Märkte (2)
La Place du Tertre - der Künstlermarkt
La Place du Tertre - der Künstlermarkt
von Paris. 2011
Ein Großhandel für Obst und Gemüse auf Sri Lanka war der erste Markt, über den ich in dieser Serie berichtet habe. Der zweite, um den es diesmal geht, ist ein Markt von ganz anderer Art. Keiner, auf dem sich Einheimische mit Waren eindecken können, seien es Einzelpersonen oder Großhändler, sondern einer, der weitestgehend auf Touristen zielt. Er liegt in Paris und trägt den Namen des Ortes, an dem er sich befindet: "La Place du Tertre", zu Deutsch "der Platz auf dem Hügel". 130 Meter hoch ist dieser Hügel, er ist die höchste Erhebung der Stadt, und auf ihm befindet sich nicht nur der Markt, sondern nur wenige Gehminuten entfernt auch eine ihrer Hauptsehenswürdigkeiten: die weltberühmte, aus weißem Travertin errichtete Basilika Sacré Coeur, von der aus man einen atemberaubenden Blick auf Paris hat. Wohl kaum ein Tourist, der Sacré Coeur auf seiner Sightseeing-Tour auslassen würde. Und wer schon einmal den mühsamen Aufstieg über die 237 Treppenstufen hinter sich hat - man kann allerdings auch bequem mit einer Seilbahn hinauffahren -, der lässt den kleinen Schlenker zum Place du Tertre in der Regel nicht aus. Weshalb die Zahl von dessen Besucher in einer ähnlichen Größenordnung liegen dürfte wie die von Sacré Coeur. Und die beläuft sich auf stolze 10 Millionen pro Jahr.
Montmartre ist der Name des Hügels, auf dem Sacré Coeur und der Markt sich befinden, und Montmartre ist auch der Name dieses Stadtbezirks. Ein klingender Name, der weit über die Seinemetropole hinaus bekannt ist, ein Synonym für kleine Gassen, verwinkelte Straßen und lauschige Plätze, eine Zeitreise in das Paris der Belle Epoque und nicht zufällig der Drehort von Filmen wie "Die wunderbare Welt der Amélie". Im 19. Jahrhundert war Montmartre das Quartier von Künstlern, die - zwischen ihren Ateliers, Gaststuben und Tanzlokalen pendelnd - in der damals noch ländlichen Gegend ein freieres und billigeres Leben führen konnten als im Zentrum der Stadt. Es war eine eigene Subkultur, die hier zu Hause war und die man seinerzeit mit dem Namen Bohème bezeichnet hat. Wie oft schon mag der Guide, der sich mit seiner Gruppe an einem strategisch günstigen Platz mit Blick auf die Stadt aufgestellt hat, die Namen derjenigen genannt haben, die unmittelbar am Montmartre oder in seiner direkten Umgebung gelebt und gewirkt haben. Allein die Namen der Maler klingen wie ein Who is Who aus dem Olymp: Van Gogh und Cézanne, Renoir und Gauguin, Toulouse-Lautrec, der Chronist des Pariser Rotlichtmilieus, später Matisse, Picasso, Salvador Dali, Modigliani und andere mehr. Titanen der Kunst, von deren Namen sich die Zuhörenden sichtlich beeindruckt zeigen.
Künstler sind auch diejenigen, denen wir kurz darauf auf dem Place du Tertre begegnen, winzige Lichter zwar im Vergleich zu den eben genannten, aber schlecht sind sie auch nicht. Es ist ein buntes Völkchen, das sich hier zum Zwecke des Gelderwerbs zusammengefunden hat. Da ist der junge Mann, der mit ein paar schnellen Kohlestrichen ein Porträt auf seinen Skizzenblock zeichnet, da ist der Asiate, der voll konzentriert an einem Scherenschnitt arbeitet - eine außergewöhnliche Technik an diesem Platz -, da starrt ein Bärtiger auf die Leinwand seiner Staffelei und erweckt den Eindruck, als stehe er in der Nachfolge der alten Meister inmitten einer einsamen Landschaft und suche gerade nach der passenden Farbe für eine noch offene Stelle auf seinem Bild. Was die Maler zum Verkauf anbieten, das ist - vom Inhaltlichen einmal abgesehen - überwiegend Kunst in handlichen Formaten, was nicht zuletzt daran liegt, dass große Schinken nicht flugzeuggerecht sind. Und per Flieger anreisende Touristen stellen auf diesem Markt nun einmal das Gros der Käufer.
Doch abgesehen davon - wo sollten die Maler auf dem Place du Tertre solche Schinken auch produzieren? Geschätzte 100 Künstler sind auf dem kleinen Platz tätig, mitunter scheinen es zwei auf einem Quadratmeter zu sein, da zählt im wahrsten Sinn jeder Zentimeter. Und eine Entspannung dieser Situation ist nicht in Sicht, denn die Warteliste für eine Konzession ist lang an diesem Ort, an dem der Rubel bzw. der Euro kräftiger rollt als an vergleichbaren Orten. Auch die Cafés und Restaurants rund um den Platz dürften hier einen guten Schnitt machen - hübsche kleine Etablissements in hübschen kleinen Häusern vornehmlich aus dem 18. Jahrhundert, von deren Tischchen aus sich das Geschehen auf dem Platz vortrefflich beobachten lässt.
Landschaften, Stillleben und Abstraktes, Pariser Leben und Stadtansichten, viele davon mit Sacré Coeur oder dem Eiffelturm, dazu jede Menge porträtierte Gesichter, teils detailgetreu, teils karikaturistisch verfremdet ... Ob ich auch ein Porträt von mir wünsche, will ein junger Mann von mir wissen - nicht verbal formuliert, nein, nur ein fragender Blick zu mir, verbunden mit einem Fingerzeig auf seine bereits fertigen Werke. Kommunikation am Minimum, aber jeder von uns weiß, was gemeint ist. Ebenfalls in diesem Modus bewege ich meinen Kopf zwei Zentimeter nach links, dann zwei nach rechts. Kein Porträt. Von einer früheren Reise habe ich noch eines im Schrank zu liegen, und weil Porträts tote Dinge sind, braucht das frühere auch keine Gesellschaft. Was der Spaß gekostet hätte, weiß ich nicht, aber billig seien sie hier nicht, haben wir in einem Artikel gelesen. Das gilt auch für seinen Nachbarn, einen Karikaturenzeichner, der mich allerdings gar nicht erst gefragt hat, vermutlich hat er mein abwehrendes Kopfschütteln gesehen. Doch er braucht mich gar nicht als Kunde, denn kaum sind wir zwei Schritte weiter, lässt sich eine blonde Schönheit erwartungsvoll auf seinem Stuhl nieder, und mit zusammengekniffenen Augen und geschürzter Lippe beginnt er zu zeichnen. Was mich reizt, sind meine eigenen Bilder - die Fotos, die ich digital mit nach Hause nehmen kann, weshalb ich wieder und wieder auf den Auslöser meiner Kamera drücke. So lange, bis mich die abwehrende Geste eines Malers in die Schranken weist. Was er dazu noch sagt, verstehe ich mit meinem rudimentären Schulfranzösisch nicht, aber im Zweifel meint er, ich sollte seine Bilder kaufen und nicht ablichten, ansonsten sollte ich mich besser verp... Nicht gerade freundlich den Leuten gegenüber, von denen er lebt, aber ok, ziehen wir halt weiter, schließlich herrscht an Motiven hier wahrlich kein Mangel. An Motiven, die trotz aller Massenabfertigung diesem Platz dennoch einen ganz besonderen Charme belassen haben. Wer schon mal hier war, der weiß, was ich meine. Alle anderen können die beigefügten Fotos zu diesem Bericht vielleicht als eine Hilfestellung für eine eigene Entscheidung betrachten, irgendwann einmal selbst herzufahren - zu diesem Hotspot am Montmartre, diesem völlig überlaufenen Künstlermarkt an einem der touristisiertesten Orte von Paris, der in meinen Augen dennoch ein Muss ist.
Manfred Lentz (Mai 2017)
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am 1. und 15. jedes Monats
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