Drei Wochen Peru (Teil 1)
In der Hauptstadt beginnt unsere Tour durch
das Land. 2017
 
Ein nettes Wortspiel - das mit dem prima Klima in Lima. Hört sich witzig an, aber entspricht leider nicht den Tatsachen. Bei Dunkelheit sind wir in der peruanischen Hauptstadt gelandet, und als wir am Morgen aus dem Hotel treten, empfängt uns ein grauer Himmel. Kein bisschen Blau und keine Spur von der Sonne. Natürlich waren wir darauf vorbereitet, schließlich hat unser Reiseführer darüber geschrieben, aber es erleben ist halt etwas anderes als darüber lesen. "La Garua" nennt sich das Grauer-Himmel-Phänomen. Es entsteht durch das Zusammentreffen des kalten Humboldtstroms vor der Küste mit den warmen Luftmassen über dem Land. Als Folge davon bilden sich Wolken, die alljährlich während der Wintermonate - auf der südlichen Halbkugel sind das die Monate Mai bis September - über dem Küstenstreifen hängen. Also auch über Lima, das mit seinem vorgelagerten Hafen Callao unmittelbar an den Pazifik grenzt. Begleitet wird dieses Wetter von niedrigen Temperaturen und gelegentlichem Nieselregen, die Sonne hat nur ausnahmsweise eine Chance. Es ist ein Wetter, das empfindliche Gemüter depressiv machen dürfte.
 
Für uns mit unserem Kurzaufenthalt in der Stadt sind Depressionen aber verständlicherweise kein Thema. Wenn wir die Abwesenheit von blauem Himmel und Sonne bedauern, dann allein deshalb, weil leuchtende Farben eine Stadt für gewöhnlich schöner und die Fotos von ihr attraktiver machen. Allerdings gibt es in dieser Stadt gar nicht allzu viel zu fotografieren, denn eine schöne Stadt ist Lima in unseren Augen nicht. Unterschiedlichen Angaben zufolge leben dort zwischen 10 und 12 Millionen Menschen, das ist etwa jeder dritte Einwohner von Peru. Wobei das "die Stadt ist nicht schön" sich keineswegs nur auf die Außenbezirke bezieht, die hier genau so hässlich sind wie in allen anderen Zig-Millionen-Städten in Entwicklungsländern. Nein, in Lima ist selbst das Zentrum abgesehen von einigen herausragenden historischen Bauwerken recht langweilig und, soweit wir es kennengelernt haben, auch ziemlich uninteressant. Da kann auch das moderne Einkaufszentrum Larcomar, das uns von mehreren Personen als eine besondere Sehenswürdigkeit von Lima empfohlen wurde, diesen Eindruck nicht grundsätzlich verändern. Larcomar ist ein in einen Abhang an der Küste hinein gebauter Allerweltskomplex, in dem sterile Geschäfte und Restaurants, wie man sie überall auf der Welt findet, auf zahlungskräftige Besucher lauern. Die sie auch finden - Touristen zum Teil, vor allem aber die oberen Zehntausend der peruanischen Bevölkerung, die hier bei einer gewöhnlichen Mahlzeit unter Umständen mehr ausgeben, als ein großer Teil ihrer ärmeren Landsleute in Lima, in den Dörfern der Anden oder im östlich daran angrenzenden Urwald in Wochen oder gar Monaten verdient.
 
 
Ausgehend von dem Gesagten sind wir verständlicherweise nicht traurig, als am Tag 2 nach unserer Ankunft in Lima der Aufenthalt dort beendet ist und "das Land" folgt. Ein kleiner Teil des Landes jedenfalls, den wir in den folgenden drei Wochen bereisen werden, und zwar auf der Grundlage einer von "Erlebe-Fernreisen" ausgearbeiteten Tour. Jenes Reisebüros, mit dem wir nach Aufenthalten in Kuba, Sizilien und Island nun bereits zum vierten Mal unterwegs sind. "Erlebe-Peru" heißt die zuständige Abteilung, die zusammen mit einer peruanischen Partneragentur unseren Wünschen entsprechend die Tour zusammengestellt hat, Hotels und Verkehrsverbindungen inklusive, die wir nun nacheinander per Bus, Bahn und Flugzeug "abreisen" werden. Um das Ergebnis der kommenden drei Wochen schon einmal vorwegzunehmen: Es sollte eine Tour voller fantastischer Eindrücke und großartiger Erlebnisse werden, aber gleichzeitig wurde sie so anstrengend, dass ich die Überschrift über meinen Kuba-Berichten - "Toll, aber tot!" - auch im Fall Perus hätte verwenden können. Doch erst einmal merken wir von den bevorstehenden Anstrengungen nichts, denn erst einmal steigen wir an einem modernen Busbahnhof in einen mit allem Komfort ausgestatteten Überlandbus, der uns von Lima in die südlich gelegene Stadt Ica bringt. Eine Fahrt durch eine Wüste, wie man sie hier unmittelbar am Meer, in dem es so unendlich viel Wasser gibt, wohl kaum erwarten würde. Doch abgesehen davon, dass Meerwasser Salzwasser ist, regnet sich die aufsteigende Feuchtigkeit nicht an der Küste ab, sondern dort, wo die Wolken auf die Anden treffen. Mit anderen Worten: Von all dem vielen Wasser hat dieser trockene Küstenstreifen, der sich bis weit nach Chile hinzieht und mit der Atacama die trockenste Wüste der Erde aufweist, nicht den geringsten Nutzen.
Ica, die nächste Station auf unserer Reise, kennen wir zumindest rudimentär: Sie ist die Kreuzworträtsel-Stadt mit drei Buchstaben, aber das ist schon alles. Mehr müssen wir über Ica allerdings auch nicht wissen, denn unser eigentliches Ziel liegt einige Kilometer außerhalb der Stadt. Huacachina heißt der kleine Ort, genauer: die kleine Oase inmitten riesiger Sanddünen, bei denen wir sofort an die Sahara denken. Bis zu einhundert Meter sind sie hoch, sie beginnen gleich hinter unserem Hotel, umschließen den ganzen Ort und reichen viele Kilometer ins Land hinein. Ein ideales Gelände für Sandsurfer, die mit ihren Brettern wie auf Skiern im Schnee die Hänge hinabsausen. Wobei an deren Ende kein Lift auf sie wartet, der sie zur nächsten Abfahrt wieder nach oben bringt, vielmehr müssen sie den erneuten Aufstieg aus eigener Kraft bewältigen. Den mühsamen Aufstieg durch den rutschigen Sand und ab dem späten Vormittag unter einer Sonne, die selbst jetzt im peruanischen Winter heiß vom Himmel herabbrennt. Vor allem für junge Leute scheint Huacachina eine angesagte Location zu sein. Auf sie hat sich die gesamte Infrastruktur des Örtchens eingestellt, die Restaurants, die kleinen Reisebüros, um die Weiterfahrt zu organisieren, und nicht zuletzt die Besitzer der vielen Dünen-Buggys, die ausgestattet mit PS-starken Motoren und Überrollbügeln zwischen den Sandbergen umherrasen. Ein verrücktes Vergnügen und geradezu das Gegenteil von Schutz der Natur, da sind Karin und ich uns einig, weshalb für uns eine solche Fahrt nicht in Frage kommt. Anfänglich jedenfalls, denn je öfter wir andere Touristen in diesen Dünen-Buggys herumfahren sehen, um so mehr schmelzen unsere Bedenken wie Eis in der Sonne, bis wir schließlich mit einem Fahrer eine einstündige Fahrt aushandeln. Eine, die uns trotz unseres schlechten Gewissens mächtig viel Spaß macht, denn wie wir die Dünen hinauf- und hinunterjagen und uns von den höchsten Punkten mit Schmackes hinabstürzen lassen, wie das sonst nur auf Achterbahnen geht - das hat schon was! Mit wackeligen Beinen und um eine neue Erfahrung reicher wanken wir anschließend zu unserem Hotel zurück. Zu unserem "schönen" Hotel, sollte ich schreiben, denn wo wir vor Beginn unserer Reise schlichte Unterkünfte erwartet hatten, genießen wir nun lauter Annehmlichkeiten - wobei wir nicht etwa in Luxushotels abgestiegen sind -, mit denen wir "in dem armen Land" nicht unbedingt gerechnet hätten. Ebenso wie uns nicht in den Sinn gekommen wäre, dass wir ausgerechnet in Peru mit einem hochgezüchteten Spaßvehikel durch die Natur brausen würden.
 
 
Fazit: Es ist gerade mal der dritte Tag unseres Aufenthalts, aber schon nach den ersten Eindrücken und Erlebnissen ahnen wir, dass unser Peru-Bild - bettelarmes Entwicklungsland; meilenweit von unseren deutschen Standards entfernt; eine ganz andere Welt - wenn auch nicht gänzlich falsch, so in dieser Absolutheit doch auch nicht ganz stimmig ist.
 
(Wird fortgesetzt)
 
Manfred Lentz (August 2017)
 
 
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