"Die Erziehung des Negers kostet viel Zeit und Prügel."
Auf dem Friedhof am Waterberg. Namibia 2012
 
 
Der Friedhof / Teil 1
 
Es ist sehr warm und trocken, obwohl die heißeste Jahreszeit noch nicht angebrochen ist. Die Vegetation ringsum ist kahl, zumeist dorniges Buschwerk, gelegentlich Akazien, die seit Wochen kein Wasser gesehen haben. Langsam schlendern wir zwischen den Gräbern umher. 61 sind es, die meisten mit schlichten Gedenksteinen versehen, dazu ein paar Kreuze, alle mit Namen, die die Männer als Deutsche ausweisen. Bei allen handelt es sich um Angehörige des Militärs. "Leutnant Otto Seebeck aus Berlin" steht auf einem der Steine, "Reiter Simon Bergmann aus Steulendorf in Oberfranken" auf einem anderen, und auf einem der größeren erinnert man an den "unvergesslichen Kameraden, Sekondelieutenant von Bodecker" vom "2. Großh. Mecklb. Dragn. Regmt. 18". Nicht in deutscher Erde sind die Toten gebettet. Sie ruhen rund 8.000 Kilometer entfernt in einem Land, das einst unter dem Namen Deutsch Südwestafrika eine Kolonie des Reiches war und heute Namibia heißt. Kränze geben Auskunft darüber, wer die Erinnerung an die Männer wach hält: "Traditionsverband ehemaliger Schutz- und Überseetruppen e.V." steht darauf, und "Kameradschaft deutscher Soldaten". Vor dem Eingang des Friedhofs steht ein Gedenkstein, auf dem ebenfalls Namen genannt werden. Zwei vergoldete Kronen zieren ihn, dazu Eichenlaub und Lorbeer sowie zwei Sprüche, von denen der eine vom Heldentod der hier Ruhenden spricht, der andere ihre treue Pflichterfüllung lobt. Der Hintergrund dieses Gedenksteins wurde gewiss nicht zufällig gewählt. Nicht die Ödnis der Dornbuschsavanne rahmt den Blick ein, sondern ein mächtiger Tafelberg, der markant aus der Ebene aufragt. Ein Berg und zugleich ein Synonym für ein gut hundert Jahre zurückliegendes Geschehen - der Waterberg.
 

Die Kolonisierten
 
"Im Negerschädel ist eine Annäherung an die Affenbildung nicht zu verkennen."
"Die Negerhaut zeichnet sich durch reichliche Absonderung eines knoblauchartig riechenden Schweißes aus."
"Merkwürdig ist, daß Neger bei kleinerem Gehirn zugleich dickere Nerven haben als Weiße (also auch hierin eine Annäherung zur Thiernatur)."
"Die Weiber sind häßlich, halbnackt und stinken."
"Die Negersprachen sind fast ohne Construction, nur für das Bedürfniß des Augenblicks tauglich, zum Ausdruck abstracter Begriffe aber ganz ungeeignet."
"Einerseits sinnlichen Genüssen, andererseits trägem Nichtsthun sich hingebend, leben die Negervölker Afrikas schon Jahrtausende, ohne zu einer höheren Entwicklung zu gelangen."
"Überhaupt gewahrt man nirgends beim Neger ein Streben nach den höheren Gütern der Menschheit."
"Die Verfassung der Staaten ist meist monarchisch und zugleich despotisch, oft bis zu dem Grade der blutdürstigen Grausamkeit, wie sie sonst auf der Erde nicht vorkommt."
"Alle Negervölker zeichnen sich durch ungemeine Fruchtbarkeit aus."
"Tanz und Musik lieben beide Geschlechter leidenschaftlich, doch ist letztere mehr ein barbarisches, aller Melodie entbehrendes Geräusch."
"Die Religion blieb bei ihnen auf der tiefsten Stufe."
"Die Eingeborenen sind und bleiben ihr Leben lang mehr oder weniger große Kinder."
"Wie Kinder sind sie unfertige Menschen, den Augenblick lebend, unentschlossen, launenhaft, eigensinnig, unzuverlässig, zügellos."
"Das schlimmste Laster, welchem die Bevölkerung frönt, ist die grenzen- und bodenlose Faulheit."
"Wer freiwillig zu dem Niveau des Negers herabsteigt, wird es schwer finden, sich in dessen Augen wieder auf ein höheres zu erheben."
"Die Erziehung des Negers kostet viel Zeit und Prügel."
Die Schlacht am Waterberg
 
Die alten Kolonialmächte hatten die Welt weitgehend unter sich aufgeteilt, als Deutschland gegen Ende des 19. Jahrhunderts ebenfalls koloniale Ambitionen entwickelte. Viel war nicht mehr zu holen, ein wenig Südsee und China, vor allem aber Afrika, darunter das heutige Namibia, seinerzeit - wie erwähnt - Deutsch Südwestafrika genannt. Ein Land, in dem die "Neger" lebten, über die man so gut Bescheid wusste. Beherrschen wollte man sie, was man natürlich durfte, schließlich waren "Neger" keine vollwertigen Menschen. Zivilisieren wollte man sie, ihnen das Christentum nahebringen als die einzig wahre Religion, vor allem aber wollte man ihr Land ausplündern, was man so brutal verständlicherweise nicht sagte. Und zu plündern gab es einiges, nicht zuletzt die Diamantenvorkommen, die den wichtigsten Fundort Kolmannskuppe zum reichsten Ort Afrikas machten. Dass den "Negern" das Vorgehen der Fremden nicht gefiel, liegt auf der Hand, und so ist die Geschichte der deutschen Herrschaft in "Südwest" auch eine Geschichte des Kampfes der Unterdrückten gegen ihre Unterdrücker. Immer mal wieder kam es zu kleineren Scharmützeln, und im August 1904 schließlich zu jener großen Schlacht, die als die Schlacht am Waterberg traurige Berühmtheit erlangte. Deutsche "Schutztruppen" (so ihre offizielle Bezeichnung) unter General von Trotha standen einer der größten Bevölkerungsgruppen des Landes gegenüber, dem Stamm der Herero. Obwohl diese den Deutschen zahlenmäßig weit überlegen waren, konnten sie in puncto Bewaffnung nicht mithalten, weshalb ihre Niederlage vorprogrammiert war. Von Trothas Truppen gingen als Sieger aus der Schlacht hervor, worauf sich die Herero in die Kalahari-Wüste zurückzogen, um einer Einkesselung durch die deutschen Truppen zu entgehen. Was dann geschah, gilt der Wissenschaft heute als der erste Völkermord des 20. Jahrhunderts. "Die Herero sind nicht mehr deutsche Untertanen" erklärte von Trotha. "Innerhalb der deutschen Grenze wird jeder Herero mit oder ohne Gewehr, mit oder ohne Vieh erschossen, ich nehme keine Weiber und keine Kinder mehr auf, treibe sie zu ihrem Volke zurück oder lasse auch auf sie schießen. Und damit ihn auch jeder verstand: "Ich glaube, dass die Nation als solche vernichtet werden muß." Ein Ziel, das er und seine Männer auch beinahe erreichten. Die Rückkehr aus der nahezu wasserlosen Wüste wurde den Herero verwehrt, die wenigen Brunnen an ihrem Rand wurden von den deutschen Truppen besetzt mit der Folge, dass Tausende - manche Quellen sprechen von Zehntausenden - Männer, Frauen und Kinder sowie die Tiere, die sie mitgenommen hatten, in der Kalahari qualvoll verdursteten. Auch auf deutscher Seite hatte der Kampf Opfer gefordert - wenige nur und außerdem wurde diesen ein anderes Schicksal zuteil: Ihre Skelette bleichten nicht namenlos in der Wüste, sie bestattete man auf dem Friedhof am Waterberg.
 

Die Gegenwart
 
Im Jahr 1884 hatte Deutschlands Kolonialzeit begonnen, 1915 - also noch während des Ersten Weltkriegs - war sie auch schon wieder zu Ende. Zunächst wurde Deutsch Südwestafrika unter südafrikanische Verwaltung gestellt, im Jahr 1990 schließlich erlangte das Land unter dem Namen Namibia seine Unabhängigkeit. Und wie sieht das heutige Verhältnis zwischen den einstigen Herren und den von ihnen Beherrschten aus? Die Hereros, die uns während unseres Aufenthaltes in einer Lodge am Waterberg kulinarisch verwöhnen oder mit uns auf Tierbeobachtung gehen, haben mit uns - soweit erkennbar - nicht das geringste Problem. Auch von anderen Einheimischen hören wir während unseres vierwöchigen Aufenthalts in Namibia kein einziges böses Wort. Die Zeit heilt alle Wunden, sagt man. Vielleicht sind die Wunden noch nicht gänzlich verheilt, aber zumindest werden sie nicht demonstrativ zur Schau gestellt. Seit vielen Jahren schon ist der Tourismus eine der Haupteinnahmequellen Namibias, und die Deutschen stellen eine der größten Besuchergruppen, was Geld in den Staatshaushalt spült und Arbeitsplätze schafft. Schwieriger ist das offizielle Verhältnis zwischen Deutschland und seiner ehemaligen Kolonie. Zwar spricht auch die Bundesregierung inzwischen von Völkermord, was sie lange nicht tat, aber individuelle Entschädigungsleistungen an die Nachkommen der Opfer lehnt sie strikt ab. Stattdessen setzt sie auf Finanzleistungen, die allen Bewohnern des Landes zugute kommen. Bereits seit Jahren ist Namibia das Land in Afrika, das pro Kopf der Bevölkerung die höchste deutsche Entwicklungshilfe erhält. Gleichzeitig berät Berlin mit der Regierung in Windhoek über die Aufarbeitung der Gräueltaten der Vergangenheit und bereitet eine gemeinsame Erklärung des Bundestags zum damaligen Völkermord vor, die dieser wenn möglich noch vor den Wahlen im September beschließen soll. Dass die Beziehungen zwischen beiden Staaten trotz einiger noch offener Fragen insgesamt nicht schlecht sind, beweisen auch die zahlreichen gegenseitigen Besuche hochrangiger Politiker.

Der Friedhof / Teil 2
 
Auf dem Friedhof am Waterberg gibt es seit Jahren nicht nur Gedenksteine für die gefallenen deutschen Soldaten, es gibt auch einen für die getöteten Hereros. "Dem Andenken der in der Schlacht am Waterberg gefallenen Hererokrieger", steht darauf - nicht viel, aber gegenüber der vorherigen Nichtbeachtung ein Fortschritt. Mehr scheint zur Zeit nicht machbar zu sein. Allen Bemühungen etwa der Kriegsgräberfürsorge Namibias zum Trotz, die die Gräber am Waterberg betreut, ist die Errichtung eines zentralen Monuments für die Herero bisher nicht zustande gekommen. Was den Besuchern des Friedhofs durch den Kopf ging, haben sie in ein Gästebuch geschrieben. Von "sinnlosem Sterben" ist dort die Rede, dass dies "ein würdiger Ort des Gedenkens" sei, eine "tief beeindruckende Erinnerungsstätte", und dass es gelte, "aus der Vergangenheit zu lernen". Auch ich möchte einen Eintrag hinterlassen, und ich muss nicht lange überlegen. Was ich sagen will ist in mir, seit wir am Vortag von Windhoek her kommend den Waterberg erreicht haben. "Als Deutscher", schreibe ich, "kann man sich an diesem Ort nur schämen!"
 
Manfred Lentz (Juni 2017)
 
 
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