der Rückkehr in Kisten im Keller landen, sind nicht unser Ding), während wir die Läden durchkämmen und dabei immer weiter bummeln, tiefer hinein in das Gewirr der Gassen und Gässchen, bis wir irgendwann die Orientierung verloren haben. Hier, mittendrin in der Medina, findet sich nur derjenige zurecht, der hier zu Hause ist - oder der (die moderne Variante) ein Smartphone mit einem Stadtplan und GPS besitzt wie wir, weshalb wir uns um das Zurückfinden zu unserer Unterkunft keine Sorgen machen müssen. Wo immer wir uns auch gerade befinden - stets können wir dorthin laufen, wo es uns am interessantesten zu sein scheint. Von ganz besonderem Reiz sind dabei jene Teile der Souks, die im Halbdunkel liegen. Eine Atmosphäre, die fast etwas Geheimnisvolles hat, obwohl sie lediglich eine Folge der Überdachungen ist, die in den heißen Sommermonaten die Hitze fernhalten sollen. Zur Zeit unseres Aufenthalts - im Dezember - brauchen wir diesen Schutz allerdings nicht. Die Temperaturen liegen bei knapp über 20 Grad, geradezu ideal, um auch bei stundenlangen Wanderungen durch die Medina nicht ins Schwitzen zu kommen.
Der Souk der Teppichhändler, der Souk der Gerber und Färber, der Verkäufer von schicken Taschen, die mühelos auch in jeder europäischen Metropole Abnehmer finden würden ... Es gibt ein Thema, das durch jeden Reiseführer geistert, und das ist das Thema "aufdringliche Händler". Hier scheint sich verglichen mit meinen früheren Aufenthalten in Marrakesch (1972 und 1991)  allerdings einiges geändert zu haben. Ein schlapper Anruf "Hello, Mister!", "Very cheap!" oder einfach nur "Look!", und kaum schütteln wir den Kopf, lässt man uns ohne weitere Überredungsversuche gehen. Was vielleicht an den Handys liegt, auf die viele Händler anstatt uns zu nerven angestrengt starren. Haben wir es dann doch einmal mit einem Verkäufer zu tun, geht die Initiative von uns aus. Kaufen wir etwas, so wird natürlich gefeilscht, denn ohne das können Marokkaner offenbar nicht leben. Wobei das Feilschen mir indes auch sehr gefällt, denn zum einen würde der Verkauf nach Festpreisen diese Welt ein Stück weit entzaubern, zum anderen bin ich selbst ein begeisterter Anhänger des Feilschens und genieße jeden Erfolg, den ich verbuchen kann.
 
Ist ein Bummel durch die Souks schon bei Tage eine tolle Sache, so gilt das erst recht für den Abend, wenn der Himmel über der Stadt sich dunkel gefärbt hat und tausend Lampen und Lämpchen die Szenerie erhellen. Beinahe greifbar werden jetzt die Geschichten aus 1001 Nacht, und mit ein bisschen Fantasie könnte man meinen, man wäre um Jahrhunderte zurückversetzt. Vielleicht können die Fotos in diesem Bericht ein wenig von dieser faszinierenden Stimmung vermitteln.
 
Manfred Lentz (Juli 2017)
 
 
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