Santiago de Cuba -
Stadt mit Geschichte. Kuba 2015 (Teil 2)
Stadt mit Geschichte. Kuba 2015 (Teil 2)
"Ich bin ein aufrichtiger Mensch
von da, wo die Palme wächst,
und bevor ich sterbe, möchte ich
mir meine Verse von der Seele singen."
von da, wo die Palme wächst,
und bevor ich sterbe, möchte ich
mir meine Verse von der Seele singen."
Die erste Strophe eines Liedes in deutscher Übersetzung. Sie kennen es nicht?
Kann ich mir nicht vorstellen. Vielleicht sagt Ihnen der Text im spanischen Original mehr:
"Yo soy un hombre sincero,
de donde crece la palma,
y antes de morirme quiero
echar mis versos del alma."
de donde crece la palma,
y antes de morirme quiero
echar mis versos del alma."
Immer noch nicht? Ok, dann löse ich das Rätsel auf: Bei dem Text handelt es sich um die erste Strophe des Liedes "Guantanamera". Ach so, werden Sie jetzt sagen, das kenne ich natürlich! Vermutlich kennt es die halbe Menschheit, und die meisten werden den Refrain "Guantanamera Guajira Guantanamera" mitsingen oder zumindest mitsummen können. Das Lied ist ein Ohrwurm, und wie das mit Ohrwürmern so ist, haben es zahlreiche Künstler in ihr Repertoire aufgenommen. Im Jahr 1963 etwa hat es Pete Seeger in der New Yorker Carnegiehall als Zeichen seiner Solidarität mit der kubanischen Revolution gesungen und es dadurch weltweit bekannt gemacht. Später hat Joan Baez es in ihrem Protest gegen den Vietnamkrieg genutzt.
Die Melodie des Liedes stammt von dem Kubaner José Fernández Díaz, der Text geht auf José Martí zurück. Martí - 1853 geboren - war der Sohn spanischer Eltern, die es nach Kuba verschlagen hatte. In das Land, "de donde crece la palma", in dem die Palme wächst, die Königspalme, die ein Symbol für Kuba ist. Schon früh begehrte er gegen die spanische Kolonialmacht auf, die die Karibikinsel seit dem 16. Jahrhundert beherrschte. Er wurde verfolgt, zu Zwangsarbeit verurteilt und ging zeitweise ins Exil, wo er mehrere Schriften verfasste, darunter den Text von "Guantanamera". Wieder nach Kuba zurückgekehrt, spielte er bis zu seinem Tode im Jahr 1895 eine bedeutende Rolle im Kampf gegen die Spanier - so bedeutend, dass ihm in Kuba auch heute noch eine Verehrung zuteil wird wie kaum einem anderen. In jeder Schule gibt es eine Büste von ihm, seine Denkmäler zieren unzählige Plätze. Verständlich, dass auch sein Grab kein gewöhnliches ist.
Es ist der zweite Tag unseres Aufenthaltes in Santiago, die Stadt ist anstrengend, und die Temperatur von knapp 40°C macht uns ziemlich zu schaffen, doch Santiago zu verlassen, ohne das Grab von Martí gesehen zu haben - nein, das geht nicht. Also raffen wir uns auf und statten dem Friedhof Santa Ifigenia, auf dem er bestattet ist, einen Besuch ab. Ein Taxi bringt uns hin, einer dieser faszinierenden alten Ami-Schlitten, für die Kuba nicht nur bei Oldtimer-Freaks so berühmt ist. Martinez sitzt am Steuer, ein etwa vierzigjähriger Santiaguero, der stolz auf seine Stadt ist, stolz auf Kuba und natürlich auch stolz auf Martí. Und das trotz seiner Kritik an manchen Unzulänglichkeiten in seiner Heimat und obwohl er als Taxifahrer mit seinem Auto Marke Uralt schwer gebeutelt ist. Weil es wegen des US-amerikanischen Embargos keine Ersatzteile gibt, ist seine Windschutzscheibe mehrfach geklebt; um zu hupen, muss er auf einen selbsteingebauten Knopf unter dem Armaturenbrett drücken; und die Rückbank ist für seine Fahrgäste schlicht eine Zumutung. Eine, die wir allerdings gern in Kauf nehmen, denn wo, wenn nicht hier, hat man schon einmal die Gelegenheit, in einem Auto des Jahrgangs 1954 zu fahren. Auf einer Fahrt, die nicht ganz billig ist - für uns nicht, aber ebenso wenig für Martinez, denn sein Auto gehört nicht zu denen, in die irgendwann ein neuer Motor mit einem akzeptablen Benzinverbrauch eingebaut wurde. Stolze 16 Liter schluckt seiner auf hundert Kilometer, und die lässt er sich verständlicherweise bezahlen.
Ein Parkplatzwächter nimmt uns am Friedhof 1 CUC ab (etwa 1 Euro), danach sind noch 2 weitere CUC pro Person für den Eintritt fällig und 5 für die Kamera. Alles in allem also 10 CUC, eine Summe, für die etwa ein Arzt eine Woche lang arbeiten muss. "Touristenabzocke" wäre das passende Wort für diese Forderung. Aber egal, wir wollen zu Martí, also wenden wir uns dem 24 Meter hohen, aus weißem Kalkstein errichteten Mausoleum zu, bei dem in den nächsten Minuten mit militärischem Zeremoniell die halbstündliche Ablösung der Ehrenwache stattfinden soll. Begrabt mich mit dem Gesicht zur Sonne, soll Martí geäußert haben - für mich ein völlig unverständlicher Wunsch, mich hätte man bei diesen Temperaturen viel eher in den Schatten gelegt. Auf einmal ertönt Marschmusik aus mehreren Lautsprechern, und mit einem Stechschritt, der jeden Preußenkönig schwer beeindruckt hätte, halten drei Soldaten auf ihre abzulösenden Kameraden zu. Um aus einer besseren Position fotografieren zu können, will ich ein wenig näher an das Geschehen heran, werde aber sogleich von einem Aufseher barsch zurückgescheucht. Martí ja - aber auf Distanz! Wieder ein Hinweis auf die Wertschätzung, die dem Kämpfer für die kubanische Unabhängigkeit noch immer entgegengebracht wird.
Die Musik verklingt, die Soldaten sind ausgewechselt, wir wenden uns dem übrigen Friedhof zu - und sind begeistert: marmorne, weiß leuchtende Gräber in allerbestem Zustand, Königspalmen mit sattgrünenWedeln, darüber ein tiefblauer Himmel mit vereinzelten Wolken.
So sehr sind wir von diesem Friedhof angetan, dass wir beinahe den Glutball am Himmel vergessen, der unbarmherzig auf uns herniederbrennt. Geführt von unserem Fahrer, der sich an diesem Ort sichtlich gut auskennt - vermutlich hat er schon etliche Touristen hier herumgeführt -, wandern wir zwischen den Gräbern umher. Zahlreiche für Kuba wichtige Persönlichkeiten sind hier beigesetzt, darunter Helden des Unabhängigkeitskriegs gegen die Spanier und Kämpfer der Castro-Revolution, allerdings sagen uns deren Namen nichts bis auf zwei. (Im Jahr 2017 hätte uns ein weiterer Name etwas gesagt: Fidel Castro.) Da ist zum einen der Name Bacardi, der gleich mehrmals erscheint und der untrennbar mit dem berühmtesten aller kubanischen Getränke verbunden ist, dem Rum. Anfänglich Unterstützer des neuen Regimes, geriet die von der Insel stammende Familie schon bald in Widerspruch zu dessen Politik und verließ das Land, nicht ohne die Hoffnung, eines Tages zurückkehren zu können. Emilio Bacardi y Moreau steht auf einem der Gräber, er ist der Patriarch, der das Imperium aufgebaut hat. Auch dieses Grab befindet sich in einem sehr guten Zustand, was angesichts einer Regierung, die sich die "Ausmerzung der Blutsauger des kubanischen Volkes" auf die Fahnen geschrieben hat, nicht selbstverständlich ist.
Der zweite Tote, dessen Name uns etwas sagt, ist Compay Segundo. Sein Grab befindet sich gewissermaßen "in der zweiten Reihe" - auf dem hinteren, nicht mehr ganz so prächtigen Teil des Friedhofs, wo der Glanz bereits ein wenig abgeblättert ist. Möglicherweise haben Sie, liebe Leser dieses Berichts, den Namen des Mannes noch nie gehört, aber bestimmt kennen Sie seine Musik. Compay Segundo ist einer jener Männer fortgeschrittenen Alters, die sich vor Jahren als "Buena Vista Social Club" zusammengefunden haben, und über die Wim Wenders den Film gedreht hat, der um die Welt ging. Zu Recht hat man die Männer als die bekanntesten Botschafter des Son Cubano bezeichnet, der Musik Kubas, und Segundo war einer von ihnen. "Las Flores de la Vida" steht auf seinem Grabstein, "Die Blumen des Lebens". Was damit gemeint ist, verrät eine abgebildete Gitarre. "Chan Chan", hören wir im Geist eines seiner bekanntesten Lieder, oder "El Cuarto de Tula", die Geschichte von der schönen Tula, die zumindest auf Kuba genau solch ein Ohrwurm ist wie das "Guantanamera" von Martí.
Womit wir wieder bei dem Nationalhelden wären. Mit ihm habe ich diesen Bericht begonnen, mit ihm will ich enden. Sein "Guantanamera" haben wir das erste Mal kurz nach unserer Ankunft auf Kuba in einem Lokal in Havanna gehört, wo mehrere Musiker unter dem noch immer benutzten Namen "Buena Vista Social Club" auftraten. Und danach während unserer vierwöchigen Reise immer mal wieder:
Con los pobres de la tierra
quiero yo mi suerte echar.
El arroyo de la sierra
me complace más que el mar.
quiero yo mi suerte echar.
El arroyo de la sierra
me complace más que el mar.
Mit den Ärmsten der Erde
will ich mein Schicksal abwerfen.
Der Bach im Gebirge
erfreut mich mehr als das Meer.
will ich mein Schicksal abwerfen.
Der Bach im Gebirge
erfreut mich mehr als das Meer.
Manfred Lentz (Juni 2017)
Die neuen Berichte auf reiselust.me erscheinen jeweils
am 1. und 15. jedes Monats
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