Kubanisches Internet und ein Hauch von Alhambra
Auch Camagüey und Cienfuegos sind lohnende Ziele. Kuba 2015
 
"Wartet nicht auf eine Nachricht von uns", hatten wir allen Freunden und Bekannten vor unserer Abreise gesagt, "mit dem Internet sieht es auf Kuba noch recht düster aus." Eine Aussage, die wir einschlägigen Berichten entnommen hatten und die die Sache auf den Punkt traf, wie wir bei unserem Aufenthalt schnell feststellten. Wobei es in puncto Internet drei Probleme gibt: Zum einen ist die Nutzung sehr teuer. 4,50 CUC kostet die Stunde, das entspricht etwa der gleichen Summe in Euro. Ein Preis, der selbst in Deutschland jedes Internetcafé in den Ruin treiben würde, der aber für die meisten Kubaner bei einem monatlichen Durchschnittseinkommen von 20 Euro schlichtweg unerschwinglich ist. Das zweite Problem ist die geradezu unerträgliche Langsamkeit der Verbindungen. Wer bei uns eine 16er, 50er oder gar eine 100er Leitung gewöhnt ist, für den ist das kubanische Internet die reinste Qual. Adresse im Browser eintippen und warten, weiterklicken und wieder warten, so lange, bis nach nur wenigen Webseiten die Zeit abgelaufen ist. Und schließlich das Problem mit der Verfügbarkeit: Wer von einem Hotel aus ins Netz gehen kann, ist fein raus - Zugangsdaten eingeben, und schon geht es los. Wer dagegen auf einen staatlichen Laden angewiesen ist, muss sich in Geduld üben.
 
 
So wie wir in Camagüey, nachdem die Dame an der Hotelrezeption auf unsere Frage nach einem Internetzugang den Kopf geschüttelt hatte. Nun gut, sagen wir uns, probieren wir es halt bei der staatlichen Telefongesellschaft. Wo deren nächster Laden ist, verrät uns die Warteschlange auf der Straße, in die wir uns einreihen müssen - ungeduldig natürlich, denn so etwas sind wir nicht gewöhnt, außerdem brennt uns die heiße karibische Sonne auf den Kopf. Als wir an der Reihe sind, lässt uns ein Wachmann in das klimatisierte Gebäude ein und deutet auf ein paar Stühle: Platz nehmen und abermals warten. Schließlich "nur" noch die Pässe vorzeigen, ein paar Fragen beantworten und danach ran an den Computer. Keine unmögliche Prozedur, natürlich nicht. Aber keine, die Spaß macht. Und warum ist das so? Vordergründung betrachtet ist es eine Frage der IT-Infrastruktur, d.h. der ebenso knappen wie schlappen Leitungen sowie des Mangels an Hardware. Dahinter steckt allerdings etwas anderes - der nicht nur für Kuba typische Versuch der politischen Führung, das eigene Volk von einer Welt abzuschotten, die als Bedrohung empfunden wird. Fremde Ideen, wie sie das Internet transportiert, will die kubanische Führung nicht haben, könnten sie doch das System destabilisieren. Inzwischen - ich schreibe diesen Bericht einige Monate nach unserem Aufenthalt auf der Insel - hat die kubanische Politik bekanntlich einen moderaten Schwenk vollzogen. Das jahrzehntelang schlechte Verhältnis zu den USA beginnt sich zu entspannen, und in diesem Zusammenhang hat die Führung auch neue Akzente im Bereich Internet gesetzt und einige Verbesserungen für die Bevölkerung geschaffen. Die große Freiheit ist das indes noch lange nicht, auf die müssen die Menschen auf Castros Insel wohl noch einige Zeit warten.

Camagüey

Wenn die Abschottung der Versuch der Führung ist, das eigene System stabil zu halten, dann ergibt sich zwangsläufig die Frage, wie es um die Stabilität dieses Systems überhaupt bestellt ist. Oder anders: Gibt es Menschen auf Kuba, die nach Alternativen zum gegenwärtigen Regime verlangen? Gibt es eine Opposition? Ja, die gibt es. Wobei an erster Stelle diejenigen zu nennen wären, die das Land seit der Revolution von 1959 verlassen haben (mehr als eine Million), insbesondere in die USA. Eine Opposition im üblichen Wortgebrauch sind diese Menschen natürlich nicht, durch ihre Flucht haben sie sich aus dem Geschehen in ihrer Heimat ausgeklinkt. Aber Kritiker des Systems sind sie allemal, sie haben lediglich darauf verzichtet, für Veränderungen in ihrem Sinne zu kämpfen. Anders als manche Daheimgebliebene, von denen wir gelegentlich aus den Medien erfahren. Vor allem über die "Damen in Weiß" ist immer mal wieder berichtet worden, eine Gruppe von Frauen, die sich seit Jahren für die Menschenrechte auf Kuba engagiert. Wesentlich mehr Menschen schrecken vor einem solchen aktiven Engagement allerdings zurück. Ihre Reaktion auf eine Politik, die ihnen missfällt, ist das klassische "Meckern", das natürlich nicht zwangsläufig eine komplette Absage an das Regime darstellt, wohl aber den Wunsch nach Veränderungen offenbart. Auf unserer Reise sind wir wiederholt solchen Menschen begegnet. Und schließlich sind da noch - eine vierte Gruppe - die Künstler, die in ihrer Arbeit kritische Positionen beziehen.
 
Eine Bildergalerie in der Stadt Cienfuegos, rund 230 Kilometer von Havanna entfernt: Ein Mann hält eine kubanische Fahne in der Hand, sie ist ausgefranst, und der Mann gleicht weniger einem Zeitgenossen als einem Neandertaler - sieht so ein nationalstolzer Kubaner aus? Daneben Che Guevara, die kubanische Revolutionsikone schlechthin, die im Land allgegenwärtig ist - auf dem Bild ist "der Che" nur noch schmückende Verzierung auf dem Kleidchen einer Fantasiefigur. Und schließlich das Bild mit der Matrjoschka, einer von diesen ineinander geschachtelten russischen Puppen, nur dass in diesem Fall beim Öffnen nicht wie üblich ein kleineres Exemplar zum Vorschein kommt, sondern Micky Maus. "Seht her, da bin ich" scheint diese Symbolfigur des US-amerikanischen Kapitalismus zu sagen, "nun wird auch Kuba den 'richtigen' Weg beschreiten." Eine Absage an die gegenwärtige Politik?

Cienfuegos

Kritik in unterschiedlichen Formen also, was die Frage aufwirft, wie sich der Staat dazu verhält - zeigt er sich tolerant, oder antwortet er mit Repressionen? Ich maße mir nicht an, wirklich fundierte Aussagen zu diesem Thema machen zu können, dazu kenne ich Kuba zu wenig. Wohl aber kann ich sagen, wie wir als Touristen das Land unter diesem Gesichtspunkt erfahren haben. Ich erinnere mich noch gut an unsere Besuche als West-Berliner in der ehemaligen DDR (ein sozialistischer Staat wie das heutige Kuba), an die starke Präsenz der Polizei und an ihre ruppigen Umgangsformen - Vergleichbares haben wir auf Kuba nicht einmal im Ansatz erlebt. Auf unser vierwöchigen Tour quer durch die gesamte Insel sind wir nur sehr wenigen (uniformierten) Polizisten begegnet, und wo das der Fall war - bei der Einreise am Flughafen und an Kontrollpunkten vor oder hinter Städten -, da waren die Begegnungen mit ihnen allesamt freundlich. Zeigen Sie mir bitte Ihre Papiere, lächeln, den Kofferraum öffnen, abermals lächeln, sind Sie das erste Mal auf Kuba? gefällt Ihnen unser Land? danach noch Schönen Tag, und schon ging es weiter. Einem derart entspannten Klima korrespondiert die weit geringere Präsenz penetranter Propaganda verglichen mit der DDR. Im Westen der Insel haben wir politische Plakate überhaupt nur selten angetroffen, im Ostteil etwas häufiger, aber auch dort nur mit gebremstem Schaum. Ganz anders als die unzähligen "Dem x-ten Parteitag entgegen", "Alles zum Wohle des Volkes" und ähnlich nervende Sprüche im anderen Teil Deutschlands. Wer nicht wüsste, dass auf Kuba eine Kommunistische Partei das Sagen hat, könnte die Insel glatt wieder verlassen, ohne es bemerkt zu haben.
 
Ohne sichtbare Repression und mit minimaler Selbstbeweihräucherung, stattdessen vielfältig und stets spannend und interessant - das ist Kuba, so wie wir es erlebt haben. Sympathische, selbstbewusste Menschen, faszinierende Landschaften, dazu jene mitreißende Musik, ohne die Kuba ein ganz anderes Land wäre. Und immer wieder Menschen, die dieses Leben in Bildern festhalten. Maler gibt es auf der Insel offenbar recht zahlreich, zumindest sind wir häufig auf welche gestoßen. Die meisten ihrer Werke spiegelten nicht Kritik von der Art, wie ich sie erwähnt habe, vielmehr waren es Bilder, die die Schönheit des Landes und den Alltag seiner Bewohner zeigten, und das zumeist in fröhlichen Farben und damit in krassem Gegensatz zu den tristen Pendants, die wir in deutschen Galerien so oft kennen gelernt haben. Viel Wert auf Lebensfreude scheint etwa Martha Jimenez aus Camagüey zu legen, eine der renommiertesten Künstlerinnen des Landes, und das nicht nur in ihren Bildern, sondern ebenso in lebensgroßen Skulpturen. Auf der Plaza Carmen in Camagüey kann man sie sehen - Nachbarinnen bei einem Schwatz, ein lesender Mann auf einer Bank, ein anderer, der einen Karren mit Krügen über den Platz schiebt. Oder das (nicht lebensgroße) weibliche Gegenstück zum Manneken Pis in Brüssel. Eine Skulptur, die viele Betrachter vermutlich als kitschig oder geschmacklos bezeichnen werden. Kurios ist sie auf jeden Fall. Ähnlich kurios wie ein Bauwerk, das wir in Cienfuegos entdeckt haben.
 
 
Ausgangspunkt ist die Bar "Paladino" gegenüber dem schmucken Theater, auf dessen Brettern einst Stars wie Caruso und Sarah Bernhardt das Publikum begeisterten. Nachdem wir unseren zweiten Mojito geleert haben, halten wir Ausschau nach einer Fahrgelegenheit. Taxis gibt es, Fahrradrikschas sowie einspännige Kutschen, die gerade in Cienfuegos sehr verbreitet sind. Die wir als Tierschützer jedoch meiden, nachdem wir andernorts eine schlechte Erfahrung mit dem Umgang des Kutschers mit seinem Pferd gemacht haben. Wir entscheiden uns für eine Fahrradrikscha, und kaum haben wir unser Ziel genannt, legt sich der Fahrer - von seiner schweren Arbeit muskelmäßig gut bestückt - ins Zeug. Zwanzig Minuten später halten wir vor dem Palacio de Valle. "Willkommen im Orient" ist unser erster Gedanke, als wir unseren Blick über das Bauwerk schweifen lassen. Hufeisenbögen, zierliche Säulen und arabische Ornamente prägen die Fassade. Ein Zuckerbaron ließ den zweistöckigen Palast Anfang des 20. Jahrhunderts im maurischen Stil errichten, kombiniert mit romanischen, gotischen, barocken und selbst indischen Elementen. Kein Bau für Puristen also, aber dennoch - oder vielleicht gerade deswegen - ist er zu einer der Hauptattraktionen von Cienfuegos geworden. Teile des Gebäudes werden als Hotel genutzt, die Dachterrasse fungiert als Aussichtspunkt mit Blick über die Stadt und die von Hügeln gesäumte Bucht, im Erdgeschoss befindet sich ein Restaurant, dessen orientalisches Ambiente selbst noch die Fassade in den Schatten stellt. Als Alhambra light könnte man es vielleicht am besten bezeichnen, was ihm natürlich in keiner Weise seinen Charme nimmt. Und was uns nicht davon abhält, in seinem arabischen Dekor zu Mittag zu essen, ganz im Gegenteil. 1950 ließ der Bruder des damaligen kubanischen Diktators Batista das Gebäude in ein Kasino umwandeln. Nach dem Sieg der Revolution neun Jahre später wurde diese Maßnahme rückgängig gemacht und das Gebäude als nationales Kulturerbe von der Regierung für jedermann geöffnet. Danke, Fidel Castro - eine gute Entscheidung!
 
 
Manfred Lentz (Dezember 2015)
 

Die neuen Berichte auf reiselust.me erscheinen jeweils
am 1. und 15. jedes Monats