Che Guevara -
der unsterbliche Kubaner. 2015 (Teil 2)
der unsterbliche Kubaner. 2015 (Teil 2)
Wir schweigen, bewegen uns mit gemessenen Schritten und lassen unsere Blicke andachtsvoll durch den in gedämpftes Licht getauchten Raum schweifen. Fotografieren ist strengstens verboten, aber wir könnten es auch gar nicht, denn unsere Kameras mussten wir zusammen mit unserer sonstigen Habe am Eingang abgeben. Die aufmerksamen Augen des Wachpersonals verfolgen uns auf Schritt und Tritt. Eine ähnlich weihevolle Atmosphäre habe ich zuletzt in der Krypta des Petersdoms erlebt, wo - wahr oder unwahr - die Gebeine des Apostels Petrus bestattet sind. Die Gebeine eines Märtyrers, der für seinen Glauben in den Tod gegangen ist. Auch der Mann, an dessen Gedenkstätte wir uns befinden, ist für seinen Glauben in den Tod gegangen, nicht für den Glauben an einen Gott allerdings, sondern für den an den Sieg der Revolution. Ernesto Che Guevara ist der, der hier verehrt wird - der Che, wie er von den Kubanern üblicherweise genannt wird. Hier, an diesem geradezu sakralen Ort, sind wir ihm nahe, in einem aus Holz, Steinen und Pflanzen gestalteten höhlenähnlichen Ambiente. Einer Umgebung, die unverkennbar einen Bogen spannen soll zu jenem unwirtlichen Gebiet im Osten Kubas, der Sierra Maestra, das Che und seinen Gefährten während ihres Kampfes gegen die Diktatur Fulgencio Batistas als Operations- und Rückzugsgebiet diente. Neben Che Guevara - und so wie er in Wandnischen gebettet - ruhen die sterblichen Überreste von 38 seiner Mitstreiter, unter ihnen Tamara Bunke, die einzige Frau. Eine Deutsche.
Ein Mausoleum als Ort stillen Gedenkens. Von ganz anderem Charakter ist das auf der rückwärtigen Seite liegende Denkmal samt dazugehöriger "Plaza de la Revolución" - einem Aufmarschplatz für eine vieltausendköpfige Menge -, das die Bedeutung Che Guevaras in der Geschichte geradezu herausschreit. Überlebensgroß und in Kampfmontur steht sein sechs Meter hohes bronzenes Abbild auf einem Sockel, in der Rechten ein Gewehr, den linken Arm angewinkelt im Gips. Der Grund für seine Verletzung dürfte auf Kuba Allgemeinwissen sein, erinnert sie doch an seinen größten Triumph, die in Teil 1. dieses Berichts erwähnte Sprengung eines Militärzuges in Santa Clara mit der nachfolgenden Flucht Batistas aus Kuba und der Verkündung des Sieges der Revolution durch Fidel Castro. Auf Stelen zu beiden Seiten der Statue zeigen Flachreliefs Szenen aus Che Guevaras Kämpferleben sowie Inschriften aus dem Abschiedsbrief vor seinem Aufbruch nach Bolivien im Jahr 1966, in dem er seinen Kampfgefährten die Beweggründe für den Weggang aus Kuba erklärte.
Dass der aus Argentinien stammende Che Guevara nach dem Sieg der Revolution nicht dauerhaft auf der Karibikinsel bleiben würde (obwohl er dort inzwischen zum "geborenen kubanischen Staatsbürger" ernannt worden war), hatte er bereits Jahre zuvor angedeutet, als er sich dem Kampf Fidel Castros gegen das Batista-Regime angeschlossen hatte. Sollte dieser Kampf eines Tages siegreich beendet sein, so Che Guevara seinerzeit, behalte er sich die Rückkehr in seine alte Heimat Argentinien vor, um sich dort für eine Besserung der Verhältnisse einzusetzen. Nach Argentinien ging er zwar nicht, als er im Jahr 1961 aus der kubanischen Führung ausschied, dafür aber nach Afrika. Der Kongo befand sich zu dieser Zeit gerade in einem Bürgerkrieg, eine nach Ansicht Che Guevaras günstige Situation, eine Revolution nach kubanischem Vorbild anzustoßen. Ein Irrtum, wie sich schnell herausstellte, denn die Stimmung im Kongo war ebenso wenig revolutionär wie bald darauf die in Bolivien, wo er nach dem Scheitern seines afrikanischen Abenteuers eine Fortsetzung des Kampfes versuchte. Auch hier schätzte Che Guevara die Lage falsch ein. Nur wenige Bauern schlossen sich ihm und seinen Gefährten an, und so war es nur eine Frage der Zeit, bis die kleine Gruppe vom Militär aufgerieben wurde. Im Oktober 1967 nahmen bolivianische Soldaten den ungeduldigen Revolutionär gefangen, und bereits am darauffolgenden Tag war er tot - erschossen im Auftrag des bolivianischen Präsidenten.
Eine Legende hatte ihr Ende gefunden, und damit niemand daran zweifelte, sollte ein offizielles Foto das beweisen. Zu diesem Zweck wurde Che Guevara aufgebahrt - in einer Weise, die der Aufbahrung des toten Christus auf einem Bild des italienischen Malers Andrea Mantegna auf frappierende Weise ähnelte und die den DDR-Liedermacher Wolf Biermann zu dem Wort vom "Christus mit der Knarre" inspirierte. Andere nannten den Ermordeten einen Heiligen ohne Gottesglauben und wählten damit eine Formulierung, die ebenfalls gut zu dem Mythos passte, der sich binnen kurzem um ihn entfaltete. Che war tot, doch in den Köpfen von Millionen Menschen lebte er weiter und auch auf den Bildern, die wir 68er Studenten zusammen mit den Porträts von Marx & Co. und roten Fahnen durch die Straßen trugen. Und der Rest der Geschichte? Im Jahr 1997 wurden die nach seiner Ermordung verscharrten Überreste Che Guevaras entdeckt, nachdem ein ehemaliger Offizier der bolivianischen Armee den Ort ihres Begräbnisses verraten hatte. Sie wurden nach Santa Clara überführt, dem Ort seines größten Triumphes, und seither ruhen sie in dem eingangs erwähnten Mausoleum, in dem sowohl Kubaner als auch zahllose Besucher aus aller Welt ihm bis heute Jahr für Jahr ihre Aufwartung machen.
Che Guevara - der Revolutionär, der gegen das Elend der Welt ankämpfte. Der konsequent für die Ärmsten der Armen eintrat, rücksichtslos gegen sich selbst bis in den eigenen Tod. Eine Lichtgestalt also? Vielleicht. Aber es gibt auch noch eine andere Seite des Che, die von der offiziellen Propaganda auf Kuba gern verschwiegen wird. Wobei seine Beteiligung an Tribunalen nach dem Sieg der Revolution mit dabei verhängten Todesstrafen vielleicht noch am ehesten nachvollziehbar ist. Wollte man gegen die Überbleibsel der Batista-Diktatur und ebenso gegen die übermächtigen und konsequent feindseligen Vereinigten Staaten bestehen, durfte man bei der Sicherung der eigenen Herrschaft nicht zimperlich sein. Schließlich war die andere Seite es auch nicht, wie sie mit zahllosen Sabotageakten, Brandanschlägen und Morden sowie der Invasion in der Schweinebucht im Jahr 1961 unter Beweis stellte - Aktionen mit dem Ziel, die Castro-Revolution rückgängig zu machen. Sehr viel weniger nachvollziehbar erscheint hingegen die Haltung Che Guevaras zu einigen Personen, die zu den größten Massenmördern des 20. Jahrhunderts gehören. Seine Verehrung Stalins etwa, und das selbst noch zu einer Zeit, als in der Sowjetunion die Entstalinisierung bereits in vollem Gang war. Seine Haltung gegenüber dem Chinesen Mao Zedong, dessen barbarische Kulturrevolution in die letzten Lebensjahre Ches fällt, die diesem jedoch kein einziges kritisches Wort entlockte. Seine Sympathien für die Politik Nordkoreas und schließlich seine Aussage im Zusammenhang mit der Kubakrise im Jahr 1962, die Sowjets hätten - anstatt klein beizugeben - Atomwaffen auf die USA abfeuern sollen. Eine Haltung, die sich wohl nur mit dem Wort Wahnsinn beschreiben lässt. Ist Che Guevara also doch nicht jene Lichtgestalt, als die ihn die unzähligen Bilder und Plakate darzustellen versuchen, die wir auf unserer Rundreise durch Kuba gesehen haben?
Ich frage einen Kubaner. "Che Guevara ist allgegenwärtig auf eurer Insel, selbst auf T-Shirts und Basecaps findet man sein Konterfei. Hat er so viele Jahre nach seinem Tod noch immer eine Bedeutung für euch, oder ist er nur noch ein Marketinginstrument für die kubanische Tourismusindustrie?" Die Antwort kommt schnell, und sie kommt engagiert. Nein, Che sei mitnichten ein Marketinginstrument, sagt mein Gegenüber, sein Ansehen in der Bevölkerung sei nach wie vor groß. Sein selbstloses Engagement für die Armen dieser Welt, sein Mut im Kampf für dieses Ziel, seine Beharrlichkeit - das alles seien Eigenschaften, die man auch Jahrzehnte nach seinem Tod nur als vorbildlich bezeichnen könne, und das unabhängig von allen Fehlern und Fehleinschätzungen, die es in seinem Leben auch gegeben habe. Es klingt sehr überzeugend, was mein Gesprächspartner da sagt. Und vermutlich ist es genau dieses Streben nach einer gerechteren Welt - ein Gedanke, mit dem sich wohl die meisten von uns identifizieren können -, was den Kubaner Ernesto Che Guevara unsterblich macht.
Manfred Lentz (April 2017)
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