Gletscher, Wasserfälle und Geysire
Auf Island hat das Wasser viele Gesichter.
 2016 (Teil 2)
Den ersten Teil dieses Berichts habe ich Wasserfällen gewidmet und einer Lagune zwischen einem Gletscher und dem Meer. Aber über Wasser auf Island gibt es noch mehr zu berichten.
 Nicht weit vom Wasserfall Gullfoss entfernt befindet sich ein Geysir mit dem Namen Strokkur. Auch er liegt auf der von Reykjavik aus leicht zu erreichenden "Golden Circle"-Tour, weshalb er der am häufigsten besuchte Geysir des Landes ist. Wieder spielt Wasser eine Rolle, diesmal in Gestalt einer Fontäne, die unter hohem Druck aus der Erde ausgestoßen wird, und das regelmäßig alle 5 bis 10 Minuten. Ein Schauspiel der Natur, das alljährlich zahllose Touristen anlockt. Selbst jetzt, Anfang September, ist deren Zahl noch beträchtlich, obwohl der Höhepunkt der Besuchersaison bereits überschritten ist. Doch Island ist zur Zeit in, und so bauen wir uns denn zusammen mit den anderen Schaulustigen mit schussbereiten Kameras rund um den Geysir auf, zählen die Minuten bis zum nächsten Ausbruch, lauschen auf jedes Grummeln und Zischen aus der Tiefe und sind entschlossen, den entscheidenden Moment im Bild festzuhalten. Zum Baden wäre das Wasser des Geysirs denkbar ungeeignet, denn es ist kochend - im Unterschied zu dem Wasser an anderen Orten, an denen es weniger heiß aus der Erde kommt. In den Myvatn Nature Baths etwa, einer Anlage aus mehreren großen, mit wohltemperiertem Wasser gefüllten Becken, zu denen es sowohl Touristen als auch Einheimische aus der Umgebung zieht. Badewannentemperatur in einer Umgebung, die mit gerade einmal 12 Grad Lufttemperatur ziemlich frisch ist. Kein Wunder, dass die Isländer* auf Bäder wie das von Myvatn oder die "Blue Lagoon" in der Nähe ihrer Hauptstadt so sehr abfahren.
(*Am Rande bemerkt: Die Bewohner Irlands nennen wir Iren und nicht Irländer, die Bewohner Islands aber nicht Isen sondern Isländer. Warum? Bisher habe ich keine Antwort auf diese Frage gefunden.)
 
Wenn wir über Island und das Wasser sprechen, dürfen wir eine Erscheinungsform natürlich auf keinen Fall vergessen, die für die Isländer stets von überragender Bedeutung war: das Meer, das die Insel umgibt. Zum einen prägte die dadurch bedingte Isolation das Leben der Menschen in vielerlei Hinsicht, zum anderen bildete der Fischreichtum des Meeres die Grundlage für ihre Ernährung. Rund 270 Fischarten schwimmen vor Islands Küsten, hinzu kommen die Wale. Letztere wurden lange Zeit ebenfalls vor allem unter dem Gesichtspunkt des Nahrungserwerbs gesehen, erst in der jüngeren Vergangenheit hat sich die Sicht der Inselbewohner auf diese riesigen Meeressäuger geändert. Heute steht deren Bedeutung für den Tourismus im Vordergrund. Whale Watching lautet das Schlagwort, das Beobachten der Tiere unter fachkundiger Anleitung aus sicherer Entfernung. In mehreren Orten Islands lassen sich solche Events buchen, und natürlich sind auch wir fest entschlossen, uns ein solches Erlebnis nicht entgehen zu lassen. In Husavik soll unsere Fahrt starten, drei Stunden mit einem Boot auf dem Meer, um - wenn uns das Glück lacht - die Tiere zu sehen. Doch das Wetter macht uns einen Strich durch die Rechnung. Drei Meter hohe Wellen halten das Boot im Hafen fest, sehr ärgerlich für uns, die wir nur kurze Zeit auf der Insel sind und auf keinen anderen Termin ausweichen können, Pech aber auch für die Veranstalter, für die das Whale Watching ihre Einnahmequelle ist. "Das tut mir leid für Sie", sagt die freundliche Isländerin am Ticketschalter, und ihre Miene drückt Mitgefühl aus. "Aber vielleicht besuchen Sie ja stattdessen unser Wal-Museum."
Ein Museumsbesuch als Ersatz für die ausgefallene Tour, die ein Highlight unserer Reise hätte werden können ... Aber was bleibt uns anderes übrig, also machen wir uns auf den Weg. Ein paar Minuten grummeln wir noch vor uns hin, doch schnell stellen wir fest, dass diese Alternative nicht die schlechteste ist. Gab es für uns zuvor im Wesentlichen nur "die Wale", so fächert sich diese Spezies bereits auf den ersten Metern in eine Tierart auf, der ganz unterschiedliche Mitglieder angehören: angefangen vom "kleinen" Schweinswal, der es gerade einmal auf eine Länge von 2,50 m und ein Gewicht von 300 kg bringt, bis hin zum Blauwal, dem größten Tier, das jemals auf Erden gelebt hat. Die Riesen unter ihnen können so lang werden wie ein Airbus 320 und schwer wie 50 ausgewachsene Elefanten - Maße, gegen die selbst die Saurier aus grauer Vorzeit blass aussehen würden. Neben diesen beiden Arten gibt es noch Finnwale und Seiwale, Buckel- und Grindwale, Pottwale - das sind die mit dem rechteckigen Kopf -, ferner die aus den "Free Willy"-Filmen bekannten Schwertwale und nicht zu vergessen die Narwale, die in unserem Kulturkreis in der Vergangenheit eine bemerkenswerte Rolle spielten: Von den Narwalen nämlich stammten jene mitunter mehr als zwei Meter langen Stoßzähne, die den ahnungslosen Mitteleuropäern jahrhundertelang von geschäftstüchtigen Händlern aus dem hohen Norden als die Hörner von Einhörnern angedreht worden waren. In der Schatzkammer in Wien ist ein eindrucksvolles Exemplar eines "Einhornhorns" zu sehen. Von mehreren Walen gibt es sorgfältig präparierte Skelette, so dass wir einen Eindruck von ihrer Größe erhalten. Wie Zwerge fühlen wir uns neben dem Blauwal, und die Geschichte von Jona kommt uns in den Sinn, der drei Tage und drei Nächte im Bauch eines Wals gelebt hat, bevor er von diesem unverletzt wieder ausgespien wurde.
 
 
Überrascht sind wir von der großen Zahl von Walen, die es heute noch in isländischen Gewässern gibt, und die sich je nach Art auf einige hundert bis zu einigen zehntausend beläuft. Mit so vielen Tieren hatten wir nicht annähernd gerechnet - offensichtlich die Folge der Berichterstattung in den Medien, die immer wieder den Eindruck erwecken, als stünden die Wale kurz vor der Ausrottung. Wie die Japaner, so stellen auch die Isländer nach wie vor einigen Walarten nach, zahlenmäßig begrenzt und angeblich nur zu wissenschaftlichen Zwecken. Doch ist auch in Island die Zahl derjenigen kräftig gewachsen, die ein vollständiges Walfangverbot fordern. Zum einen spielt das Fleisch der Tiere für die Ernährung der Bevölkerung heute so gut wie keine Rolle mehr. Zum anderen hat man begriffen, dass Whale Watching auf die Dauer ein lukrativeres Geschäft ist als die Jagd.
 
Als wir nach drei höchst interessanten Stunden das Museum wieder verlassen, beginnt es zu regnen. Wasser in den Gletschern haben wir auf unserer Reise kennengelernt, in den Wasserfällen, den Geysiren, im Meer und gut temperiert in dem Thermalbad von Myvatn. Mit dem Regen erleben wir nun die Variante von oben. Auf Island hat das Wasser eben viele Gesichter.
 
Manfred Lentz (September 2017)
 
 
Weitere Berichte über Island gibt es unter den Nummern 154, 155 und 175
 
 
Die neuen Berichte auf reiselust.me erscheinen jeweils
am 1. und 15. jedes Monats